Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Gegründet 1947 Mittwoch, 6. Dezember 2023, Nr. 284
Die junge Welt wird von 2753 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Aus: Ausgabe vom 06.10.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Tödliche Polizeigewalt

»Ziel ist, Druck auf die Justiz auszuüben«

Suche nach Antworten nach dem Tod seines Bruders. Ein Gespräch mit Mutombo Mansamba
Von Katharina Schoenes
GLOBAL-RACE-GERMANY.JPG
Gegen Rassismus und Polizeigewalt. »Black Lives Matter«-Kundgebung in Berlin (2.7.2021)

Nach dem Tod Ihres Bruders haben Sie sich an die Beratungsstelle »Reach Out« gewandt. Wie kam es dazu?

Den Kontakt habe ich von einem Kripobeamten bekommen, als ich Anzeige gegen die Polizisten erstattete, die an dem Polizeieinsatz beteiligt waren. Bis ich zu »Reach Out« kam, stand ich den Institutionen Polizei, Justiz und Politik ohnmächtig gegenüber. Als ich dann Biplab Basu von »Reach Out« traf und erwähnte, was mir passiert war, wurde er gleich hellhörig und wollte, dass ich die ganze Geschichte erzähle. Von da an fühlte ich mich nicht mehr alleine. »Reach Out« hat vieles übernommen: Sie haben eine Pressekonferenz organisiert, es gab eine Kundgebung am Oranienplatz, sie haben öffentlich Druck ausgeübt.

Im Mai wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat. Wie war Ihre Reaktion?

Vor einem Jahr dachte ich, einzelne Polizisten hätten einen Fehler gemacht und die Justiz werde das aufklären. Aber was dann passiert ist, war, als ob die Justiz mir mit einem Hammer gegen den Kopf geschlagen hätte! Mein Bruder, der an Schizophrenie erkrankt war, wurde in seinem Zimmer von Polizisten aufgesucht. 20 bis 30 Minuten später wurde er leblos aus dem Zimmer getragen. Trotzdem ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Unbekannt, als ob diese Polizisten, deren Namen wir kennen, überhaupt nichts mit der Sache zu tun hätten. Im Einstellungsbescheid steht, es sei kein Fremdverschulden festzustellen, das ist ein Riesenskandal! Ich finde keine Worte, um zu beschreiben, wie ich mich gefühlt habe.

Im August wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen, nachdem Sie Beschwerde eingelegt hatten. Bewerten Sie das schon als Erfolg?

Glücklicherweise hat die Generalstaatsanwaltschaft diese Komödie, diesen schlechten Witz annulliert. Viele haben gesagt, ich solle mich freuen, das sei ein großer Sieg. Ich freue mich aber noch nicht, denn ich bin aus meiner Naivität aufgewacht. Ich war ein Fan der Justiz in Deutschland. Ich stamme aus dem Kongo, den ich vor 40 Jahren verlassen habe. Wenn ich dort war, habe ich den Leuten immer gesagt, ihre Justiz funktioniere nicht gut, sie sollten sich anschauen, wie es in Deutschland läuft. Und plötzlich frage ich mich: Wo habe ich denn gelebt? Unsere Justiz ist genausoschlimm! Ich habe mir Statistiken zu Menschen angesehen, die durch Polizeigewalt gestorben sind, das sind Hunderte! Und diese Fälle wurden nicht einmal durch ein Gericht untersucht.

Am Todestag Ihres Bruders an diesem Freitag veranstalten Sie mit verschiedenen Gruppen eine Gedenkkundgebung in Berlin. Was erwarteten Sie sich davon?

Das Ziel ist, Druck auf die Justiz auszuüben. Der Staatsanwalt, der künftig die Ermittlungen führen wird, muss wissen, dass wir immer noch hellwach sind. Er muss dafür sorgen, dass die Sache vor Gericht landet. Damit alle erfahren, warum die Polizei eine solche Gewalt gegen meinen Bruder ausgeübt hat. Warum hat ein Beamter sein Knie in den Nacken meines Bruders gedrückt, so dass er nicht mehr atmen konnte? Wir wollen Antworten! Ich appelliere auch an den Bundespräsidenten: Er muss den Richtern und Staatsanwälten klarmachen, dass die Justiz unabhängig bleiben muss. Sie dürfen keine kriminellen Polizisten schützen. Nur so kann erreicht werden, dass Polizisten es sich in Zukunft zweimal überlegen, bevor sie einen kranken Menschen angreifen. Solange sie das Gefühl haben, dass die Justiz hinter ihnen steht, wird sich nichts ändern.

Mutombo Mansamba ist der Bruder des vor einem Jahr in Berlin nach einem Polizeieinsatz verstorbenen Kupa Ilunga Medard Mutombo

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

Mehr aus: Schwerpunkt