Geprägt von Misstrauen
Von Claudia Wrobel
Ein selbstbestimmtes Leben führen – dieses Ziel eint Menschen über ideologische Grenzen hinweg und über die Frage hinaus, wie dieses Leben aussieht. Teilen der Gesellschaft ist diese Selbstbestimmung allerdings qua Gesetz verwehrt, und dazu gehören auch Menschen, die sich nicht mit dem Geschlechtseintrag identifizieren, der ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde, also trans und intersexuelle Menschen sowie nichtbinäre Personen. Um ihre Lebenssituation endlich zu verbessern, hat die Bundesregierung bereits in den Koalitionsverhandlungen vor zwei Jahren eine Vereinfachung der bisherigen Regelungen versprochen, die zum Großteil im sogenannten Transsexuellengesetz festgehalten sind. Das stammt aus dem Jahr 1980 und ist nicht nur komplett veraltet, sondern auch in Teilen verfassungswidrig. Am Mittwoch abend fand nach langen Verzögerungen seitens der Ampelkoalition endlich die erste Lesung des zukünftigen Selbstbestimmungsgesetzes im Bundestag statt. Doch so selbstbestimmt, wie es die vollmundige Namensgebung erhoffen lässt, wird das Leben auch mit Inkrafttreten des Gesetzes nicht werden.
Versprochen wurde eine einheitliche Regelung, mit der trans, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen durch eine Selbstauskunft sowohl ihren Namen als auch ihren Geschlechtseintrag ändern können. Selbst dieser Kernpunkt soll nun im neuen Gesetz nicht für alle und uneingeschränkt gelten. Hinzu kommen zahlreiche andere diskriminierende Regelungen, die entweder die Lebensrealität der betreffenden Menschen verkennen oder bewusst weiterhin transfeindliche Erzählmuster bedienen. Außerdem sind in dem Gesetz keine Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen vorgesehen. Ein Punkt, der für viele Betroffene aber sehr wichtig ist, da die extrem hohen Kosten sie vor unüberwindbare Hürden stellen.
So machen auch zahlreiche Fachorganisationen auf die vielen Mängel im Gesetz aufmerksam. Soraia Da Costa Batista von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisierte beispielsweise am Mittwoch, dass das Gesetz eine automatisierte Datenübermittlung an die Sicherheitsbehörden bei der Änderung des Namens oder des Geschlechtseintrags vorsieht: »Diese pauschale Datenübermittlung ist insbesondere nicht notwendig, da den Sicherheitsbehörden bereits ausreichende Auskunftsansprüche zustehen.« Außerdem sichert der Gesetzentwurf nicht zu, dass Räume und Veranstaltungen, die explizit für ein Geschlecht geöffnet sind, für Menschen mit einem entsprechend geänderten Geschlechtseintrag zugänglich sein müssen. In der öffentlichen Debatte, die in der Ampelkoalition besonders von der FDP aufgegriffen wurde, wurden als Beispiele Frauenhäuser oder getrenntgeschlechtliche Saunen genannt. Dies sollen Betreiber über das Hausrecht oder Satzungen regeln können. Von Juristen wird diese Regelung nicht nur angegriffen, weil sie diskriminierend ist und das Erzählmuster bedient, demzufolge insbesondere cis Frauen in geschützten Räumen von trans Frauen bedroht seien. Die Regelung ist auch maximal unkonkret und damit rechtlich kaum haltbar und juristisch unklar. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass die größte Bedrohung für Frauen in geschützten Räumen cis Männer sind. Das Gesetz ist auch handwerklich schlecht gemacht.
Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Beate von Miquel, stellte am Mittwoch klar, dass ihr Verband das Gesetz und das damit postulierte Anliegen unterstützt. »Dieses ist längst überfällig und ein wichtiger Schritt hin zu mehr Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt in einer freiheitlichen Demokratie. Wir kritisieren allerdings die Reproduktion transfeindlicher Narrative im Gesetzentwurf, die besonders trans Frauen unter Generalverdacht eines gewaltvollen Verhaltens stellen. Dabei sind diese Personengruppen in öffentlichen Räumen häufig selbst Gewalt ausgesetzt. Hier muss im parlamentarischen Verfahren dringend nachgebessert werden.«
Den Verlauf des bisherigen parlamentarischen Verfahrens brachte Kathrin Vogler, queerpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, in der Debatte am Mittwoch abend auf den Punkt: »Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist geprägt vom Geist des
Misstrauens.« Für sie überwiegen die Kritikpunkte an dem Gesetz, das so dringend nötig ist. Vogler befürchtet, dass die Bundesregierung diese auch im Verlauf des Verfahrens nicht aus dem Weg räumen wird. Sie sprach die Bundesregierung in ihrer Rede direkt an: »Es klingt
schon so, als ob Sie sich der transfeindlichen Stimmung beugen, die lautstark und orchestriert aus den sozialen und asozialen Medien schallt.«
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