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Aus: Ausgabe vom 01.11.2023, Seite 8 / Ausland
Proteste in Guatemala

»Sie sind lebenswichtig für unsere Demokratie«

Proteste in Guatemala dauern an. Regierungspartei im Visier der Staatsanwaltschaft. Ein Gespräch mit Julio Alejandro Fion Corzantes
Interview: Thorben Austen
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Teilnehmende eines Protestmarsches in Guatemala-Stadt (20.10.2023)

Ende September geriet das Oberste Wahlgericht von Guatemala, kurz TSE, in die Schlagzeilen. Auf Bestreben der Staatsanwaltschaft und gegen den Willen von Richtern und Mitarbeitern wurden originale Wahldokumente bei einer Durchsuchung beschlagnahmt. Was ist der Hintergrund?

Die Vorgänge sind Teil der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft wegen des Registrierungsverfahrens der Partei Movimiento Semilla. Aus Sicht der Justizbehörde gibt es Unregelmäßigkeiten im Einschreibungsverfahren der Partei. Die werden zum Anlass genommen, um ein Verfahren einzuleiten, das der Partei den legalen Status als politische Partei entziehen könnte. Die Durchsuchung unserer Räume war der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Ermittlungen, die stattgefunden haben. So zum Beispiel im Registro Cuidadano (Bürgerregister, jW). Zu befürchten ist, dass die Verfolgung von Semilla jetzt, da die Wahlperiode am Dienstag endete, noch zunehmen wird. Denn damit endet die Phase, in der Parteien nach dem Gesetz nicht suspendiert werden können.

Die Beschlagnahme der Dokumente erfolgte unter Einsatz von Polizeigewalt, wie verschiedene Medien berichteten. Es sollen unter anderen Richterinnen und Richter dabei verletzt worden seien. Was können Sie dazu sagen?

Die Vorgänge wurden öffentlichgemacht. Die Staatsanwaltschaft ging mit einem übertriebenen Polizeiaufgebot vor, obwohl die Kollegen hier im TSE durchaus ihre Kooperation angeboten hatten. Sie hatten der Polizei sogar die Türen geöffnet. Ich sage das in meinem Namen: Der Polizeieinsatz war übertriebenes Vorgehen gegen eine offizielle staatliche Institution, wie das Wahlgericht nun mal eine ist. Die politische und juristische Situation in Guatemala ist ohnehin sehr angespannt.

Wie blicken Sie auf die großen Mobilisierungen, die in den vergangenen Wochen stattgefunden haben? Es gab Straßenblockaden, große Demonstration, ein Protestcamp vor der Staatsanwaltschaft.

Die Bürgerbewegungen und Mobilisierungen der indigenen Autoritäten sind sehr wichtig vor dem Hintergrund von Ermittlungen gegen eine Partei, die demokratisch gewählt ist, die den gewählten Staatspräsidenten und die Vizepräsidentin stellt sowie eine bedeutende Fraktion im Parlament hat (23 von 160 Sitzen, jW). Jeder hat das Recht auf friedliche Demonstrationen. Meines Erachtens sind die aktuellen Proteste lebenswichtig für unsere Demokratie. Der scheidende Staatspräsident Alejandro Giammattei sagte, er unterstütze den Regierungswechsel zur Semilla-Partei. Aber seine Aktionen sprechen eine andere Sprache. Der Innenminister Napoleón Barrientos ist vergangene Woche zurückgetreten und kündigte in diesen Tagen an, ins Exil zu gehen. Er war Vertrauter von Alejandro Giammattei. Das sind in der Tat besorgniserregende Vorgänge.

In nationalen und internationalen Medien, von Institutionen wie der von Washington dominierten Organisation Amerikanischer Staaten, OAS, den USA und der Europäischen Union ist zu hören, in Guatemala sei ein Staatsstreich in Gange. Wie ist Ihre Einschätzung?

Als Rechtsberater des Obersten Wahlgerichtes rate ich dazu, weiterhin Vertrauen in die Instanzen des Staates zu haben. Die Wahlen vom 20. August hatten ein klares Ergebnis: Bernardo Arévalo hat die Stichwahl deutlich gewonnen. Wir müssen in den Dialog treten und alles dafür vorbereiten, damit Arévalo am 14. Januar 2024 sein Amt antreten kann. So sieht es die Verfassung vor.

Julio Alejandro Fion Corzantes arbeitet als Rechtsberater beim Wahlgericht Tribunal Supremo Electoral (TSE) in Guatemala-Stadt

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