Auf die Reihenfolge kommt es an: Kinder
Von Marc Hieronimus
Vergessen wir Gene, Klasse, Liebschaften, Sternzeichen – was uns bestimmt, ist die Familie. Einzelkinder neigen bekanntlich bzw. angeblich zu Egozentrismus, Herrschaftsstreben, auch zu Unterwürfigkeit, Hypochondrie, Verletzlichkeit und anderem Unangenehmem. Die besondere Lage des ehemaligen Einzelkindes, also des Erstgeborenen, wird dagegen weniger bedacht. In der Regel ist es nicht das »Pfannkuchenkind«, das die Eltern eigentlich nur in die Tonne kloppen wollen, aber es wird sehr früh entthront und ist fortan mit dem Bruchteil der elterlichen Liebe nicht glücklich, während das nächste, das Sandwichkind, wenn weitere folgen, mit dem Rest Aufmerksamkeit gut zurechtkommt.
Erstlinge neigen laut Alfred Adler zu autoritär-konservativen Zügen, die er exemplarisch bei Fontane und Robespierre aufzeigt. Dem zweiten unterstellt er ein heftigeres Aufwärtsstreben, »das sich bald in verstärkter Energie, bald in heftigerem Temperament, bald auf der Seite des Gemeinschaftsgefühls, bald in einem Fehlschlag äußert«. Die Ausprägung hängt davon ab, wo in den Augen der Eltern, die nun einen Vergleich haben, die Vorzüge und vor allem Schwächen des ersten liegen: Hier kann das zweite ansetzen und wird mit biologischer Gesetzmäßigkeit seinen Vorteil daraus ziehen. Das Jüngste hat potentiell die beste Position. Es muss keine Erwartungen erfüllen, wird von alternden, erfahrenen Eltern geliebt, ohne verwöhnt zu werden, es wächst im Windschatten der anderen auf, ohne sich zwanghaft an deren Zielen orientieren zu müssen.
Gerade weil die Älteren auf dem üblichen Weg schon so weit fortgeschritten sind und bei handwerklicher oder bäuerlicher Herkunft die Nachfolge des Vaters womöglich schon zu ihren Gunsten geregelt ist, bleibt dem »Nesthaken« der Weg frei für eigene Experimente. Viele große Künstler, Wissenschaftler und anders bedeutende Menschen waren Letztgeborene. Soweit der berühmte Freudianer. Ein Beweis für die zwingende Prägung durch den Geschwisterrang ist allerdings noch nicht erbracht.
Immer noch kein Abo?
Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.
Mehr aus: Feuilleton
-
Ein Ritual wird 70
vom 02.10.2023 -
300 Jahre Krieg
vom 02.10.2023 -
Richtung Erholung
vom 02.10.2023 -
Kunst als Waffe
vom 02.10.2023 -
Nachschlag: Der große Reibach
vom 02.10.2023 -
Vorschlag
vom 02.10.2023 -
Veranstaltungen
vom 02.10.2023