»Die Korruption ist das zentrale Problem«
Interview: Thorben Austen, Guatemala-Stadt
Was motiviert Marktverkäufer wie Sie, sich den Protesten für den Rücktritt von Consuelo Porras und Rafael Curruchiche anzuschließen, denen vorgeworfen wird, den Amtsantritt des Sozialdemokraten Bernardo Arévalo verhindern zu wollen?
Aufgrund fehlender Arbeitsmöglichkeiten ist die informelle Ökonomie ein zentraler Wirtschaftszweig in Guatemala. Viele Menschen finden weder Arbeit noch haben sie Zugang zu qualifizierter Bildung und Ausbildung. Da bleibt zum Überleben nur das eigene Geschäft, ein Verkauf auf den Märkten, ein kleiner Laden oder eine kleine Werkstatt, Reparaturen und andere Dienstleistungen. In der aktuellen Situation der Versuche der Staatsanwaltschaft, den Amtsantritt von Bernardo Arévalo von der Partei Movimiento Semilla zu verhindern, haben 23 Märkte in der Hauptstadt, darunter die beiden größten Märkte in der Zone 4 und in der Zone 12, beschlossen, sich den Streiks und Blockaden anzuschließen und ihr Recht auf friedliche Demonstrationen auszuüben. Wir stehen damit an der Seite des Volkes.
Welche Probleme gibt es für Marktverkäufer in Guatemala?
Die Korruption ist das zentrale Problem in Guatemala. Dies wirkt sich auf die ganze Gesellschaft aus, auf Kinder, Erwachsene, alte Menschen. Der »Pakt der Korrupten« hat die Institutionen des Staates übernommen. Dagegen müssen wir unsere Stimme erheben, die Proteste weiterführen und die Korruption zumindest abbremsen.
Viele Marktverkäufer leben von täglichen Einnahmen durch den Verkauf, was machen sie, wenn sie aufgrund der Teilnahme an den Protesten keine Einnahmen haben?
Das ist tatsächlich ein großes Problem. Zur Zeit funktionieren die Märkte allerdings wieder normal, in der Woche nach dem 9. Oktober hatten aber viele ihre Arbeit eingestellt und sich den Protesten angeschlossen. Konkret wurden die Blockadepunkte überall in der Stadt unterstützt und eigene Demonstrationen der Verkäufer durchgeführt. Manche Kollegen unterstützen aktuell das Protestcamp vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft. Wenn es nötig ist, sind die Verkäufer bereit, die Proteste auszuweiten und wieder in den Streik zu treten.
Die Straßenblockaden sind in den vergangenen Tagen deutlich zurückgegangen, momentan gibt es nur noch wenige Blockadepunkte vor allem im Departamento Sololá. Das Protestcamp vor der Staatsanwaltschaft ist ein Zentrum des Widerstands, allerdings können seit vergangener Woche auch Angestellte das Gebäude wieder betreten und ihre Arbeit fortsetzen. Wie kann der Druck aufrechterhalten bleiben?
Meiner Meinung nach wird es tatsächlich schwer, den schnellen Rücktritt von Consuelo Porras durchzusetzen. Man muss auch bedenken, dass die Korruption und das undemokratische Verhalten der Staatsanwaltschaft eine Geschichte von 20 Jahren hat. Wir werden den Kampf auf jeden Fall fortsetzen.
Welche Aktivitäten finden aktuell vor dem Gebäude statt?
Es gibt Reden, Musikprogramm, Tänze und Marimbas (guatemaltekisches Musikinstrument, jW). Viele Menschen sind die ganze Nacht oder ab den frühen Morgenstunden hier. Es gibt Küchen, in denen auf der Basis von Spenden kostenlose Mahlzeiten zubereitet werden, sogar Grippeschutzimpfungen werden umsonst angeboten.
Wie werden Entscheidungen getroffen?
Es gibt Versammlungen, aber wir sind zur Unterstützung hier. Die prinzipiellen Entscheidungen treffen die 48 Kantone innerhalb ihrer Strukturen, sie waren es auch, die diesen Protest hier initiiert haben.
Alex Garcia gehört zur Volksgruppe der Maya, betreibt auf einem großen Markt in der Zone 12 von Guatemala-Stadt den Verkaufsstand seines verstorbenen Vaters und studiert Jura. Er beteiligt sich seit Anfang Oktober an den Protesten
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