Smogglocke über Delhi
Von Thomas Berger
Besonders schlimm war es am Anfang dieser Woche: Nach dem hinduistischen Lichterfest Diwali am vergangenen Sonntag erreichte die Luftverschmutzung in Indiens Metropole Delhi neue Horrorwerte. Übliche Bemessungsgrundlage ist der Air Quality Index (AQI), der die Konzentration von Stickstoffdioxid, Feinstaub und Ozon auf einer Skala von null bis 500 angibt. Zweistellige Werte sind unbedenklich, die höchste Warnstufe beginnt bei 300. Von da an sollten auch die Gesündesten ihr Haus möglichst nicht mehr verlassen. In Delhi lag der Durchschnittswert über den gesamten Montag bei 358.
In einzelnen Vierteln der 20-Millionen-Stadt wurden vierstellige Werte nur knapp verfehlt. So wurde beispielsweise in den Morgenstunden am Messpunkt Lajpat Nagar ein AQI von 959 registriert. Am Jawaharlal-Nehru-Stadion lag der Höchstwert bei 910, im Stadtteil Anand Vihar sogar bei 969.
Längst tragen immer mehr Menschen in der indischen Hauptstadt zum Schutz vor dem Smog eine Maske. Das Straßenbild erinnert mitunter an die Hochzeiten der Coronapandemie. Weltweit hat Delhi in Sachen Luftverschmutzung den traurigen Spitzenplatz inne. Es sind auch noch zwei andere indische Ballungsräume in den Top ten vertreten, Kolkata auf Rang vier und Mumbai auf Rang neun. Aber der Grad der Verunreinigung in Delhi bleibt unerreicht.
Seit Wochen ist die Sichtweite an sonnigen Tagen auf wenige hundert Meter geschrumpft. Wahrzeichen wie der Torbogen des India Gate, das Rote Fort oder die Jama Masjid (Große Moschee) sind selbst aus der Nähe nur noch verschwommen auszumachen. Die gesundheitlichen Belastungen sind extrem. Ein dauerhafter Aufenthalt in Regionen mit solchen Verschmutzungswerten senke die Lebenserwartung um bis zu zehn Jahre, haben Experten neulich errechnet.
Es gibt natürliche Bedingungen, die den Smog begünstigen, aber am Ende geht er zu wechselnden Anteilen auf das Konto von Bevölkerung, Politik und Behörden. Letztere verboten in diesem Jahr die zu Diwali üblichen Raketen und Böller. Aber nichtsdestotrotz wurden sie zuhauf gezündet, weshalb die Atempause nach Regenschauern vom Wochenende sehr kurz blieb.
Für den Großraum Delhi war das traditionelle Diwali-Feuerwerk schon vor einiger Zeit verboten worden. Kurzfristig hatte der Supreme Court, Indiens Oberster Gerichtshof, den Bann dann sogar auf das gesamte Land ausgeweitet. Die Polizei war allerdings machtlos, als vielerorts trotzdem geböllert wurde, was das Zeug hielt, oder sie wollte nicht einschreiten. Führende Vertreter der auf nationaler Ebene regierenden hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi hatten gegen die Feuerwerksverbote Stimmung gemacht. Es handle sich um einen bewussten Angriff auf Kultur und Traditionen der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit, erklärte BJP-Sprecher Shehzad Poonawalla und benannte oppositionelle Kräfte wie die Kongresspartei (INC) und die in der Hauptstadt tonangebende Aam Aadmi Party (AAP) von Chefminister Arvind Kejriwal als Angreifer.
Die Böller haben das Problem allerdings nur verschärft, die Smogglocke war schon vor Diwali beängstigend. Die Regionalregierung hat nun einen Unterrichtsausfall an sämtlichen Grundschulen bis zum 18. November verhängt, außerdem wurden Zulassungen für Lastwagen in der Stadt vorübergehend aufgehoben. Diesel-Lkw gelten als besonders große Verschmutzer. Aber der massenhafte, ganz normale Individualverkehr mit Autos, Mopeds und Motorrädern leistet auch seinen Beitrag. Dazu kommen die in dieser Jahreszeit üblichen Brände auf den Stoppelfeldern in der Umgebung. Wie in den Vorjahren tragen sie ganz erheblich zum Anstieg der AQI-Messwerte bei. Auch diese Feuer sind derzeit gerichtlich verboten, aber man sieht sie auf vielen Äckern in Punjab und Haryana lodern. Ungünstige Wind- und Luftdruckverhältnisse sorgen dafür, dass der Rauch von der indischen Kornkammer in die Straßen Delhis getragen wird. Die dortige Politik plant nun, so heißt es, ein tageweise abwechselndes Fahrverbot für Fahrzeuge mit geraden und ungeraden Kennzeichenziffern. Auch hier stellt sich die Frage nach der Durchsetzbarkeit.
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