Aus Leserbriefen an die Redaktion

Neue Paragraphen
Zu jW vom 11./12.11.: »Nur der erste Schritt«
In diesen wechselvollen Zeiten kann nicht schnell genug entschieden werden. Deshalb will ich – obzwar kein Jurist – zwei Änderungen bzw. Ergänzungen im Strafgesetzbuch vorschlagen. Ich will sie begründen:
Da sind es zum einen drei Sätze unseres Verteidigungsministers, Boris »Pistolerius«, der sein Ministerium in Kriegsministerium umtaufen will. Seine Begründung: »Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.« Der Verteidigungs-, sorry Kriegsminister hat wohl vergessen, dem Adjektiv »kriegstüchtig« ein »und kriegssüchtig« hinzuzufügen. Höchste Zeit also, einen Paragraphen unter der Bezeichnung »Wehrkraftzersetzung« ins Gesetz einzufügen. Hatten wir früher schon mal. Aber wenn ein »Veteranentag« im Andenken an »Wehrmachtshelden« eingerichtet werden soll, würde es doch ins Bild passen.
Der zweite Vorschlag bezieht sich auf den Volksverhetzungsparagraphen 130 des Strafgesetzbuchs. Nach Meinung des Rechtsausschusses müssen »wegen der Einzigartigkeit des Holocausts, dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung (…) höhere Strafen möglich sein als für vergleichende Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen«. Hier wäre zu ergänzen, dass Vergleiche mit Putin (schlimmer als oder gleich Hitler) oder Hamas (schlimmere Nazis als die SS) weder den Tatbestand der Verharmlosung, noch den einer Relativierung des Holocausts erfüllen. (…) Karl Lauterbach, Gesundheitsminister, Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg, Jan Fleischhauer vom Focus u. a. dürfen weiter ungestraft der widerwärtigen Erzählung des britischen Autors Douglas Murray zujubeln.
Hans Schoenefeldt, per E-Mail
Faktenschneidere
Zu jW vom 13.11.: »Was sonst nur gedacht wird«
Das von Karl Lauterbach empfohlene Interview enthält neben der Relativierung der Greueltaten der Nazis mit vorgeblicher »Scham« der Täter noch weitere aufschlussreiche Bemerkungen, etwa dass alle Gaza-Palästinenser schuldig seien: »If they don’t stand up to Hamas they’re also guilty.« Und ohne Erwähnung der Genfer Abkommen wird dann mit einer ähnlichen Schuldzuweisung rechtfertigend auf die Flächenbombardements der Alliierten im Zweiten Weltkrieg verwiesen: »Britain took the view that the German people were responsible.« Auch der israelische Präsident Herzog hatte gesagt: »It is not true this rhetoric about civilians not being aware, not involved. It’s absolutely not true. They could have risen up. They could have fought against that evil regime which took over Gaza in a coup d’etat«, wurde er von thewire.in zitiert. Allerdings merkte Herzog noch einschränkend an, dass die Zivilisten damit nicht zu legitimen Zielen würden. (…) Unnötig zu erwähnen, dass man in so einem Interview auch keine ausgewogene Bewertung der Hamas findet. Den diversen belastenden Aussagen werden nicht die entlastenden gegenübergestellt, etwa dass die Hamas sich zu einem Arrangement mit einer Zweistaatenlösung bereiterklärt hatte. (…) Man schneidert sich die Fakten zurecht, wie man sie braucht. Nichts Neues im Westen.
Ulf Gerkan, Hannover
Arbeitszeitverkürzung hüben …
Zu jW vom 13.11.: »Startschuss in Stahlbranche«
(…) Die Gewerkschaften schafften im damaligen Westdeutschland immerhin bereits in den 1980ern den flächendeckenden Übergang auf 37,5 Wochenstunden und danach in Teilbereichen zur 35-Stunden-Woche. Und dabei soll es nicht bleiben, deshalb die Forderung von 32 Stunden! – Wir leben bekanntlich im Kapitalismus. Die Frage, die leider keiner stellt, ist doch: Wäre denn in einem sozialistischen Gesellschaftssystem eine kürzere Arbeitszeit zu erwarten? Noch heute erinnere ich mich an eine Pressekonferenz anlässlich einer Leipziger Messe ca. 1985, in der der FDGB-Vorsitzende Harry Tisch die Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR in den höchsten Tönen lobte. Als ein fürwitziger Journalist aus der BRD fragte, wann denn wenigstens die 40-Stunden-Woche in der DDR eingeführt wird, antwortete Tisch kurz und bündig: »Dafür gibt es gegenwärtig noch keine Voraussetzungen.« Wäre es denn nicht seine Aufgabe gewesen, im Politbüro dafür zu kämpfen? Bis zum Ende der DDR arbeitete ich, wie die meisten anderen Werktätigen der DDR, 42,5 Stunden. (…)
Ullrich-Kurt Pfannschmidt, per E-Mail
… und drüben
Zu jW vom 13.11.: »Startschuss in Stahlbranche«
Herr Pfannschmidt (…), vergessen Sie mal nicht die hohen kultur- und bildungspolitischen Ausgaben, die Gesundheits- wie Verkehrsausgaben, niedrigen Mieten, ganz zu schweigen von den gestützten Lebensmittelpreisen in der DDR. Was kostete ein Brot, ein Stück Kuchen, ein Theater- oder Gaststättenbesuch bzw. ein FDGB-Urlaubsplatz etc.? Und das alles für 42,5 Std. die Woche. Dabei ist zu bedenken, dass die DDR ungleich schlechtere ökonomische Voraussetzungen hatte als der westdeutsche Staat. Wir bezahlten über 90 Prozent der Reparationsleistungen für ganz Deutschland und hatten keinen Marshallplan, mit dem die BRD vom US-Imperialismus in Abhängigkeit aufgepäppelt worden ist. Zudem gab es gegen unsere wirtschaftliche Entwicklung neben Sabotageakten das berühmt-berüchtigte Cocom-Abkommen (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls: dt.: Koordinationsausschuss für mehrseitige Ausfuhrkontrollen, 1949 gegründet zum Isolieren der Sowjetunion und ihrer Verbündeten, kurzum ging es um Handelsbeschränkungen). Und sagt Ihnen der Name Hallstein-Doktrin nichts – sie wirkte von 1955 bis 1969? Eine Vielzahl von diskriminierend skandalösen Beschränkungen wie das Röhrenembargo gegen die DDR dürfte ich Ihnen noch in Erinnerung rufen. Apropos Stahlindustrie. Da denke ich auch an Rüstung und Krieg, in den die BRD an vielen Stellen in der Welt gekoppelt ist – mit exorbitanten Gewinnen. Und die Ausbeutung der Werktätigen in diesem Bereich dürfte also dementsprechend gewissenlos um ein Vielfaches höher liegen. (…)
Heinz-Joachim Reiß, Berlin
Die DDR bezahlte über 90 Prozent der Reparationsleistungen für ganz Deutschland und hatten keinen Marshallplan, mit dem die BRD aufgepäppelt worden ist.
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