Komplize in Übersee
Von Jakob Reimann
Ein Ende der Gewalt in Nahost ist nicht in Washingtons Sinne. »Wir glauben nicht, dass ein Waffenstillstand im Moment die richtige Antwort ist«, erklärt John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, am Montag (Ortszeit), angesprochen auf die US-Position zu den global lauter werdenden Forderungen nach einem Waffenstillstand in Gaza. Denn »die Hamas sind die einzigen, die davon profitieren würden«. Dass auch die über zwei Millionen im Küstenstreifen eingeschlossenen Zivilisten durchaus von einem Waffenstillstand »profitieren« könnten, scheint Kirby nicht in den Sinn zu kommen. Denn: »Es herrscht Krieg.« Und der sei nun mal »blutig«, so der Berater auf einer Pressekonferenz vergangene Woche. »Er ist hässlich, und er wird unschön sein.«
Auch die Legislative steht in Sachen Krieg und Frieden fest an der Seite der Regierung von Joseph Biden. Mit lediglich 18 Abgeordneten unterstützen nur rund zehn Prozent der Demokraten im US-Repräsentantenhaus die von Teilen des progressiven Flügels der Partei eingebrachte »Ceasefire Now«-Resolution, die ein Ende der Gewalt und humanitäre Hilfen für Gaza fordert, heißt es im linken jüdischen US-Magazin Jewish Currents. Selbstredend unterstützt kein einziger Republikaner die von der Parteilinken Cori Bush eingebrachte Resolution. Die USA trügen eine »einzigartige Verantwortung« dafür, alle »diplomatischen Mittel auszuschöpfen, um Massengreueltaten zu verhindern und Leben zu retten«, erklärte die Initiatorin Bush.
Zwei parallele Kriege
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei dem über 1.300 Menschen getötet wurden, hat Washington wiederholt seine bedingungslose Unterstützung des israelischen Vergeltungsschlags bekräftigt. Das Weiße Haus wurde umgehend in den Farben der israelischen Nationalflagge angestrahlt, und bereits drei Tage nach Kriegsbeginn machten sich die ersten Waffenlieferungen aus den USA auf den Weg über den Atlantik; das Pentagon werde »seine Bestände überprüfen«, um in Erfahrung zu bringen, welche Waffen in Konkurrenz zum Verbündeten in der Ukraine nun zusätzlich an Israel abgegeben werden können, berichtete AP am 10. Oktober. Auch folgte umgehend die Zusicherung, dass beide Kriege parallel weiter angefeuert werden können und die israelische Seite nicht zu kurz kommen wird. Die US-Regierung werde »sicherstellen, dass wir ihre Bedürfnisse (die israelischen, jW) so gut und so schnell wie möglich befriedigen«, so Sprecher Kirby, die USA seien »wirtschaftlich lebensfähig und dynamisch genug, um beide zu unterstützen«. Wenn dafür neue Gelder im Kongress beantragt werden müssten, »werden wir das auf jeden Fall tun«. Gesagt, getan. Eine Woche später warb US-Präsident Biden in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung für ein neues Militärpaket über 105 Milliarden US-Dollar. 61 Milliarden sind davon für die Ukraine vorgesehen und 14 Milliarden für Israel (das Paket enthält auch 14 Milliarden für den Kampf gegen Geflüchtete an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze und sieben Milliarden für die Unterstützung von Alliierten im Säbelrasseln gegen China).
Stunden nach dem Angriff der Hamas beorderte das Pentagon eine Flugzeugträgerkampfgruppe ins östliche Mittelmeer; samt Kriegsschiffen, Kampfjets, Helikoptern und 5.000 Soldatinnen und Soldaten. Eine Woche später entsandte Verteidigungsminister Lloyd Austin einen zweiten Flugzeugträger vor Israels Küste. Auch wurden in US-Basen im gesamten Nahen Osten zusätzliche Kampfjets und Truppen stationiert. Diese Entsendungen dienen der Abschreckung von lokalen Gruppen, die mit dem Iran verbündet sind; insbesondere der Hisbollah im Libanon, die als weltweit am schwersten bewaffneter nichtstaatlicher Akteur gilt.
In Irak und Syrien greifen proiranische Gruppen vermehrt US-Stellungen an. Washington ist besorgt, dass die vom israelischen Militär großangelegte Bodenoffensive in Gaza zu verstärkten Angriffen auf US-Einrichtungen im Nahen Osten führen könnte. So soll Israel gar einer Bitte der US-Führung nachgekommen sein, die Offensive zu verschieben, so dass die USA Zeit hätten, um weitere Raketenabwehrsysteme und Truppen in Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Jordanien und Kuwait zu stationieren, berichtete das Wall Street Journal. Unterdessen werden im Pentagon Pläne ausgearbeitet, um im »Worst-case-Szenario« rund 600.000 Personen mit US-Pass aus Israel sowie 86.000 weitere aus dem Libanon schnellstmöglich zu evakuieren, berichtet die Washington Post vergangene Woche. »Die Administration ist sehr, sehr, sehr besorgt, dass die Sache aus dem Ruder läuft«, wurde dort ein US-Offizieller zitiert. Zahlreiche US-Transportflugzeuge sollen bereits in der griechischen Hafenstadt Chania eingetroffen sein.
Die Unterstützung Israels durch die USA reicht auch in den Bereich direkter militärischer Beteiligung hinein. So ist ein Kontingent US-Spezialeinheiten vor Ort und »unterstützt Israel nun mit nachrichtendienstlichen Informationen und Planungen«, berichtet AP unter Berufung auf Verteidigungsminister Austin. Laut der Militärwebsite Arab Military sollen »amerikanische Spionageflugzeuge« über dem südlichen Gazastreifen Aufklärung betreiben. Durch ihre fortwährende Unterstützung des israelischen Militärs könnte sich die US-Regierung nach internationalem Recht an Israels »Völkermord am palästinensischen Volk« mitschuldig machen, warnte eine Gruppe von Rechtswissenschaftlern des Center for Constitutional Rights in einem elf Tage nach Kriegsbeginn veröffentlichten Bericht. Die US-Unterstützung könnte demnach »das Maß der Komplizenschaft an diesem Verbrechen nach internationalem Recht erreichen«.
Hintergrund: US-Präsenz in Syrien und Irak
Unabhängig vom gegenwärtigen Gazakrieg haben sich die US-Streitkräfte schon seit Jahren in Syrien und im Irak festgesetzt. 900 Militärangehörige sind es in Syrien und 2.500 im Irak. Hinzu kommt eine unbekannte, im Irak vermutlich hohe Zahl von Mitarbeitern privater Sicherheitsfirmen.
Der völkerrechtliche Status der US-Kontingente in beiden Ländern unterscheidet sich erheblich: Die Truppen in Syrien befinden sich dort gegen den ausdrücklichen Willen der international anerkannten Regierung in Damaskus, also eindeutig widerrechtlich. Dagegen können sich die US-amerikanischen Streitkräfte für ihre Anwesenheit im Irak auf eine formale Bitte der Regierung in Bagdad berufen. In beiden Ländern wird die Militärpräsenz der USA mit dem Kampf gegen die militärisch längst geschlagene und praktisch bedeutungslose Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) begründet. Im Irak sollen die US-Soldaten die dortigen regulären Streitkräfte als Ausbilder, Ausrüster und Berater unterstützen. In Syrien hingegen arbeiten die US-Truppen mit regierungsfeindlichen Kräften zusammen.
Im Irak waren auf dem Höhepunkt des im März 2003 begonnenen Angriffskrieges bis zu 170.000 US-Soldaten stationiert. Barack Obama zog sie während seiner Amtszeit als Präsident im Jahr 2011 bis auf wenige hundert Mann ab. Seit Juni 2014 kehrten US-Truppen bis zu einer Stärke von fast 5.000 Mann in den Irak zurück. Nach der Niederlage des IS endete ihre Mission im Dezember 2021, doch 2.500 Soldaten blieben unbefristet weiterhin im Land.
Nach Syrien wurden US-Truppen im September 2014 geschickt, um einerseits IS-nahe Kräfte zu bekämpfen, aber gleichzeitig auch, um regierungsfeindliche Milizen zu unterstützen. Sie erreichten eine maximale Stärke von 2.500 Mann. Präsident Donald Trump, der im Wahlkampf 2016 ihren Abzug versprochen hatte, beließ schließlich doch die jetzigen 900 Soldaten in Syrien. (km)
Immer noch kein Abo?
Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.
Ähnliche:
- Hamas/Handout via REUTERS25.10.2023
Tod im Kreuzfeuer
- Lev Radin/Pacific Press Agency/imago26.09.2023
Ohne Palästina
- Raneen Sawafta/REUTERS24.02.2023
Raketen nach Blutbad
Mehr aus: Schwerpunkt
-
»Nadelstiche« gegen US-Präsenz
vom 01.11.2023