»Sollte klar sein, dass es andere Strukturen braucht«
Interview: Fabian LinderIn einer Mitteilung zu einem ausländerfeindlichen Angriff auf einen jungen Syrer in Regensburg kritisierten Sie ein »Einzeltäterproblem« bei der Polizei. Was war passiert?
In Regensburg wurde am 13. Oktober ein junger Syrer die steinerne Brücke hinabgestoßen. Nach Auskunft eines Cousins, mit dem ich vor kurzem sprach, telefonierte er in diesem Moment mit seiner Mutter auf arabisch und wurde unvermittelt von der Brücke gestoßen. Vermutlich von einem Rechtsextremen. Der junge Mann ist erst seit kurzem in Deutschland.
Was gab die Polizei bisher zu dem Fall bekannt?
Die Polizei hat in ihren ersten Mitteilungen zunächst überhaupt nichts von einem rechtsextremen Hintergrund geschrieben. Recherchen der Mittelbayerischen Zeitung ergaben ziemlich schnell, dass der Tatverdächtige bereits durch rechtsextreme Taten aufgefallen und mehrfach vorbestraft ist. Er trug etwa Symbole verbotener und terroristischer Vereinigungen. Nach Berichten des Bayerischen Rundfunks leitete die Polizei nun erste Schritte ein, um zu ermitteln, ob ein rechtsextremes Tatmotiv vorliegt. Der Verein Deutsch-Syrischer Hilfsvereine hat dies in einer Pressemitteilung ebenfalls kritisiert. Die Familie des Syrers geht stark davon aus, dass das arabische Telefonat ein Auslöser für die Tat war.
Sie stellen diese Tat in Zusammenhang mit einer Reihe weiterer Fälle, bei denen die Polizei gegen »Einzeltäter« ermittelt.
Wir hatten uns im Stadtrat dieses Jahr mit dem Sicherheitsbericht der mittelfränkischen Polizei auseinandergesetzt. Dort beschreibt diese den Mörder von Walter Lübcke, aber auch Susanne G., die in Fürth beim Bombenbasteln erwischt wurde, als Einzeltäter bzw. losgelöst von größeren Gruppierungen. Auch der Täter von Halle wird dort genannt. In allen genannten Fällen kann keine Rede davon sein, dass es sich um Einzeltäter handelt. Ich komme etwa selbst aus dem Dorf, in dem Susanne G. lange lebte und bestens integriert war. Sie war aktives Mitglied beim »III. Weg« und arbeitete mit dem Unterstützerumfeld des NSU zusammen, besuchte Prozesse und inhaftierte Rechtsextreme. Hier von Einzeltätern oder »losgelöst von größeren Gruppierungen« zu sprechen ist unverantwortlich.
Wie erklären Sie sich dieses Vorgehen der bayerischen Polizei?
Ein Aspekt wurde vom Recherchenetzwerk »Correctiv« beleuchtet. In einer interaktiven Karte wurde veröffentlicht, welche Rechtsextremisten Waffen besitzen. Im Nürnberger Stadtrat haben wir schon eine Anfrage gestellt. In Franken liegen dazu allerdings keine Statistiken vor, im Rest Bayerns nur rudimentär. An manchen Orten ist es für die Gemeinden oder Kreise ermittelbar. Es ist bekannt, dass sich solche Leute gut vernetzen und organisieren. Bei der Bundeswehr und Polizei fehlen darüber hinaus viele Waffen. Da liegt der Verdacht nahe, dass rechte Netzwerke innerhalb der Polizei bestehen, wie beim NSU-Umfeld bereits deutlich wurde. Auch wenn man hier nicht pauschal jedem Polizisten einen solchen Vorwurf machen kann, ist es dringend notwendig, die Verstrickungen aufzuklären.
Sie fordern von den verantwortlichen Beamten genaues Hinsehen. Angesichts der von Ihnen angesprochenen systemischen Ursachen verfehlt ein solcher Appell vermutlich.
Es sollte klar sein, dass es andere Strukturen braucht, um Gewalt- und Kriminalitätsprävention anzugehen. Die Polizei ist nicht immer der geeignete Partner. Solche Strukturen müssen gesellschaftlich umgedacht werden, was in einem kapitalistischen Staat Grenzen hat. Um diese Aufklärung herbeizuführen, braucht es Ermittlungen von außen statt polizeiintern. Dann gibt es die Möglichkeit von Untersuchungsausschüssen, wie beim NSU-Komplex. In Hessen haben wir allerdings auch die leidliche Erfahrung gemacht, dass hier die Grünen die Akten weiter unter Verschluss halten wollen. Meine Forderung an die Politik ist daher: schonungslose Aufklärung solcher Taten.
Kathrin Flach Gomez ist Landessprecherin der Partei Die Linke in Bayern
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