Keine Antwort vom BND
Von Carmela Negrete
Richtig rund lief es mit der Aufarbeitung von Verbrechen des deutschen Staates noch nie. Dass die Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren zum Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung durch Waffenlieferungen an Faschisten beigetragen hat, ist bisher allenfalls in Umrissen bekannt. Anfang September strahlte die Sendung »Fakt« des MDR einen Beitrag mit dem Titel »Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile ’73« aus. Darin wird berichtet, dass der Bundesnachrichtendienst einen ehemaligen SS-Offizier in Chile auf dem Gehaltszettel hatte, der von der sogenannten Colonia Dignidad aus Waffen aus der Bundesrepublik für die Faschisten organisiert haben soll, die dann einen blutigen Putsch gegen die Regierung von Präsident Salvador Allende durchführten.
Keine Reaktion
Diese Zeitung fragte bei der Bundesregierung an, was sie in diesem Zusammenhang unternehmen will. Die Antwort ist für alle, die auf Gerechtigkeit oder gar auf eine Verfolgung von womöglich noch lebenden Tätern gehofft hatten, ein Dämpfer. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte, dass »der Militärputsch in Chile vor 50 Jahren, mit dem eine demokratisch gewählte Regierung gewaltsam beseitigt wurde«, den »freiheitlichen, demokratischen Werten, zu denen sich die Bundesrepublik schon damals bekannte«, widersprochen habe. Aber auf die Frage, ob es eine umfassende Aufklärung sowie eine Veröffentlichung der betreffenden Akten des BND geben werde, erfolgt keine Antwort. Die Pressestelle des BND reagierte auf eine entsprechende Anfrage nicht einmal.
Der Sprecher des Auswärtigen Amtes weiter in nichtssagendem Beamtendeutsch: »Die Bundesregierung steht nachdrücklich zu unserer Verpflichtung, die Geschichte der ehemaligen ›Colonia Dignidad‹ aufzuarbeiten.« Die Frage, wieso die Errichtung einer Gedenkstätte sich verzögert habe, wird knapp beantwortet: »Auch die chilenische Regierung hat sich zur Einrichtung einer Gedenkstätte bekannt« und »zur weiteren Umsetzung gibt es regelmäßigen Kontakt mit der chilenischen Regierung«. Das Auswärtige Amt erklärt, dass »zunächst die Gründung einer juristischen Person des privaten Rechts notwendig« sei, »die nach chilenischem Recht erfolgen muss«. Die chilenische Regierung habe dafür erste Schritte in die Wege geleitet.
Hilfe für den Putsch
Dass die deutschen Behörden sich so zurückhaltend zeigen angesichts des Ausmaßes an Leid, das den Opfern in Chile zugefügt wurde, ist bemerkenswert, zumal der Putsch von General Augusto Pinochet am 11. September 1973, wie kaum noch bestritten werden kann, von westdeutschen Geheimdiensten unterstützt wurde. Nicht gefallen dürfte der Regierung in der Rückschau auch die Rolle der DDR-Staatssicherheit und von DDR-Diplomaten als Retter von Sozialisten und andere Aktivisten, die in der DDR Asyl bekamen. Dass die USA alle Aktivitäten gegen die Allende-Regierung mindestens unterstützten, ist lange bekannt. Was aber nun dank der Akten der »Colonia Dignidad«, die in Chile freigegeben wurden, ans Licht kommt, ist die Verwicklung des BND und der deutschen Sekte »Colonia Dignidad« in die Vorbereitung des Putsches.
»Humanitäre Hilfe«
Gerhard Mertins, ein ehemaliger SS-Mann, lieferte ebenfalls Waffen nach Chile. Mertins arbeitete seit 1956 für den BND und wurde zu einem der größten Waffenhändler weltweit. Es ist belegt, dass er enge Beziehungen zur »Colonia Dignidad« hatte und die Sekte bei Waffengeschäften unterstützte. Die Akten zeigen, dass offizielle Waffenbestellungen aus dem Jahr 1970 existieren. Aus den Unterlagen geht auch klar hervor, dass die Waffen als humanitäre Hilfe für ein Krankenhaus getarnt wurden. Lieferungen von Pistolen, Gewehren und schwereren Waffen wurden offenbar von einer Krefelder Firma abgewickelt, und es hat sich bestätigt, dass diese Lieferungen durch Ausfuhrgenehmigungen legalisiert worden waren. In der »Colonia Dignidad« des Sektenführers und Antikommunisten Paul Schäfer verbarg sich ein Regime des Schreckens nicht nur für Mitglieder der Sekte, sondern auch für Pinochets politische Gegner.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (3. Oktober 2023 um 23:38 Uhr)Sie beschreiben ja leider mehr als nur eine Tatsache, sondern das Wesen der Außenpolitik jener Wertegemeinschaft des Westens samt Vasallen. Was mir fehlt und dem Frosch die Krone aufsetzt, sind OPERATION CONDOR und OPERATION RUBIKON. Können Sie diesen Zusammenhang bitte in einem Ihrer nächsten Texte klarstellen/aufdecken? Allerdings halte ich die Auffassung, Waffenlieferungen aus der BRD wären für den faschistischen Putsch vom 11. September 1973 von Bedeutung gewesen, für falsch. Dieser Gewaltakt mit Zehntausenden an Toten in Chile wurde von mehreren Regierungen der USA geplant, entwickelt und durchgeführt. Unvergessen: Heinz »Henry« Kissinger, der im selben Jahr den Friedensnobelpreis erhielt. Ich kann seit Jahrzehnten nicht begreifen, dass Titel im Sport wegen Dopings aberkannt werden können, aber dieser Heinz ungeschoren bleibt. Zum Schluss zur DDR-Staatssicherheit: Das Ministerium für Staatssicherheit war eben alles andere als ein Geheimdienst, sondern zum Schutz sämtlicher Regierungs- und staatlichen Institutionen, der wesentlichen Behörden (zum Beispiel des Zolls, des internationalen Flugverkehrs, des Seerechts...) geschaffen worden. Wer in der DDR für den Staat und/oder die Regierung, die Volkskammer oder die anderen Staatsorgane (z. B. Polizei, Grenzschutz, Militär) tätig werden wollte, wurde - wie überall auf der Welt - gecheckt. Niemand wird ungeprüft der Hausmeister im Schweizer Parlament oder die Pförtnerin im Hauptquartier der EU. Mit dem kleinen Unterschied, dass zum Beispiel die Nazitruppe »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« Unmengen an Gift zur Tötung der normalen Menschen in die DDR gebracht und an alte Freundinnen und Freunde verteilt hatten. Im Hauptquartier der EU undenkbar, für die Menschen in der Schweiz nie ein Thema. In der DDR allerdings sehr wohl. Ganz zu schweigen von den Hasstiraden eines Egon Bahr, die die Militärpolizei der US-ARMEE dazu brachte, ihn aus seinem Berliner Rundfunksender zu entsorgen. War denen wohl zu heiß und zu blöde.
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