Alles für den Kanal
Von Ingar Solty
Panama, der Ministaat am Isthmus zwischen Nord- und Südamerika, ist ohne »seinen« Kanal nicht zu denken. Die 82 Kilometer lange Wasserstraße zwischen Atlantik und Pazifik löste die Kap-Horn-Route ab, was auf der Strecke New York–San Francisco 20.000 Kilometer Seeweg einsparte. Das macht den Panama- neben dem Suezkanal zur bis heute bedeutendsten von Menschen geschaffenen Wasserstraße. Eröffnet wurde er 1914, elf Jahre nach der Staatsgründung.
Erste Ideen zu einem Kanal reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück. Nach dem kalifornischen Goldrausch von 1849 wurde vom kolumbianischen Staat, zu dem das Gebiet des heutigen Panama gehörte, eine Lizenz für den privatkapitalistischen Bau einer sechs Jahre später vollendeten Eisenbahn vergeben. Der durch die Goldfunde ausgelöste Boom und die Errungenschaften im Eisenbahn- und Schiffbau schufen ab den 1850er Jahren die erste kapitalistische Globalisierungswelle. Der 164 Kilometer lange Suezkanal, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet, wurde 1869 durch Ferdinand de Lesseps gebaut. Nach seinem Erfolg am Suez erhielt er auch den Auftrag für den Bau des Panamakanals, wofür die kolumbianische Regierung 1878 eine Konzession erteilte.
Am 1. Januar 1881 begannen die Arbeiten. Aber das Projekt scheiterte grandios: 287 Millionen US-Dollar waren ausgegeben, dann kam die Insolvenz. Die Investoren verloren nur ihr Geld, die Arbeiter ihr Leben. Bis zur Pleite waren 22.000 bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen.
Zur Besonderheit des Investorenprojekts gehörte, dass die Finanzierung über 800.000 französische Kleinstaktionäre lief. Die Lage vor Ort war vor ihnen geheimgehalten worden. Mit der Pleite wurden sie um ihr Geld gebracht. Um die bröckelnde Finanzierung zu sichern, hatte Lesseps noch versucht, eine nationale Lotteriegesellschaft zu gründen. Zu diesem und zum Zwecke der Geheimhaltung wurde systematisch geschmiert. Es kam zu einem der größten Korruptionsskandale in Frankreichs Geschichte. Unzählige Staatsmänner, Beamte und ganze Zeitungsredaktionen waren verstrickt. Allein 104 Parlamentarier hatten Gelder von der Panama Canal Co. empfangen. Die »Panama-Geschichte«, schrieb damals Friedrich Engels an August Bebel, »schlägt alles«. Seine Hoffnung allerdings, dass die Affäre »der Bourgeoisrepublik den Hals bricht«, erfüllte sich nicht.
Bogotá lehnt ab
1894 wurde für die Aktienverwaltung und Aufrechterhaltung der Infrastruktur ein neuer Konzern, die Compagnie Nouvelle du Canal de Panama (CNCP), gegründet. Als Preis wurden 109 Millionen US-Dollar aufgerufen. Die Pleite hatte allerdings die Grenzen privater Investitionsvorhaben aufgezeigt. Nun trat die US-Regierung auf den Plan, die im Übergang zum organisierten Kapitalismus und Zeitalter der rivalisierenden Imperialismen aktiv die US-Kapitalexpansion förderte. Im Spooner Act (1902) erteilte der Kongress Präsident Theodore Roosevelt das Recht, die CNCP-Wertbestände zu kaufen.
Washington bot einmalig zehn Millionen und die Zahlung einer jährlichen Pacht von 250.000 US-Dollar. Vom US-Senat am 14. März 1903 abgesegnet, wurde der Vertrag im kolumbianischen Parlament abgelehnt. Roosevelt reagierte aggressiv. Er »glaube nicht, dass man es diesem Haufen Karnickel in Bogotá erlauben sollte, auf Dauer einen der großen künftigen Verkehrswege der Zivilisation zu versperren«. »Unsere Feinde« in der »kleinen Wildkatzenrepublik« hätten einen »kriminellen Fehler« begangen. Seinem Außenminister John Hay eröffnete er zwei Optionen: »1. Nicaragua übernehmen oder 2. sich auf die eine oder andere Weise einmischen, wenn es nötig wird, um die Route in Panama ohne weitere Verhandlung mit (…) Bogotá zu schützen«. Man entschied sich gegen einen Alternativkanal in Nicaragua und für die zweite Option.
Die USA zettelten nun mit Hilfe korrupter Eliten einen Putsch an. Die winzige Gruppe von Verschwörern bestand im Grunde ausschließlich aus Mitgliedern der lokalen Kompradorenbourgeoisie, der maßgeblich angehörten: der Bankier José Agustín Arango (später Außenminister), der Panama-Eisenbahnunternehmer Manuel Amador (später erster Präsident), der Geschäftsmann Federico Boyd (später Junta-Minister) und der in den USA ausgebildete Unternehmer Tomás Arias (später Arangos Sekretär und Parlamentspräsident).
Finanziert wurde der Putsch von Philippe Jean Bunau-Varilla, einem der größten CNCP-Aktionäre. Nach dem kolumbianischen Votum hatte er einen Baustopp oder Nicaragua-Plan befürchtet. Darum war er durch die USA gereist und hatte gemeinsam mit dem New Yorker Lobbyisten William N. Cromwell die Mär von verheerenden Vulkantätigkeiten in Nicaragua verbreitet. Von New York aus bereitete er in enger Zusammenarbeit mit Präsident Roosevelt den Putsch vor. Am 3. November 1903 übernahm die Gruppe der Verschwörer mit Unterstützung einiger lokaler Militärs die regionalen Regierungsgebäude und erklärte die Unabhängigkeit. Die neue – US-Kapitalexportinteressen begünstigende – Verfassung hatte Bunau-Varilla da bereits in der Tasche.
Putsch unterstützt
Die US-Kriegsflotte hielt ihr Versprechen und unterstützte den Putsch. Sie hielt die kolumbianischen Truppen mit dem Schlachtschiff »USS Nashville« von einer Rückeroberung ab. Die Einheiten, von Kolumbiens Regierung zur Auflösung des Putsches auf ihrem Staatsgebiet entsandt, wurden von US-Militärs in eine Falle gelockt und festgenommen. Zwei Tage später landeten 400 Marinesoldaten, kurz darauf tauchten acht weitere US-Kriegsschiffe vor der Küste auf. Eine weitere kolumbianische Gegenwehr war ausgeschlossen.
Laut dem US-Historiker Thomas Schoonover gab die Roosevelt-Regierung den Putschisten vorab Garantien, dass man eine separatistische Staatsgründung sofort anerkennen würde. Dafür spricht, dass sie – ohne jede Debatte im Kongress – bereits eine Stunde nach der Meldung über den Sieg der Putschisten Panama durch ihren Konsul in Kolumbien anerkennen ließ. Die neue Flagge über der Präfektur in Colón hisste ein Major der US-Armee, William Murray Black. Schon am 13. November lud man die Putschisten zum Staatsempfang.
Natürlich stritt die US-Regierung jegliche Beteiligung ab. Alles sollte wie eine Volksrevolte aussehen. Noch in seiner Autobiographie log Roosevelt: »Niemand mit Verbindungen zur amerikanischen Regierung war Teil der Vorbereitung, Aufstachelung oder Ermutigung der Revolution.«
Der von Kolumbiens Parlament abgelehnte Vertrag wurde von der Putschregierung verabschiedet. Präsident Amador machte Bunau-Varilla sogleich zu Panamas US-Botschafter und stattete ihn mit allen Vollmachten aus, die Baufortsetzung mit US-Außenminister Hay zu vereinbaren. Alle US-Forderungen wurden noch im selben Monat im Hay-Bunau-Varilla-Vertrag erfüllt. Von den Verfassern der ersten umfassenden Geschichte des Kanals, Noel Maurer und Carlos Yu, wird der Inhalt des Abkommens so zusammengefasst: Bei diesem »wurden alle Einnahmen aus dem Verkauf (…) dem Staat Panama vorenthalten. Er erlaubte es ihm auch nicht, Steuern oder ›Zuzahlungen oder Nutzungsgebühren (…)‹ auf den Kanal, seine subsidiären Unternehmen, die Panama Railroad oder ihre Beschäftigten zu erheben. Die USA erlangten ferner das Exklusivrecht auf Gesetzgebung und Rechtsausübung innerhalb eines 22-Meilen-Korridors (…) sowie die unilaterale Autorität, die Zone auf alle Gebiete auszuweiten, welche die USA als ›notwendig und nützlich erachteten für den Bau, die Instandhaltung, den Betrieb, die Entsorgung und den Schutz des besagten Kanals oder aller Zusatzkanäle oder anderer Einrichtungen‹. Mit dem Vertrag verpflichtete sich Panama des weiteren zur Übernahme der gesamten Kapital- und Betriebskosten.« Im Gegenzug leisteten die USA eine sofortige Einmalzahlung von zehn Millionen US-Dollar. »Diese Bedingungen waren«, so Maurers und Yus Fazit, also »dieselben Bedingungen, die 1902 noch wütend zurückgewiesen worden waren«.
Recht auf Intervention
Zudem ließen die USA nach dem Vorbild des 1898 – nach siegreichem Krieg gegen Spanien – kurzzeitig annektierten Kubas in Panamas Verfassung hineinschreiben, dass sie jederzeit »einmarschieren könnten (…), um die öffentliche Ruhe und die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen«. Auch wurde – ebenfalls nach kubanischem und philippinischem Vorbild – die Dollardiplomatie wirksam. Im Zuge einer »Finanzreform« wurden alle diese Länder auf den Goldstandard umgestellt, wodurch in den USA überakkumuliertes Kapital massenhaft in diese Länder abfließen konnte. Und schließlich, so die Historikerin Emily S. Rosenberg, »wurde der Panamakanal zum zentralen Mosaikstein von (Roosevelts) ›Großmarine‹-Strategie, da sie eine Zwei-Ozeane-Handels- und Militärmachtstellung ermöglichte.«
Nur zu verständlich, dass ein solcher Vertrag später den Zorn der Bevölkerung auf sich zog, als klar wurde, was Bunau-Varilla im Sinne einer Interessenübereinstimmung zwischen lokalen Eliten und der Washingtoner Regierung »für die Ewigkeit«, so die vertragliche Formulierung, ausgehandelt hatte. Nach Bekanntwerden der Details kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den US-Quasibesatzern und der Bevölkerung. Der heftigste war der Volksaufstand vom 9. Januar 1964 mit dem Ziel, die Souveränität über die Panamakanalzone wiederzuerlangen. Die US-Armee warf ihn blutig nieder.
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