Letzter Rückhalt
Von Arnold Schölzel
An diesem Sonnabend endet die Amtszeit des Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs der USA, Mark Milley. Berufen wurde der General am 30. September 2019 auf Vorschlag des damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Der fordert inzwischen die Todesstrafe für Milley, was die Bielefelder Neue Westfälische am Freitag zu der Schlagzeile hinriss: »Exgeneralstabschef aus den USA fürchtet um sein Leben – wegen Donald Trump.«
Das Medieninteresse an Milley ist jedenfalls ungewöhnlich. Am Freitag erläuterte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), warum. NZZ-Korrespondent Christian Weisflog gab dazu eine »ausführliche Retrospektive« des Chefredakteurs der US-Zeitschrift The Atlantic, Jeffrey Goldberg, wieder. Unter der Überschrift »Der Patriot: Wie General Mark Milley die Verfassung vor Donald Trump beschützte« beschreibe Goldberg, wie der höchste Offizier des Landes »die amerikanische Demokratie verteidigt und die Gefahr eines durch den impulsiven Präsidenten provozierten Atomkriegs gebannt haben soll«. Goldberg: »In Amerika sind es die Wähler, die Gerichte und der Kongress, die das Verhalten eines Präsidenten unter Kontrolle halten sollten, nicht die Generäle.«
Ein US-General als letzter Rückhalt des Weltfriedens? Der Episode nach, die Goldberg schildert, verstand zumindest Milley selbst seine Aufgabe so. Weisflog zitiert: »Wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl 2020 erhielt Milley amerikanische Geheimdienstinformationen darüber, dass Peking einen von Trump angeordneten Angriff befürchte. In Absprache mit dem damaligen Verteidigungsminister Mark Esper rief Milley seinen chinesischen Gegenpart, General Li Zuocheng, an. Die USA würden China nicht angreifen, versicherte Milley. ›Wenn wir angreifen, werde ich Sie vorher anrufen.‹« Was daran den chinesischen General beruhigt haben soll, ist gelinde gesagt unklar. Vor der Vernichtung der Menschheit wird telefoniert?
Bei Trump und seinen Anhängern ist Milley wegen dieser Aktion laut Weisflog jedenfalls »abgrundtief verhasst«. Der Expräsident habe auf seinem Kurznachrichtendienst »Truth Social« den General in der vergangenen Woche als »wokes Fiasko« bezeichnet und den Anruf in Beijing als »verräterische Aktion«: »Das Vorgehen ist so ungeheuerlich, in vergangenen Zeiten wäre es mit dem Tod bestraft worden.« Ähnlich habe sich wenig später auch der republikanische Abgeordnete Paul Gosar geäußert: Milley habe vor dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 die Entsendung der Nationalgarde verhindert und das Gebäude damit schutzlos den Demonstranten überlassen, um Trump zu schaden. Gosar: »In besseren Gesellschaften würden Verräter wie der seltsame, sodomiefreundliche General Milley gehängt.«
Der NZZ-Autor meint, Milley soll ab Mitte 2020 »überzeugt gewesen sein, dass der Präsident versucht sein könnte, sich im Falle einer Wahlniederlage auch mit Hilfe des Militärs an der Macht zu halten.« Der General habe seinen Rücktritt erwogen, sich aber entschlossen, »im Amt zu bleiben und Trump ›zu bekämpfen‹«.
Auch gegenüber Joseph Biden hat Milley offenbar auf einem eigenen Urteil bestanden. Er habe, so Weisflog, von einem gänzlichen Abzug aus Afghanistan abgeraten und den in einer Kongressanhörung als »strategisches Versagen« charakterisiert. Weisflog weiter: »Auch im Ukraine-Krieg sprach er im November offen aus, was Biden nur zu denken wagte: Milley legte Kiew nahe, das günstige Zeitfenster zu nutzen, um mit Moskau einen Frieden auszuhandeln.«
Anders als gegen Trump konnte sich der Fachmann gegen die wilde NATO-Siegfriedensclique, in der Scholz und Baerbock vorneweg mitpfeifen, nicht durchsetzen. Sein Rückzug legt offen, wie dünn der Faden ist, an dem Frieden nicht nur in der Ukraine hängt.
Ein US-General als letzter Rückhalt des Weltfriedens? Der Episode nach, die Goldberg schildert, verstand zumindest Milley selbst seine Aufgabe so.
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