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Aus: Ausgabe vom 21.10.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Rückkehr der Betriebsnudel

Von Arnold Schölzel
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Im vergangenen Jahr wurde der Friedenspreis des deutschen Buchhandels auf der Frankfurter Buchmesse an den ukrainischen Kriegsfan und Autor einer damals gerade erschienenen Textsammlung mit dem Faschistengruß »Slawa Ukraini!« als Titel, Sergij Schadan, verliehen.

Nach solcher Würdigung war es konsequent, dass die Frankfurter Messeleitung – stets um die Freiheit des Wortes bemüht – am 13. Oktober die Verleihung des »Liberaturpreises« des Vereins Litprom an die palästinensische Autorin Adania Shibli »verlegte«, also für die Messe absagte. Einen Tag zuvor hatte der Bundestag eine Entschließung zur Lage in Israel verabschiedet, in der Palästinenser nur als Terrorgruppe Hamas vorkommen. Das koloniale »Ding« – ob Russen, Araber, Afrikaner usw. – interessiert deutsche Politführungskräfte nicht.

Für die Eröffnung der Messe am Dienstag hatten sich die Frankfurter als Vertreter des Gastlandes Slowenien, in dem in jedem Dorf Denkmäler an die Partisanen des Zweiten Weltkrieges erinnern, den Mehrfachprofessor (Ljubljana, London, New York) Slavoj Žižek eingeladen. Auch das war konsequent. Žižek geht im Westen als Philosoph durch, was ungefähr so passt wie der Friedenspreis für Schadan.

Der Slowene hat aus der Idee, dass ein »großer anderer« sein Denken steuert, einige wirre, aber dicke Bücher gemacht. Das jüngste heißt »Die Paradoxien der Mehrlust. Ein Leitfaden für die Nichtverwirrten«. Darin spielen Marx’ »Mehrwert« und Freuds »Lustgewinn« die Hauptrolle. Žižeks wichtigste These lautet ungefähr: »Ein anderer denkt, also bin ich«, wobei ihm der andere wahlweise Marx, Freud, Lenin, Stalin oder Wolodimir Selenskij ist (in Frankfurt am Main kamen noch Adolf Hitler und Reinhard Heydrich dazu). Anders gesagt: Unklarheit ist erste Regel. Žižek ist für den geistigen Niedergang so etwas wie einst Martin Heidegger.

Heidegger begeisterte sich für Hannah Arendt als junge Frau, den Untergang des Abendlandes seit dessen Entstehung und den Antisemitismus. Ab 1933 ff. wollte er den Führer führen, in der BRD gilt er deswegen als bedeutend. Im Vergleich zu Heidegger ist Žižek häufiger in Erregung, vor allem seit Februar 2022. In der Welt rief er im Juni nach Atomwaffen für die Ukraine, im britischen New Statesman forderte er im August von Linken und Liberalen in der Ukraine eine »wahre Einheitsfront gegen den gemeinsamen Feind« und verglich das mit Französischer Revolution und – er ist Slowene – mit Partisanen des Zweiten Weltkriegs. Was macht es da, dass Linke und Liberale von Leuten wie Schadan und Selenskij gejagt werden?

In Frankfurt hielt er eine nur leicht wirre Rede, verursachte aber signalhaftes Einschnappen u. a. beim Antisemitismusbeauftragten des Landes Hessen, Uwe Becker. Žižek hatte die Palästinenser erwähnt, was in Frankfurt am Main ein GAU ist. Becker, der in der Vergangenheit durch Hetze zum Beispiel gegen den israelischen Philosophen Moshe Zuckermann auffiel, brüllte, Žižek setzte Hamas und israelische Regierung gleich. Hatte Žižek nicht getan. Wer aber das Wort »Palästinenser« ausspricht, der stellt sich gegen den Bundestag. Faschistengrüßer Schadan folgt dagegen mit »Slawa Ukraini!« Bundeskanzler und Außenministerin.

Am Tag danach war alles wieder gut, shz.de berichtete über Žižeks Auftritt bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern am Mittwoch: »›Ja, ich wollte die Menschen verwirren‹, sagte er über seine Rede vom Vortag. Aber nicht in dem Sinne, dass er Terror rechtfertige oder relativiere. Er habe nur die Frage gestellt: ›Was ist der Hintergrund, aus dem solche Taten entstanden sind?‹« Becker nannte er einen »antisemitischen Politkommissar« und murmelte etwas von »wie in der DDR«. Damit hatte der Betrieb endgültig seine Nudel zurück.

Das koloniale »Ding« – ob Russen, Araber, Afrikaner usw. – interessiert deutsche Politführungskräfte nicht

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (20. Oktober 2023 um 20:49 Uhr)
    Großartige Satire – mit ein Grund, warum ich die junge Welt seit vielen Jahren mit Begeisterung lese … der Vergleich mit Karl Kraus und Kurt Tucholsky kommt mir bei vielen Artikeln Arnold Schölzels immer wieder in den Sinn. Die Sprache virtuos einzusetzen, wird heutzutage immer seltener (oder ich hab zu wenig Überblick). Herzlichen Dank und bitte noch ein Weilchen weitermachen!

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