»Diese Vorwürfe stimmen natürlich nicht«
Interview: Jakob Reimann
Ihnen wird vorgeworfen, auf den Social-Media-Auftritten von Fridays for Future International propalästinensische Inhalte plaziert zu haben. Wie groß ist Ihr Einfluss auf die FFF-Kanäle?
Ich habe dort keinen überproportionalen Einfluss. Organisationen wie FFF haben eine flache Hierarchie, und niemand hat das letzte Wort. Alles wird im Konsens abgestimmt. Natürlich kann sich jede einzelne Person für ein bestimmtes Thema stark machen, was ja die Stärke einer solchen Struktur ist. Mein Interessengebiet ist Antikolonialismus, und angesichts der sich immer weiter verschlechternden Lage in Palästina habe ich mich für Palästina-Solidarität stark gemacht. Mir unterlag nie die Kontrolle über die Accounts, Positionen werden im Konsens gepostet. Wären diese Positionen nicht akzeptiert worden, wären sie nie veröffentlicht worden.
In einer Recherche für die Jüdische Allgemeine, JA, Anfang August wurden Indizien für Ihren vermeintlichen Einfluss auf FFF International zusammengetragen. Trifft das so nicht zu?
Die Anschuldigungen der JA treffen natürlich nicht zu. Diese Recherche war sehr selektiv und erinnerte eher an eine Verschwörungstheorie als an soliden Journalismus. Der JA lagen die Screenshots unserer Tweets vor. Sie entschieden aber, sich nur auf die Palästina-Tweets zu fokussieren und nicht etwa auf Tweets zu Jahrestagen der Schoah oder zu Verurteilungen antisemitischer Attacken.
Immer wieder wird gegen FFF International der Vorwurf des Antisemitismus laut, auch gegen Sie persönlich. Was erwidern Sie?
Diese Vorwürfe stimmen natürlich nicht. Hier geht es primär darum, eine Organisation zu dämonisieren, die sich außerhalb der deutschen Staatsräson positioniert. In diesem Sinne ist sie eine Gefahr für das deutsche Selbstbild und die deutsche Außenpolitik. Dass diese Vorwürfe auch mich treffen ist selbstverständlich, weil es ja viel einfacher ist, einen jungen Migranten zu attackieren, als sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Dass Antizionismus Antisemitismus in einem neuen Gewand sein soll, stimmt nicht. Glauben Leute wirklich, dass Palästinenser gegen Zionismus sind, weil sie antisemitisch sind oder doch eher, weil Israel ihnen die Häuser, Felder und Lebensgrundlage raubt? Israel ist ein Staat wie jeder andere auch, und deshalb darf er auch wie jeder andere kritisiert werden.
Sollten sich Klimagerechtigkeitsbewegungen nicht auf ihr Kerngeschäft konzentrieren? Warum überhaupt ein Fokus auf Israel–Palästina?
FFF International sieht die Klimafrage ja nicht in einem liberalen Rahmen à la »Jetzt schauen wir, dass jeder ein Elektroauto kriegt«. Es geht um Klimagerechtigkeit. Gerechtigkeit ist ein universelles und holistisches Anliegen. Unser kapitalistisches System ist an den Ressourcen der Region interessiert, und diese sind nun mal vorwiegend Kohlenwasserstoffe wie Öl und Gas und nicht Orangen oder Olivenöl aus Palästina. Natürlich spielen dann Imperialismus und Kolonialismus eine Rolle, die die Ausschöpfung dieser Ressourcen forcieren, und Israel ist in der Region ein außenpolitisch verlässlicher Anker für unsere Regierungen. Zudem wäre es lächerlich, von Klimagerechtigkeit zu sprechen und dann nichts über die Landnahme an indigenen Völkern zu sagen, wenn es gerade diese sind, die bewiesen haben, wie man respektvoll und vor allem ressourcensparend vom Land leben kann. In Deutschland hört man das nicht gerne, aber es waren die Palästinenser und andere Völker, die die »Wüste« über Jahrtausende zum Blühen gebracht haben. Und nicht Siedler aus Europa. Das gilt auch für die Westsahara oder Arzach und überall dort, wo indigenen Völkern ihr Land für Profitmaximierung gestohlen wird. Deswegen kann Klimagerechtigkeit nur Hand in Hand mit Antikapitalismus funktionieren.
Wiederholt hieß es, bei Kritik würden Sie vorschnell mit dem Vorwurf des Rassismus kontern. Werden in westlichen Gruppen der Klimaschutzbewegung Stimmen nichtweißer Personen unterdrückt?
Natürlich haben westliche Klimabewegungen ein Rassismusproblem. Das wird von Vertreterinnen wie Luisa Neubauer gedeckt und verschwiegen. Sich nicht um indigene Völker kümmern zu wollen ist ja ein sehr gutes Beispiel. Das Rassismusproblem in FFF war lange vor Israel ein Thema, für das ich innerhalb der Organisation bekannt wurde. Es ist kein Zufall, dass sich marginalisierte Gruppen gezwungen fühlten, BIPoC for Future zu gründen.
Hasan Özbay ist Klimaschutzaktivist und ehemaliger Sprecher von Fridays for Future Mainz
Immer noch kein Abo?
Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.
Ähnliche:
- Hannes P. Albert/dpa03.11.2023
Habecks Bekenntnis
- IMAGO/NurPhoto25.10.2023
»Aktuell stehen Muslime unter Generalverdacht«
- Ying Tang/NurPhoto/imago13.06.2023
»Definition fördert Rassismus gegen Palästinenser«
Mehr aus: Inland
-
Mehr als 500.000 Betreuungsplätze fehlen
vom 13.11.2023 -
Was sonst nur gedacht wird
vom 13.11.2023 -
Schweres Gerät unterwegs
vom 13.11.2023 -
Startschuss in Stahlbranche
vom 13.11.2023 -
Benko hinterlässt Milliardenschulden
vom 13.11.2023