National und säkular
Von Andreas Pittler
Abu Dharr Al-Ghifari. Wer hierzulande behauptet, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, der ist entweder ein wahrer Experte oder aber ein Hochstapler. Im Westen beschränkt sich die Auseinandersetzung mit Al-Ghifari auf einige wenige Zeilen in Jacques Droz’ monumentalem Werk »Geschichte des Sozialismus in 15 Bänden« und einen dürren Eintrag in der »Oxford-Enzyklopädie der Islamischen Welt«. Wenig verwunderlich, hatte der Mann, der bereits im Jahr 652 starb, doch ein überaus schmales Werk hinterlassen. Und doch spielte Al-Ghifari für die Geschichte des arabischen Sozialismus eine mehr als bedeutende, ja eine zentrale Rolle.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden sich arabische Intellektuelle auf der Suche nach einer authentischen Quelle, mittels derer sie die Ideen des Marxismus mit dem in ihren Ländern allgegenwärtigen Islam in Übereinstimmung bringen konnten. Und dabei stießen sie auf Abu Dharr, einen Weggefährten Mohammeds, der in seiner Auslegung der Suren des Korans statuiert hatte, kein Mensch dürfe auf dieser Welt Reichtümer anhäufen. Vielmehr müsse er alles, was über die Deckung seiner eigenen Bedürfnisse hinausgehe, den Mitmenschen geben, weil nur eine solche Haltung gottgefällig sei. Kein Wunder, dass Al-Ghifari sich mit solchen Aussagen den Unmut der Herrschenden zuzog, die sich im Zuge der islamischen Expansion ordentlich bereichert hatten. Gleichwohl ließ Abu Dharr sich nicht beirren und postulierte »die Liebe zu den Armen und die Nähe zu ihnen«, trug seinen Gefolgsleuten auf, stets nur »zu dem zu blicken, der unter einem ist, nicht aber zu dem, der über einem ist«, und betonte die Notwendigkeit, die weiblichen Mitglieder der Gemeinde als gleichrangig zu behandeln. Dass er darüber hinaus auch schrieb, es gebe keine Macht außer bei Gott, war ein offener Angriff auf die sich auf islamischem Boden bildenden Dynastien, die ihn jedoch nicht zu unterdrücken wagten, da Mohammed selbst Abu Dharr mehrmals mit Jesus Christus verglichen und seine asketische Lebensweise ausdrücklich gewürdigt hatte. Das schützte Al-Ghifari allerdings nicht davor, in die Verbannung geschickt zu werden. Er starb der allgemeinen Überlieferung zufolge in einer kleinen Ansiedlung, die in ihrer Struktur überraschend viele Gemeinsamkeiten mit einem israelischen Kibbuz aufwies.
Daher eignete sich der Asket perfekt als Role-Model für einen arabischen Sozialismus, da es den arabischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts nicht nur an einem echten Proletariat, sondern auch an einer der russischen Bauernschaft vergleichbaren Landwirtschaft gebrach. Mit einem Gefährten Mohammeds hingegen ließ sich auch im Süden des Osmanischen Reiches proletarische Politik machen.
Die Anfänge
Am Ende des 19. Jahrhunderts herrschte im Osmanischen Reich eine steigende Unzufriedenheit mit dem überkommenen System des Sultanats. Im Zentrum des Staates bildeten sich fortschrittliche Kräfte, die bald unter dem Namen »Jungtürken« bekannt werden sollten, unter denen sich anfänglich auch Mustafa Kemal, später Atatürk genannt, befand. In Ägypten waren es vor allem aus Westeuropa zurückkehrende Studenten, die der dort herrschenden Theokratie eine progressive Demokratie entgegenstellen wollten. Zu ihrem Wortführer avancierte bald Mustafa Hussein Al-Mansuri, der 1915 die erste genuin sozialistische Schrift im arabischen Raum publizierte. Völlig richtig erkannte Al-Mansuri, dass die industrielle Revolution, die mit einiger zeitlicher Verzögerung auch bei den Osmanen angekommen war, die Profite der Kapitalisten immens gesteigert hatte: »Sie wurden extrem reich und behandelten die Arbeiter darob nur noch grausamer und rücksichtsloser. Sie kürzten ihnen die Löhne und verlängerten die tägliche Arbeitszeit.« Diese gesellschaftlichen Defizite – wie Al-Mansuri es nannte – gelte es durch einen Sozialismus auszugleichen: »Die einzige Möglichkeit, der Menschheit Glück und Wohlstand zu bescheren, besteht darin, das Eigentum an Produktionsmitteln der Arbeiterschaft zu überantworten.« Erwies sich Al-Mansuri damit als gelehriger Schüler von Karl Marx, so brach er dennoch aus der klassischen sozialistischen Ideologie jener Tage aus: »Wenn auch die Sozialisten, der Lehre Karl Marx’ folgend, sich als Internationalisten sehen, so heißt das nicht, dass ihre Vaterlandsliebe darüber sterben darf.« Zudem statuierte er, dass der Sozialismus nicht in allen Ländern auf ähnliche Weise errungen werden könne. »In demokratischen Nationen wie England oder Frankreich mag der Sozialismus ja auf friedlichem Wege an die Macht kommen, in tyrannischen Nationen aber braucht es Gewalt.« Mit diesem Diktum avancierte Al-Mansuri zum Ahnherren aller weiteren arabischen Linksparteien, denen von allem Anfang an zwei Eigenschaften gemein waren: der Nationalismus und der Hang zum Terror.
Vier Jahre nach dem Erscheinen von Al-Mansuris Manifest gründete sich in Palästina die erste marxistische Partei, die sich folgerichtig »Kommunistische Partei Palästinas« nannte. Wie die wenig später formierte Kommunistische Partei Ägyptens wurde sie Mitglied der Komintern, spielte aber nicht zuletzt aufgrund ihrer strengen Ausrichtung auf Moskau alsbald keine zentrale Rolle mehr.
Ende der 1930er Jahre wandten sich viele Linke ernüchtert von den Vorgaben aus Moskau ab und suchten bei Al-Mansuri und Al-Ghifari Quellen für einen eigenständigen panarabisch-nationalen Sozialismus. Michel Aflaq und Saladin Al-Bitar gründeten 1943 die »Arabische Sozialistische Partei der Wiedergeburt«, die bald schon als »Baath-Partei« bekannt werden sollte. Zur Propagierung ihrer Ziele gründeten sie die Zeitung Al baath (Wiedergeburt), die sie bewusst dem italienischen Risorgimento nachempfunden hatten.
Die Beziehungen der Baath-Partei zu den Kommunisten waren von Anfang an ambivalent. Einerseits teilten die arabischen Sozialisten die Vorstellungen der Kommunisten vom Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft, andererseits trat die Baath-Partei entgegen den kommunistischen Prinzipien für eine nationale Revolution ein. »Einheit, Freiheit und Sozialismus« sollten für den arabischen Raum angestrebt werden, der Rest des Planeten mochte tun, was ihm beliebte. Um diese Ziele zu erreichen, galt nicht nur revolutionäre, sondern auch militärische Gewalt als legitim. Die Baath-Partei predigte folglich nicht nur die Vertreibung der britischen und französischen Kolonialherren durch Waffengewalt, sondern auch den Sturz feudaler arabischer Dynastien, die dem Fortschritt fundamental entgegenstanden.
Nationale Revolutionen
Konsequenterweise stand der Befreiung der arabischen Völker auch der Islam im Weg, der, so die Erkenntnis der Baathisten, durch seine fatale Spaltung in diverse Glaubensrichtungen die panarabische Einheit verhindere. Nicht die Religion definiere den Araber, postulierte die Baath-Partei: »Araber ist, dessen Sprache Arabisch ist, der auf arabischem Boden lebt und an seine Verbindung mit der arabischen Nation glaubt.« Daher waren für die arabischen Sozialisten auch Juden und Christen, so sie Arabisch sprachen, Brüder einer Nation, während Türken und Perser, wenn sie auch Muslime waren, eben keine Brüder dieser Nation sein konnten.
Während die Baath-Partei relativ rasch großen Einfluss in Syrien und im Irak gewann, formierten sich in Ägypten progressive Kräfte um den Offizier Gamal Abdel Nasser, dessen Anschauungen durchaus mit jenen des Baathismus kompatibel waren. Nasser hatte 1954 das Buch »Die Philosophie der Revolution« publiziert, worin er einen »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und orthodoxem Kommunismus propagierte. Nur wenig später wurde Nasser neben Josip Broz Tito und Jawaharlal Nehru einer der zentralen Propagandisten der Blockfreienbewegung, was ihn nicht daran hinderte, immer wieder mit Moskau zu kooperieren, wenn dies seinen politischen Zielen förderlich schien. Auch unterstützte er großzügig arabische Befreiungsbewegungen, da er davon überzeugt war, dass die Zeit des Feudalismus zu einem Ende kommen müsse.
Tatsächlich erwiesen sich die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten Regime als so mürbe, dass sie der Reihe nach in sich zusammenbrachen. 1956 übernahm Nasser in Ägypten die Macht, 1963 kam die Baath-Partei fast zeitgleich in Syrien und im Irak an die Regierung, und in Algerien setzte sich schon 1962 die Nationale Befreiungsfront (FLN) unter Houari Boumedienne durch. Schlusspunkt dieser Entwicklungen war die Machtübernahme Muammar Al-Ghaddafis in Libyen, der sich ein streng revolutionäres Image gab.
Die »Volksfront«
Nicht vergessen werden sollte dabei die »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP), die von marxistisch-leninistisch inspirierten Ideologen wie Achmed Dschibril und George Habasch ins Leben gerufen wurde und lange Zeit in engem Kontakt mit anderen linken Befreiungsorganisationen wie den Sandinisten in Nicaragua, den Senderos in Peru oder der kurdischen PKK stand.
Es waren ursprünglich zwei griechisch-orthodoxe Palästinenser, die an der Wiege der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« standen. Habasch, Sohn eines Getreidehändlers im heutigen Lod, und Wadi Haddad, ein Lehrersohn aus Galiläa. Beide zogen aus der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg 1967 die Lehre, dass ein antikolonialer Kampf nicht ohne enge Verbindung mit den Volksmassen möglich sei. Sie studierten eifrig die Schriften führender Theoretiker des Guerillakriegs wie Ernesto Che Guevara oder Mao Zedong und gerieten dadurch schnell in das Umfeld marxistisch-leninistischer Philosophie. Beim Gründungskongress der neuen Organisation im Dezember 1967 gaben sich die Delegierten ein eigenes Grundsatzprogramm, dessen zentrale Aussage lautet: »Die Befreiung ganz Palästinas im bewaffneten Kampf und die Errichtung eines demokratischen und sozialistischen palästinensischen Staates ist das erklärte Ziel der Volksfront.«
Doch sehr tief verankert scheint die marxistische Ideologie in den Reihen der Volksfront nicht gewesen zu sein. Anstatt auf eine geschlossene Agitation unter den Werktätigen zu orientieren, setzte die Führung der Bewegung recht rasch auf möglichst spektakuläre Terrorakte, die den Gegner verunsichern sollten. Ähnlich der sogenannten Provisional IRA in Nordirland verübte die PFLP Bombenanschläge auf israelische Einrichtungen und ging bald dazu über, Flugzeuge zu entführen, um solcherart weltweit auf die Lage der Palästinenser aufmerksam zu machen. Zu einer gewissen Berühmtheit brachte es dabei die damals erst 25jährige Leila Chaled, von der ein Foto zirkulierte, das sie in olivgrüner Uniform mit Palästinensertuch und Kalaschnikow zeigte, das in jenen Tagen ähnlichen Kultstatus erreichte wie die ikonenhafte Darstellung Che Guevaras von Alberto Korda.
Bald geriet mit Achmed Dschibril ein führendes Mitglied in Gegensatz zur restlichen Organisation, die er als intellektuell verweichlicht betrachtete. Die Hauptaufgabe der PFLP sah er in einem fortwährenden militärischen Kampf gegen den israelischen Staat. Schon ein Jahr nach der Gründung der Volksfront sagte sich Dschibril von der politischen Leitung los und gründete seine eigene namensgleiche Organisation, die er mit dem Zusatz »Generalkommando« versah und die bis ins 21. Jahrhundert hinein immer wieder Versuche unternahm, Israel mit militärischen Mitteln zu destabilisieren. Dschibril sah sich zwar selbst bis Ende der 1980er Jahre als Sozialist, seine politischen Statements sprachen freilich eine andere Sprache.
Nur kurz nach dem »Generalkommando« spaltete sich im Februar 1969 auch die »Demokratische Front zur Befreiung Palästinas« (DFLP) von der Volksfront ab, die sich selbst in weitaus größerem Maß als die Volksfront auf dem Boden kommunistischer Partisanentaktik sah. Vor allem war die DFLP im Gegensatz zu den anderen beiden Organisationen der Ansicht, dass ein dauerhafter Erfolg der palästinensischen Sache nur in einer Einheitsfront mit dem israelischen Proletariat möglich sei, weshalb die DFLP unter Führung von Najef Hawatmeh Fühlung mit der israelischen KP aufnahm und lange Zeit für eine Zweistaatenlösung stand, wobei sie gleichzeitig, hier dem Diktum Maos und Lin Piaos, aber auch den Erfahrungen des jugoslawischen Partisanenkriegs folgend, dafür eintrat, überall, wo dies möglich schien, »befreite Gebiete« zu schaffen, in denen der palästinensische Sozialismus in der Praxis Wirklichkeit werden sollte. Die DFLP hielt bis 1989 enge Kontakte zu kommunistischen Bruderparteien in aller Welt, was freilich auch für die ursprüngliche Volksfront galt, deren Repräsentant Wadi Haddad später als KGB-Agent geoutet werden sollte.
Erstarrte Systeme
Die Regimewechsel im arabischen Raum der 1960er Jahre bedeuteten anfangs tatsächlich eine substantielle Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen. Nicht nur, dass sämtliche Schlüsselbereiche der Wirtschaft umgehend verstaatlicht wurden, es folgten auch eindeutige Verbesserungen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen der genannten Staaten. Islamische Restriktionen wurden abgeschafft, Frauen waren erstmals gleichgestellt und wurden, etwa in Algerien und Libyen, sogar aktiv gefördert. Der Lebensstandard stieg merklich an, der arabische Raum fand tatsächlich Anschluss an Süd- und Osteuropa, wobei der Ölreichtum, der, anders als in Saudi-Arabien und den dortigen Scheichtümern, wenigstens zu einem Teil der Bevölkerung zugutekam, die Staaten des arabischen Sozialismus für West und Ost gleichermaßen interessant machte.
Allerdings etablierte sich verhältnismäßig rasch eine überaus einflussreiche Bürokratie, die das politische System erstarren ließ. Mitte der 1970er Jahre waren die Revolutionäre der ersten Stunde tot oder im Exil, und die neuen Machthaber à la Saddam Hussein oder Hafis Al-Assad unterschieden sich nur noch in ihrer Phraseologie von Diktatoren westlichen Zuschnitts. Und wie zu Stalins Zeiten in der Sowjetunion setzten sie auf einen bis zum Grotesken gesteigerten Personenkult, der freilich die immer offenkundiger werdenden Schwächen des Systems nicht zu kaschieren vermochte. Militärische Interventionen sollten die jeweilige Nation hinter ihrem »Führer« vereinen, doch für das Volk gab es bald immer weniger Krümel vom Kuchen. Der allgemeine Unmut wuchs.
Unmut, die der spätestens seit der iranischen »Revolution« von 1979 wieder im Aufwind befindliche Islamismus für sich zu nutzen wusste. Nun zeigte sich auch das evident Problematische am Konzept des arabischen Sozialismus. Der Nationalismus, integraler Bestandteil der vorherrschenden Ideologie, konnte leicht von islamischen Strömungen instrumentalisiert werden, die auch die wachsende Kluft zwischen theoretischem Anspruch und sozialer Wirklichkeit für sich zu nutzen wussten. In Ägypten erwiesen sich rasch die Muslimbrüder als ernste Herausforderung für das sich progressiv gebende Regime Hosni Mubaraks (der Nachnachfolger von Nasser), in Algerien und Tunesien waren es die Aktivisten der 1989 gegründeten »Islamischen Heilsfront«, die das Modell der algerischen FLN bekämpften.
Der Handlungsspielraum der säkularen Regierungen wurde zusätzlich durch den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa eingeschränkt, da sie nun nicht mehr zwischen West und Ost lavieren konnten. Mit dem Untergang dieser Gesellschaftssysteme schien auch der Sozialismus als solcher seine Strahlkraft verloren zu haben, zumal die erstarrten Parteiapparate von Baath, FLN und Co. erkennbar keine Antworten auf die neue Gemengelage zu haben schienen. Mangels Alternative schlossen sich viele Unzufriedene den Islamisten an, die zudem vom Westen erheblich gefördert wurden.
Ideologischer Untergang
Was dann unter dem Schlagwort »Arabischer Frühling« in die Geschichtsbücher einging, war nicht der Beginn einer progressiven Bewegung, sondern angesichts seiner weiteren Entwicklung letztlich der Schlusspunkt einer reaktionären Konterrevolution, da die progressiven Demonstranten der ersten Stunde allüberall erschreckend schnell beiseite geschoben und durch religiös motivierte Konservative verdrängt wurden. Und solange der Westen in Ägypten, Libyen oder dem Irak noch genug Öl, Gas und andere Bodenschätze ausbeuten kann, gelten die dortigen Staatslenker noch als präsentabel. Die Baath-Partei des Irak ist seit dem Sturz Saddam Husseins eine Schimäre, die ab und an ein Kommuniqué veröffentlicht, Nassers Partei ist mit dem Sturz Mubaraks von der politischen Bühne ebenso verschwunden wie die vergleichbaren Bewegungen Libyens und Tunesiens. Allein in Syrien führt die dortige Baath-Partei einen erbitterten Kampf ums politische Überleben, den sie bislang nur aufgrund beträchtlicher russischer Hilfe nicht verloren hat. Überall sonst sind die arabischen sozialistischen Parteien Geschichte.
Das gilt im Grunde auch für Palästina, wo die verschiedenen Abspaltungen der Volksfront zur Befreiung Palästinas jedes ideologische Profil verloren haben. Bekannten sich die diversen Repräsentanten der Volksfront noch in den 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts explizit zur Zweistaatenlösung, so suchen sie heute ihr Heil in einem erratischen Voluntarismus und kooperieren mit islamistischen Terrororganisationen wie der Hisbollah oder der Hamas.
Trübe Zukunft
In diesem Lichte gibt es in der arabischen Welt kaum linke Perspektiven. Nicht nur, dass der Linken universell der harsche Wind des kapitalistischen Neoliberalismus entgegenweht, in den arabischen Gesellschaften mangelt es auch an einer Generation, die irgendwann in ihrer Entwicklung von progressiven Ideen begeistert worden wäre. Anders als jene, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts an den westlichen Universitäten von linken Ideologien inspiriert worden waren, ist die heute aktive Gesellschaft im Spannungsfeld von abgewirtschaftetem Säkularismus, abstoßendem Kapitalismus und radikalem Islamismus aufgewachsen. Eine linke Alternative zu plumpem Nationalismus und religiösem Fundamentalismus muss diese Generation erst noch entdecken. Vielleicht bei Abu Dharr Al-Ghifari.
Andreas Pittler schrieb an dieser Stelle zuletzt am 20. Mai 2022 über Österreichs Weg zum Austrofaschismus.
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Allenthalben Doppelmoral
»Bekannten sich die diversen Repräsentanten der Volksfront noch in den 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts explizit zur Zweistaatenlösung, so suchen sie heute ihr Heil in einem erratischen Voluntarismus und kooperieren mit islamistischen Terrororganisationen wie der Hisbollah oder der Hamas.« Wie in den Mainstreammedien wird leichtfertig mit dem Begriff »Terrororganisation« herumgeworfen.
Auch sonst ist wenig Substanz zu erkennen. Ein Beispiel:
»Zudem statuierte er, dass der Sozialismus nicht in allen Ländern auf ähnliche Weise errungen werden könne. ›In demokratischen Nationen wie England oder Frankreich mag der Sozialismus ja auf friedlichem Wege an die Macht kommen, in tyrannischen Nationen aber braucht es Gewalt.‹ Mit diesem Diktum avancierte Al-Mansuri zum Ahnherren aller weiteren arabischen Linksparteien, denen von allem Anfang an zwei Eigenschaften gemein waren: der Nationalismus und der Hang zum Terror.« Schon die Unterscheidung von »demokratischen und tyrannischen« Nationen sowie die Erreichung des »Sozialismus auf friedlichem Wege« ist problematisch. Mit »tyrannische Nationen« und »Hang zum Terror« werden alle Vorurteile über die muslimische Welt bestätigt.
Ein weiteres Beispiel:
»Einerseits teilten die arabischen Sozialisten die Vorstellungen der Kommunisten vom Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft, andererseits trat die Baath-Partei entgegen den kommunistischen Prinzipien für eine nationale Revolution ein.« Entgegen den kommunistischen Prinzipien? Tatsächlich heißt es im kommunistischen Manifest: »Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muss natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden.«
Der Platz reicht hier nicht aus, um alle Irrtümer aufzuzählen.