ÖVP knickt vor Klerikalen ein
Von Dieter Reinisch
In Österreichs westlichstem Bundesland könnten bald keine Schwangerschaftsabbrüche mehr möglich sein. In Vorarlberg wird der einzige Arzt, der diese noch durchführt, Benedikt Hostenkamp, mit Ende des Jahres in Pension gehen. Eine Nachfolgelösung gibt es nicht. Anders als in anderen Bundesländern ist es in Vorarlberg nicht möglich, einen Schwangerschaftsabbruch in einem Krankenhaus durchzuführen. Die christliche fundamentalistische Rechte nutzt die Lage und hat eine öffentliche Kampagne gestartet. Die Politik im von der konservativen ÖVP regierten Land scheint sich den Fundamentalisten zu beugen.
Gegenüber dem öffentlich-rechtlichen ORF sagte Landeshauptmann Markus Wallner am Dienstag, es sei für ihn »klar, dass in Vorarlbergs Krankenhäusern weiterhin keine Abtreibungen möglich sein werden«. Eine »Durchführung der Fristenregelung ist möglich in einer Ordination außerhalb des Spitals als Privatordinationsleistung, niemals als gratis Kassenleistung«, betonte Wallner. Doch mit Hostenkamps Renteneintritt fällt auch diese Möglichkeit weg. Geplant ist zwar die Einrichtung einer entsprechenden Praxis im Personalwohnheim neben dem Krankenhaus Bregenz, diese soll aber erst Ende 2024 fertiggestellt sein. Eine Garantie dafür, dass auch in der Zwischenzeit die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen gewährleistet ist, könne er nicht geben, musste Wallner einräumen.
Die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPÖ und deren Frauensprecherin, Eva-Maria Holzleitner, kritisierte Wallner für die Aussagen. Holzleitner schrieb in einer Aussendung: »Die Fristenregelung ist in Österreich gesetzlich verankert.« Für Abbrüche in Vorarlberger Spitälern gebe es einen »aufrechten Beschluss im Landtag«. Der Beibehaltung der derzeitigen Regelung stimmt auch Wallner zu, allerdings fabulierte er im ORF-Interview davon, dass »Lebensschutz und Fristenregelung unter einen Hut zu kriegen« keine leichte Aufgabe sei: »Wir rennen weder in die eine Richtung noch in die andere Richtung ins Extreme.«
Die SPÖ-Frauensprecherin entgegnet Wallner: »Wenn es für den Vorarlberger Landeshauptmann schon extrem ist, aufrechte Gesetze und Beschlüsse einzufordern, dann sollte er dringend über sein Demokratieverständnis nachdenken«, so Holzleitner. »Wir weichen keinen Millimeter von der Forderung nach flächendeckenden und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ab.« Sie erwarte ein klares Bekenntnis zu den Beschlüssen des Landtages. »Alles andere ist nicht nur demokratiepolitisch fragwürdig, sondern auch ein Einknicken vor konservativen und klerikalen Kräften, die im Jahr 2023 nichts in der Politik mitzureden haben sollten.« Auch die neoliberale Neos-Partei erklärte, dass der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen »sicherlich kein Extrem« sei, »sondern das gute Recht von jeder Frau«, so deren Fraktionsvorsitzender im Landtag, Johannes Gasser.
Rückenwind bekommt Wallner dagegen von der christlichen Rechten: »Wir begrüßen die Entscheidung der Vorarlberger Regierung, Abtreibungen auch in Zukunft nicht in öffentlichen Krankenhäusern durchführen zu lassen. Damit wird ein wichtiges Signal gesetzt, dass ein ungeborenes Kind keine Krankheit und Abtreibung keine Gesundheitsleistung ist«, so Gabriela Huber, Vorsitzende der »Jugend für das Leben«. In der gleichen Richtung äußerte sich Christoph Alton vom Verein »Plattform für das Leben«: Er verstehe nicht, »warum sich die Politikerinnen und Politiker jetzt für eine Abtreibungsmöglichkeit im Land stark machen«.
Doch es regt sich Widerstand angesichts der für Monate drohenden Versorgungslücke. Eine Petition mit dem Namen »Schwangerschaftsabbrüche müssen möglich bleiben« haben binnen weniger Tage 11.800 Menschen unterschrieben. Abbrüche müssten durchgehend in Vorarlberg angeboten werden, also auch während die neue Ordination ausgebaut werde, sagte Kampagnenleiterin Philine Dressler im ORF. Zudem könne es nicht sein, dass »Politiker und Politikerinnen, die eigentlich dafür zuständig sind, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen, hier nach der Pfeife von erzkonservativen Fundamentalisten tanzen«. Kritik an der »Unterwerfung der schwarz-grünen Landesregierung« unter reaktionäre Fundamentalisten äußerte auch die Sozialistische Jugend Vorarlberg: »Die Frauenunterdrückung hat eine lange Tradition, die weit über die Entstehung des Kapitalismus zurückgeht. Christliche und rechte Fundamentalisten sind dabei nur der Rammbock des Kapitals, indem sie diese Ideen schamlos und offen auf die Straße tragen.«
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