Bislang null Aufklärung
Von Katharina Schoenes
Vor genau einem Jahr starb Kupa Ilunga Medard Mutombo in Berlin an den Folgen eines brutalen Polizeieinsatzes. Der 64jährige war an Schizophrenie erkrankt und hatte mehr als zwei Jahrzehnte in einem psychiatrischen Wohnheim in Berlin-Spandau gelebt. Weil sich sein Zustand verschlechtert hatte, sollte er in eine Psychiatrie gebracht werden. Am 14. September 2022 rückte die Polizei in Begleitung eines Arztes in dem Wohnheim an, um einen entsprechenden Unterbringungsbeschluss durchzusetzen. Für Mutombo endete die Polizeiaktion tödlich. Die Justiz versäumt es bislang, die genauen Todesumstände sowie ein mögliches Fehlverhalten der beteiligten Polizisten aufzuklären.
Mutombos Betreuer, der während des Polizeieinsatzes am 14. September vor Ort war, beschreibt das Verhalten der Beamten als sehr gewalttätig. Sie hätten Mutombo auf den Boden geworfen und fixiert, ein stämmiger Polizist habe sich auf ihn gesetzt und ihm sein Knie auf den Nacken gedrückt. Das habe ihn an die Todesumstände George Floyds erinnert. Der schwarze US-Amerikaner war im Mai 2020 in den USA im Zuge eines Polizeieinsatzes erstickt worden. Außerdem habe Mutombo Blut gespuckt. Ein Beamter habe ihm das Blut mit einer Decke aus dem Gesicht gewischt.
Anstatt sich zurückzuziehen und Mutombo ärztliche Hilfe zukommen zu lassen, riefen die drei ursprünglich eingesetzten Polizisten 13 weitere Kollegen zur Verstärkung. Diese drangen ebenfalls in Mutombos Zimmer ein und blockierten dessen Tür. Sie brachten sogar Polizeihunde mit, die jedoch nicht zum Einsatz kamen. Zeugen zufolge habe ein Polizist gerufen, Mutombo habe aufgehört zu atmen. Einsatzkräfte trugen den leblosen Mann daraufhin aus dem Zimmer. Es sei im Hof des Wohnheims mindestens 20 Minuten lang versucht worden, ihn zu reanimieren, und schließlich wurde er bewusstlos in ein örtliches Krankenhaus eingeliefert. Fünf Tage später wurde er in die Charité verlegt, wo er am 6. Oktober 2022 verstarb. Mutombo Mansamba, der Bruder Kupa Ilunga Medard Mutombos, erfuhr erst am 21. September, also eine Woche nach dem Polizeieinsatz, vom Zustand seines Bruders. Informiert wurde er nicht von der Polizei, sondern von Ärzten der Charité.
Mansamba wandte sich an die Beratungsstelle »Reach Out«, die ihn dabei unterstützte, den tödlichen Polizeieinsatz öffentlich zu machen. Mansamba und »Reach Out« sind überzeugt, dass die Polizisten für Mutombos Tod verantwortlich sind. Dagegen behauptet die Polizei, Mutombo sei völlig unerwartet kollabiert, während er Widerstand gegen seine Verlegung geleistet habe.
Nachdem »Reach Out« eine Pressekonferenz organisiert hatte, schlug der Vorfall so hohe Wellen, dass sich Mitte Oktober 2022 der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses damit befasste. Dort erklärte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik, es gebe keine Hinweise, dass Mutombos Tod auf Fremdverschulden zurückzuführen sei. Eine Sichtweise, die sich die Berliner Staatsanwaltschaft ein gutes halbes Jahr später zu eigen machte, als sie im Mai 2023 das Ermittlungsverfahren »gegen unbekannte Beamte der Berliner Polizei wegen Körperverletzung im Amt« einstellte. Der zuständige Staatsanwalt begründete die Einstellung damit, dass die Ermittlungen nicht zu einem konkreten Tatverdacht gegen einen oder mehrere der am Einsatz beteiligten Polizisten geführt hätten. Ein Fehlverhalten sei nicht zu erkennen.
Warum Mutombo kollabierte, kann die Staatsanwaltschaft indes nicht erklären. Im Einstellungsbescheid heißt es, als Grund für den Zusammenbruch komme »eine emotionale Stressreaktion« in Kombination mit dem Absetzen von Medikamenten in Betracht. Dagegen steht im Obduktionsbericht, dass ein durch Sauerstoffmangel bedingter Hirnschaden für Mutombos Tod ursächlich gewesen war. Für Biplab Basu, der seit mehr als 20 Jahren Betroffene von Polizeigewalt berät, kommt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht überraschend. Gegenüber jW sagte er, Staatsanwälte würden solche Verfahren grundsätzlich immer einstellen: »Da passiert gar nichts, null.« Das gelte nicht nur für Berlin, sondern auch für Fälle in Frankfurt am Main, Fulda oder Dortmund. Überall lasse sich das gleiche Muster beobachten.
Mansamba hofft dennoch darauf, dass ein Gericht die Umstände des Todes seines Bruders aufklären wird. Deshalb legte er mit seiner Anwältin gegen die Verfahrenseinstellung Beschwerde ein. Mit Erfolg: Im August teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Es bleibt abzuwarten, ob künftig mit mehr Nachdruck ermittelt wird.
Gegen tödliche Staatsgewalt
Verschiedene Gruppen, darunter die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, die Rote Hilfe Berlin, die Initiativen »Ihr seid keine Sicherheit« und »Death in Custody«, rufen anlässlich des Todestags von Kupa Ilunga Medard Mutombo zu einer Kundgebung auf. Im Aufruf heißt es:
»Tödliche Polizei- und Staatsgewalt hat in Deutschland System und wird von den Verantwortlichen und in vielen Teilen der Gesellschaft bagatellisiert und vertuscht. Das zeigen die folgenden Namen von Menschen, die in den letzten Jahren neben Medard von der Berliner Polizei umgebracht wurden: 2016, Moabit: Hussam Fadl wird von der Polizei von hinten erschossen. 2020, Friedrichshain: Maria B. wird in ihrer Wohnung von der Polizei erschossen. 2022, Schöneweide: Der Obdachlose Marcel B. wird von der Polizei angegriffen und stirbt an den Folgen des Polizeieinsatzes. 2023: Im April in Königs Wusterhausen und im Juli in Friedrichshain sterben jeweils Vitali Novacov und Danny Oswald an den Folgen eines tödlichen Polizeieinsatzes.
Alleine im Raum Berlin-Brandenburg sind uns seit 2016 mindestens 18 Menschen bekannt, die durch Polizeieinsätze ums Leben gekommen sind. (…) Insgesamt liegt die Dunkelziffer viel höher, da von der staatlichen Seite alles getan wird, um diese Fälle zu vertuschen. (…) Lasst uns all der Menschen gedenken, die heute nicht mehr bei uns sein können. Machen wir den Verantwortlichen klar, dass wir nicht vergessen oder vergeben haben und dass wir weiterhin für Gerechtigkeit und Aufklärung kämpfen. Zeigen wir laut und deutlich, dass wir tödliche Polizeigewalt nicht einfach so hinnehmen können, wollen und werden. Für eine bessere und sicherere Zukunft für alle.«
(ks)
Kundgebung: Freitag, 6. Oktober, um 16.30 Uhr am Oranienplatz in Berlin
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»Ziel ist, Druck auf die Justiz auszuüben«
vom 06.10.2023
In meinen Augen ist eine juristische Aufarbeitung im konkreten Fall von Kupa Ilunga Medard Mutombo dringend erforderlich. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen wieder aufgenommen, nachdem der Bruder mit einer Anwältin Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt hat.
Die Angehörigen brauchen Antworten, Ermittlungen müssen Klarheit bringen. Es muss geklärt werden, was genau vor Ort passiert ist, wie und warum es zu dem »Großeinsatz« gekommen ist. Der Betreuer war vor Ort, warum hat er nicht klärend und deeskalierend eingegriffen?
Ist es Rassismus und/oder die Angst vor psychisch erkrankten Menschen? Was könnte seitens der Polizei verändert werden? Noch weitere Schwerpunkte in der Polizeiausbildung? Keine schlechte Idee. Andererseits gibt es verschiedene Berufsgruppen mit Fachleuten zu diesen Themen. Bzgl. Psychiatrie erscheint mir eine Vernetzung mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst (SPD) naheliegend. Die Zahl psychischer Erkrankungen nimmt zu, eine enge Zusammenarbeit Polizei und SPD könnte ggf. Eskalationen und Fehlentscheidungen verhindern.
Bei der Polizei Hannover gab es 25 Jahre (bis 2005) das Präventionsprojekt Polizei Sozialarbeit (PPS). SozialarbeiterInnen haben die Polizei bei Bedarf (rund um die Uhr erreichbar) unterstützt, wenn sozialarbeiterische Arbeit und Sichtweisen erforderlich waren. Statt im o.g. Fall von Kupa Ilunga Medard Mutombo 13 Polizeibeamte zur Verstärkung zu rufen, hätten die Beamten und der rechtliche Betreuer (!) bereits im Vorfeld den Sozialpsychiatrischen Dienst einbeziehen können/sollen/müssen.
Die friedliche Kundgebung am 6.10.23 in Berlin hat eine Vielzahl ungeklärter Todesfälle nach Polizeieinsätzen bundesweit deutlich gemacht.
Angehörige werden meist mit den Einstellungen der Verfahren allein gelassen. Es gibt selten Aufklärung, keinen Beistand.
Hier muss sich dringend etwas ändern. Sachliche, gründliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaften sind erste notwendige Schritte.