Wohin steuert die IG Metall?
Von Andreas Buderus und Gerd Pfisterer
Mit mehr als 530 Anträgen bereiten sich die 420 Delegierten derzeit auf den 25. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall vor, der am Sonntag in Frankfurt am Main beginnt. Die innergewerkschaftliche Debatte wird sich dabei nicht auf ökonomische Fragen wie die der Löhne, Arbeitszeiten und Tarifpolitik beschränken. Vielmehr ringen die Metallerinnen und Metaller – wie schon der Verdi-Bundeskongress im September – auch um die politische Positionierung ihrer Organisation in einer Situation multipler Krisen, eskalierender Kriege weltweit und einer gesellschaftlichen Rechtsentwicklung.
Bereits auf dem Verdi-Bundeskongress gab es eine kontroverse Diskussion um die friedenspolitischen Grundsätze der Gewerkschaft, die auch durch den mehr als 14.000mal unterzeichneten Appell »Sagt nein! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden« erreicht wurde. Die dort geführte Debatte kann ein ermunterndes Signal an die Delegierten des IG-Metall-Gewerkschaftstages sein. Zugleich aber auch ein abschreckendes dafür, was passiert, wenn es kein klares Nein gibt. Denn nachdem der Verdi-Kongress am Ende dem Leitantrag des Vorstandes zugestimmt hatte, lehnt es der Verdi-Bundesvorstand jetzt mit ausdrücklicher Berufung auf den Kongressbeschluss ab, zu der bundesweiten Friedensdemonstration am 25. November in Berlin aufzurufen, die sich klar für Abrüstung und Investitionen in Soziales positioniert und von einem breiten Aufruferkreis getragen wird.
Mit 14 Anträgen zum Gewerkschaftstag ist die Auseinandersetzung um die sofortige Beendigung des Ukraine-Kriegs auch eine brennende Frage für die IG Metall. Im Antrag der Geschäftsstelle Schwerin G. 048 heißt es: »Es herrscht Krieg in Europa (…) Unserer Meinung nach ist es wichtig, (…) den Krieg aus klassenspezifischer Sicht zu analysieren. Wie in jedem Krieg geht es vor allem um wirtschaftliche und geopolitische Interessen und Einflussbereiche; um die Interessen von Konzernen, Wirtschaftsbossen und Politiker*innen.«
Der Antrag G. 046 aus Jena-Saalfeld entwickelt eine friedenspolitische Grundsatzposition der IGM in der heutigen Zeit: »Die IG Metall ruft alle Gewerkschafter*innen dazu auf, sich der Eskalation des Ukraine-Kriegs zu einem dritten Weltkrieg entschieden entgegenzustellen und für einen sofortigen Stopp dieses Krieges einzusetzen: Wir verzichten nicht für diesen Krieg – Wir stehen dagegen auf! Die IG Metall verurteilt den brutalen Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine. Auch die NATO eskaliert diesen Krieg. Unsere Solidarität gilt der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in der Ukraine und in Russland, die sich für den Frieden einsetzen. (…) Die Krisen- und Kriegslasten werden in Deutschland auf breite Bevölkerungsschichten abgewälzt. Nur der aktive Protest und Widerstand breiter Bewegungen« könne »die Kriegstreiber zwingen, ihren Kurs zu ändern.«
Der Grundsatzantrag des IG-Metall-Vorstands »Wo wir stehen. Wohin wir wollen« steht dazu im Widerspruch. Unter Punkt 2.5 »Für eine verantwortungsvolle Politik für Frieden und Sicherheit« werden Waffenlieferungen der Bundesregierung in die Ukraine legitimiert. Und indem der Vorstand von einer »notwendigen Ausrüstung der Bundeswehr« spricht, verweigert er eine klare friedenspolitische Oppositionshaltung zum Kriegskurs der Bundesregierung. Ein nachhaltiger Frieden in und für Europa könne nur gefunden werden, »wenn die staatliche Souveränität der Ukraine wiederhergestellt« werde. Und weiter: »Ein genereller Ausschluss von Rüstungsexporten beziehungsweise Waffenlieferungen in Krisenregionen und an kriegführende Staaten steht diesen Zielen entgegen.«
Mit einem solchen »Ja! zu Aufrüstung und Waffenlieferungen« würden die Delegierten die gültige Beschlusslage in ihr Gegenteil verkehren, die die »Unterlassung und Beendigung jeglicher direkter oder indirekter Unterstützung von Kriegen oder kriegsähnlicher Handlungen« fordert und das »Recht aller Menschen auf Schutz vor Verfolgung, Folter und Krieg«.
Zwar findet sich auch im Vorstandsantrag noch der Hinweis, dass eine »Neuaufstellung und Revitalisierung der Friedensbewegung unerlässlich« sei. »Die Tatsache aber, dass der IGM-Vorstand ebenso wie der Verdi-Vorstand es unterlassen hat, zur bundesweiten Friedensdemonstration am 25.11. in Berlin aufzurufen, zeigt bereits deutlich, dass das nicht mehr als bloße Floskeln auf dem Weg zum von der Regierung eingeforderten Burgfrieden sind«, sagte Hedwig Krimmer, Mitinitiatorin von Sagt nein!
Neben der Kriegsfrage wird der Umgang mit der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung und der Aufstieg der AfD ein wichtiges Thema sein. Der Antrag G.029 fordert einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen Abgeordnete der AfD, ihre Parteifunktionärinnen sowie Mandatsträgerinnen. Die designierte IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner fordert, dass es Aufgabe der Gewerkschaft ist, »den Rechten den Boden zu entziehen« und die AfD zu bekämpfen. Was bedeutet das für eine der größten Einheitsgewerkschaften der Welt? Nach Auffassung einiger Delegierter ist die Grundlage für faschistische Tendenzen und imperialistischen Krieg der Kapitalismus. Eine Reihe von Anträgen fordert eine verstärkte innergewerkschaftliche Diskussion über Alternativen zum kapitalistischen Wirtschaftssystem. Eine rege Diskussion in vielen Delegiertenversammlungen entwickelte sich deshalb auch darüber, dass es angesichts dessen nicht mehr tragbar ist, dass Marxisten-Leninisten die Mitgliedschaft in der IG Metall nach wie vor verwehrt wird. Einen entsprechenden Antrag dazu gibt es aus Landau. »Den Rechten den Boden zu entziehen bedeutet auch, denen nicht die Friedensfrage zu überlassen und dem Antikommunismus keine Chance zu geben«, so Fritz Hofmann, seit 37 Jahren ehrenamtlicher IGM-Funktionär.
Es geht also um nicht weniger als darum, die IG Metall wieder friedenspolitisch zu positionieren: gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden. Spannende Diskussionen und richtungsweisende Beschlüsse sind zu erwarten.
Andreas Buderus ist Mitinitiator von »Sagt nein!«. Gerd Pfisterer ist IGM-Mitglied und war langjähriger Betriebsrat bei Krupp/Rheinhausen und später Betriebsratsvorsitzender bei Hoesch/Dortmund.
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