Limbach macht halbe Rolle rückwärts
Von Ralf Wurzbacher
Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt vorerst Abstand von seinen Plänen, die Cum-ex-Ermittlungseinheit der Kölner Staatsanwaltschaft aufzuspalten. Er habe beschlossen, »die Umsetzung der Organisationsentscheidung anzuhalten«, teilte er den rechtspolitischen Sprechern der Fraktionen im Düsseldorfer Landtag in einem Schreiben vom Sonntag mit, das dpa vorliegt. Sein vor zwölf Tagen im Parlament präsentiertes Vorhaben hatte für parteiübergreifende Kritik und erheblichen Missmut in Justizkreisen gesorgt. Der Schritt wurde gemeinhin als Manöver des Ministers erachtet, die renommierte Cum-ex-Fahnderin Anne Brorhilker zu entmachten.
Wie jW berichtete, sollte die bisher von der Oberstaatsanwältin in Alleinverantwortung geleitete Hauptabteilung H aufgesplittet und zur Hälfte in die Zuständigkeit eines mit der Materie wenig vertrauten Mannes fallen, der aktuell im Justizministerium tätig ist. Die Darstellung Limbachs, Brorhilker entlasten, die Effektivität der Arbeit steigern und Kontinuität bei einem »unvorhergesehenen, etwa krankheitsbedingten Ausfall« gewährleisten zu wollen, wirkte nicht überzeugend. Dagegen hatte etwa Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung »Finanzwende«, vor einem schweren Rückschlag bei der Aufklärung des größten Steuerdiebstahls in der deutschen Geschichte gewarnt. Damit stehe die bisherige Linie, alle Cum-ex-Verbrecher vor Gericht zu bringen, zur Disposition, hatte Schick beklagt. Dagegen gebe es Akteure im NRW-Justizapparat, die »Deals« bevorzugten, mit denen sich Kriminelle von einer angemessen Bestrafung freikaufen könnten.
Nachdem Limbach sein Projekt zuletzt noch verteidigt hatte, gibt er sich nun betont konziliant. Er nehme die Einwände, die selbst von der Generalstaatsanwaltschaft kamen, »sehr ernst«, schrieb er in besagtem Brief, was auch für die Sorge einiger gelte, die Maßnahme könne die Cum-ex-Ermittlungen beeinträchtigen. Ziel aller Überlegungen und Maßnahmen sei es im Gegenteil, das Fahndungsteam »zu stärken, um so noch bessere Bedingungen für die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu schaffen und dadurch umfassende Aufklärung zu ermöglichen«. Gleichwohl könnte Limbachs Rolle rückwärts auch nur eine auf Zeit sein, bis sich die Wogen geglättet haben. Zunächst wolle er sich mit den Verantwortlichen bei der Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft austauschen, bemerkte er. »Wenn wir dabei geeignetere Wege finden, bin ich selbstverständlich auch offen dafür, die in Rede stehende Organisationsentscheidung rückgängig zu machen.« Und wenn nicht?
Auf alle Fälle erscheint das Verhältnis zwischen Limbach und Brorhilker, die sich den Ruf als unbeugsame Kämpferin gegen die »Cum-ex-Bande« erworben hat, nachhaltig zerrüttet. In einem Schreiben an den Personalrat der Staatsanwälte in NRW nannte sie die Aussagen ihres obersten Dienstherrn »widersprüchlich, irreführend und verzerrend«. Das betrifft auch dessen Rolle als »Aktenlieferant« für den in der Warburg-Affäre um Aufklärung bemühten Hamburger Untersuchungsausschuss, der sich unter anderem mit der »Vergesslichkeit« des Bundeskanzlers befasst. Die Abgeordneten warten seit mehr als einem Jahr auf Ermittlungsmaterial aus Köln, darunter brisante E-Mails enger Vertrauter von Olaf Scholz (SPD). Als sie schließlich mit einer Klage drohten, übernahm Limbach demonstrativ das Heft des Handelns, schickte eine Delegation nach Hamburg mit dem Versprechen im Gepäck, die Daten schnellstens zu übermitteln. Und per Brandrede im Landtag schob er die Schuld für die Hängepartie der Kölner Staatsanwaltschaft in die Schuhe.
Laut Brorhilker hatte ihr Haus die fraglichen Daten und Asservate aber schon zwischen März und Mai dieses Jahres ans Ministerium nach Düsseldorf überstellt, wo diese dann monatelang versauerten. Hat Limbach die Akten womöglich zurückgehalten und ein Theater inszeniert, damit keiner merkt, dass er selbst die Aufklärung im Warburg-Komplex behindert? In Hamburg sollen die entscheidenden Unterlagen aus Köln immer noch nicht angekommen sein.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Hermann T. aus 29451 Dannenberg/E. (10. Oktober 2023 um 00:17 Uhr)Es ist gut und überaus wichtig, dass jW, Finanzwende (Gerhard Schick und Mitstreiterinnen u. Mitstreiter), Nachdenkseiten (A. Müller u. a.) die Entwicklung im Blick behalten. Von Frau Brorhilker gibt es im Zusammenhang mit den offensichtlichen Obstruktions-Strategien des (soeben wiedergewählten – warum bloß?) hessischen Finanzministers Boris Limbach (B90/Grüne) gegen die Aufklärung der Vorwürfe gegen den Ampelpartner O. Scholz (noch-Bundeskanzler der BRD, SPD) den niederschmetternden Befund, dass »die Ermittler bei ihrem Prüfverfahren 'mit Rücksicht auf die Stellung' des Regierungschefs wohl nicht ganz so akribisch wie üblich« agierten (Ralf Wurzbacher auf nachdenkseiten.de). Das ist ein weiterer Sargnagel für den Rechtsstaats-Anspruch der BRepublikD: Von wegen »Jeder ist vor dem Gesetz gleich«, ... und »ohne Ansehen der Person« und so weiter ...). Mit Roger Waters kann man jede und jeden hierzulande, die oder der sich diesbezüglich noch Illusionen macht, nur dazu ermuntern: »Resist the idea, that some animals are more equal than others.« - Glaubt ja nicht, dass einige Schweine gleicher sind als andere.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (10. Oktober 2023 um 17:42 Uhr)Meine Recherche zum Namen des hessischen Finanzministers ergibt den Namen Michael Boddenberg (CDU).
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