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Aus: Ausgabe vom 04.11.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Habecks Märchen

Von Arnold Schölzel
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Was wollte Hitler in Moskau? Am Mittwoch abend klärte der Bundeswirtschaftsminister auf und dozierte auf X (ehemals Twitter): »Der Zweite Weltkrieg war ein Vernichtungskrieg gegen Juden, für das Naziregime war die Vernichtung des europäischen Judentums das Hauptziel.« Deswegen verloren also 27 Millionen Sowjetbürger ihr Leben, sollten nach den Plänen der deutschen Führung etwa 40 Millionen von ihnen Ende 1941 tot sein, der Rest durch Sklavenarbeit einer Vernichtung durch Arbeit »zugeführt« werden. Wer über die Kriegsziele des deutschen Faschismus so plaudert wie Habeck, übernimmt faktisch den »Rassen«wahn. Denn das den Krieg leitende Interesse war: Land und Rohstoffe. Der Völkermord an den europäischen Juden Teil des zweiten Versuchs, im Interesse des deutschen Monopolkapitals Europa neu zu »ordnen«. Nicht viel anders als in der »Russland ruinieren«-Gegenwart.

Habeck wiederholt ein Ammenmärchen, das für die Wiedererrichtung des deutschen Imperialismus in der BRD erfunden wurde, um die Heimatfront im Kampf gegen den Erzfeind im Osten neu zu stärken. Der Legende vom Krieg aus »Rassenhass« folgen die von Springer-Chef Mathias Döpfner, dem unermüdlichen rassistischen Warner vorm Kalifat, gehätschelten Antideutschen ebenso wie Konservative, die jeden Judenmörder »integrierten«, so er vom antibolschewistischen Antisemitismus zum Antikommunismus ohne Attribut, aber mit antirussischem Inhalt, konvertierte. Am Freitag kommentierte FAZ-Koherausgeber Berthold Kohler die Habeck-Fabel: »Auch dem demokratischen Nachkriegsdeutschland gelang es nicht, den Hass auf die Juden und ihren Staat ganz auszurotten; er hielt sich am rechten wie am linken Rand des politischen Spektrums.« Ein Staat, der sich den Kommentator der Nürnberger Gesetze Hans Globke zehn Jahre lang bis 1963 als höchsten deutschen Beamten im Kanzleramt hielt, kannte nie Judenhass, bewaffnete sich nur gegen Russen. Welch Glück, dass die BRD die bekannte linksantisemitische KPD bis heute verboten hat.

Der Konsens des deutschen Spitzenpersonals ist so stabil, dass die Führungskräfte sich wieder einmal für die Volksgemeinschaft halten. Also macht Kohler den Habeck, der Wladimir Putin und Hamas gleichsetzt, flugs nach. Noch nie sei der Judenhass in der BRD so aufgelodert wie jetzt: »Das liegt daran, dass er massive Verstärkung von außen bekommen hat: den Antisemitismus, den Migranten aus der arabischen Welt mitbrachten und mitbringen.« Politischer »Rand« plus Zuwanderer tragen das Judenhassgen nämlich in sich. 100 Jahre nach dem Pogrom gegen osteuropäische Juden im Berliner Scheunenviertel hetzt Kohler: »Ein viel zu großer Teil von ihnen integriert sich nicht. Sie leben in ihren Parallelgesellschaften und in der Mythologie ihrer Herkunftsländer, in der Israel der Teufel ist.« Die Parallelgesellschaften der Reichen im Hochtaunuskreis oder am Starnberger See erwarten solche Kohler-Sätze, ihre Herkunftsmythologien etwa zum Zweiten Weltkrieg verlangen das. Habeck schafft das. Die deutschen Qualitätsmedien sind hingerissen.

Genauer: nicht ganz. Kohler: »Doch muss sich erst noch zeigen, ob den großen Worten auch entsprechende Taten folgen, nicht zuletzt bei den Abschiebungen. Dann könnte man vielleicht sogar von einem heilsamen Schock sprechen – nach Jahrzehnten der Multikultiträumerei und anderer ideologischer Verblendung.«

Aus »Nie wieder!« machen die Feldmarschälle der aktuellen deutschen Ideologie in bezug auf Israel und gegen Russland ein »Jetzt erst recht«. Sorgen macht allein die Heimatfront. Am Tag, an der Habeck sprach, verbot die Berliner Polizei auf dem Kurfürstendamm Demonstranten die Rufe »Stoppt das Morden! Stoppt den Krieg!«. Frieden ist schließlich Hass und Verblendung.

Aus »Nie wieder!« machen die Feldmarschälle der aktuellen deutschen Ideologie in bezug auf Israel und gegen Russland ein »Jetzt erst recht«. Sorgen macht allein die Heimatfront.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (5. November 2023 um 13:27 Uhr)
    Habeck leistet sich neben seiner dubiosen oder doch zumindest missverständlichen Ansicht zu den Ursachen des Zweiten Weltkrieges noch ein paar gravierendere Lügen, die seine teils ja durchaus korrekten Anmerkungen zu Antisemitismus und Islamphobie als Lippenbekenntnisse entlarven. So behauptet er wahrheitswidrig, die Hamas würde für »den Tod aller Juden« kämpfen. Tatsächlich heißt es dementgegen in der Hamas-Charta: »Unter dem Islam können die Angehörigen der drei Religionen Islam, Christentum und Judentum in Sicherheit und Ruhe miteinander leben«. Im 2017 verbaschiedeten Grundlagendokument der Hamas heißt es noch etwas deutlicher: »Islam is against all forms of religious, ethnic or sectarian extremism and bigotry«, »Hamas affirms that its conflict is with the Zionist project not with the Jews because of their religion« und »Hamas rejects the persecution of any human being or the undermining of his or her rights on nationalist, religious or sectarian grounds«. Habeck lügt auch über den Iran, nämlich dass dieser kein friedliches Miteinander »von Juden und Muslimen« und keine Zweistaatenlösung wolle. Fakt ist demgegenüber, dass Juden im Iran gemäß Artikel 13 der iranischen Verfassung den Status einer geschützten Minderheit genießen, die ihre Religion frei ausüben kann. Nach Artikel 64 der Verfassung wählen die iranischen Juden sogar einen eigenen Abgeordneten in das iranische Parlament. Das jüdische Krankenhaus in Teheran wird sogar zum Teil vom Staat mit finanziert. Behandelt werden dort auch viele Muslime. Irans Staatschef Khamenei hat schon vor Jahren ausdrücklich erklärt, dass der Iran eine Zweistaatenlösung für Palästina akzeptieren wird, so sie denn von den Palästinensern gewollt wird. Schließlich noch Habecks fragwürdige Bemerkung, dass Freunde Putins »gewiss keine Freunde der Jüdinnen und Juden« seien. Ist etwa der Ex-Kanzler Schröder neuerdings Antisemit?! Schade, das Habeck ein paar durchaus gute Worte mit soviel Falschheit diskreditiert.

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