Friedhof für Kinder
Von Knut Mellenthin
Tod und Zerstörung im palästinensischen Gazastreifen gehen weiter. Die israelische Luftwaffe hat am Mittwoch am zweiten Tag hintereinander das Flüchtlingslager Dschabalija mit Bomben und Raketen attackiert. Mehrere Gebäude stürzten ein, unter deren Trümmern sich noch weitere Opfer befinden können. Das Gesundheitsministerium in Gaza schätzte die Gesamtzahl der Toten und Verletzten in Dschabalija am Dienstag auf etwa 400, darunter erneut zahlreiche Kinder. Über den zweiten Angriff waren bis jW-Redaktionsschluss keine genauen Zahlen bekannt. Die UNO ging am Mittwoch nachmittag von Dutzenden Zivilisten aus, die bei dem Angriff getötet wurden.
In sozialen Netzwerke kursierten sofort schreckliche Bilder von verstümmelten Leichen. Vor dem nahe gelegenen Indonesischen Krankenhaus waren Reihen weißer Leichensäcke zu sehen. Die Klinik wurde mit Verletzten überschwemmt, berichtete dpa. Die Al-Kassam-Brigaden erklärten, unter den Toten befänden sich auch sieben der insgesamt mindestens 240 in Gaza festgehaltenen Geiseln, darunter drei ausländische Staatsbürger. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Am Mittwoch morgen dann erneut über Stunden ein Totalausfall der Kommunikations- und Internetdienste.
Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben bis zum frühen Mittwoch nachmittag 8.796 Palästinenser getötet. 3.648 von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gewesen. Offizielle israelische Stellen zweifeln diese Angaben immer wieder an, und auch US-Präsident Joseph Biden war sich vor einigen Tagen nicht zu schade, in den Chor der Leugner einzustimmen. Tatsache ist aber, dass diese Größenordnung von verschiedenen UN-Unterorganisationen bestätigt wird, die im Gazastreifen Gesundheitszentren, Krankenhäuser und Schulen mit Hunderten von Mitarbeitern betreiben, soweit das unter den Angriffen der IDF und der israelischen Blockade von Wasser, Strom und Treibstoff noch möglich ist.
Das israelische Militär – abgekürzt IDF für »Israel Defense Forces« – behauptete wie üblich, der Angriff auf Dschabalija habe ausschließlich einer Gruppe von Kämpfern der Hamas gegolten, die in diesem Flüchtlingslager eine »Hochburg« habe. Palästinensische und internationale Medien haben keine Möglichkeiten, derartige Aussagen zu überprüfen. Ihre Arbeit wird durch die wahllos erscheinenden israelischen Angriffe stark behindert – bis Mittwoch wurden bereits 31 Journalisten getötet. Angesprochen auf die getroffenen Zivilisten hatte ein IDF-Sprecher am Dienstag abend gegenüber CNN erklärt, das sei »die Tragödie des Krieges«. »Wir sagen schon seit Tagen, zieht nach Süden.« Die Gesamtzahl der »Terrorziele«, die seit Kriegsbeginn am 7. Oktober angegriffen wurden, wurde von den IDF am Mittwoch mit 11.000 angegeben. Nach den Erzählungen der IDF werden ausschließlich »Terrorziele« bombardiert oder beschossen, was nach den vorliegenden Berichten mit Sicherheit weit von der Wahrheit entfernt ist. Nach Zählung des Senders Channel 14 wurden bislang mindestens »9.525 Terroristen eliminiert«.
Der Küstenstreifen, in dem zwischen zwei und 2,3 Millionen Menschen leben, sei »zum Friedhof für Tausende Kinder geworden«, hatte am Dienstag UNICEF gemahnt. Zu den Luftangriffen kommen demnach als Folge des extremen Wassermangels die Ausbreitung von Krankheiten und die Gefahr lebensbedrohlicher Austrocknung hinzu. Mindestens 6.300 Kinder seien bei den israelischen Angriffen verletzt oder getötet worden: an jedem einzelnen Tag im Durchschnitt 420 palästinensische Kinder.
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Gaza braucht Hilfe
Wenn wir über das heutige Polen mit seinen klerikal-faschistischen Zügen kritisch berichten, sollten wir ähnlich auch über die Entwicklung Israels diskutieren und kritisieren. Hinzu kommt geostrategisch die Tatsache, dass insbesondere der US-Imperialismus einen zionistisch geprägten Staat als Brückenpfeiler in Nahost bestens instrumentalisiert. Die zweite Tatsache ist gegeben durch das Schicksal der Palästinenser, die bis heute nicht verhindern konnten, dass ihr Grundrecht auf Leben und Sicherung ihres Eigentums, sowie ein Leben in Frieden, momentan zum Scheitern verurteilt ist. Das hat zum einen mit der oben beschriebenen Tatsache des zionistischen Staates, aber auch mit dem Stand der Gegenkräfte zu tun.
Genauer: solange Teile der arabischen und iranischen Welt die Lösung dieses Konflikts darin sehen, die Juden und den gesamten zionistischen Staat ins Meer zu versenken, ist auch nicht der leiseste Hauch einer realistischen Politik in Richtung Koexistenz zweier Staaten zu spüren. Gaza ist zur Zeit der furchtbarste Ausdruck für die Vergeblichkeit von Gerechtigkeit und Frieden dieser gesamten Region.