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Aus: Ausgabe vom 28.09.2023, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Gewerkschaftstag

Skeptisch bleiben

Auf dem Verdi-Bundeskongress wurde auch die mediale Aufbereitung des Ukraine-Krieges thematisiert
Von Susanne Knütter
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Delegierte protestierten während der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Verdi-Bundeskongress

Wer unkritisch wiedergibt, was täglich in bürgerlichen Medien zu hören und lesen ist, dem gebührt das Lob eben dieser. Von einem »langen, schweren Ringen« war in der Tageszeitung (Taz) vergangenen Freitag die Rede. Den Gewerkschaftern auf dem Verdi-Bundeskongress sei es gelungen, die »schwierige Debatte« über den richtigen Weg zu einem Ende des Ukraine-Krieges »weitgehend in gegenseitigem Respekt und ohne bösartige Unterstellungen« zu führen. Aber letztlich, so der Taz-Kommentator, sei eine »Dreiviertelmehrheit der Linie der Gewerkschaftsspitze« gefolgt, »weder realitätsblind an alten Gewissheiten festzuhalten noch in ein Denken in rein militärischen Kategorien zu verfallen«. Das bedeute konkret, »dass das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine schweren Herzens auch die Lieferung deutscher Waffen rechtfertigt«.

Dass die Lieferung von Waffen eben nicht gleichbedeutend ist mit einem Weg zur Beendigung des Krieges, haben einige Delegierte am Donnerstag abend in der Debatte um den »friedenspolitischen« Leitantrag des Verdi-Bundesvorstands deutlich gemacht. Durchgekommen sind sie damit nicht. Statt dessen entschied sich eine Mehrheit für den Kurswechsel anhand oder trotz Behauptungen wie: Auch die DDR habe Waffen für den Vietcong gekauft (Christian Rohr); die in der Ukraine stationierten sowjetischen Atomwaffen hätten ihr gehört (Timon Rhein); in der Ukraine würde die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« verteidigt (Jonas Rosenberger); Solidarität ohne militärische Unterstützung wäre »nur Mitleid« (Constantin Greve).

Wie solche Meinungen in den Kopf kommen, haben die Kritiker des Leitantrags in der Debatte ebenso reflektiert. Pia Wolf aus Nordrhein-Westfalen brachte auch aus der Perspektive eines »langjährigen Betriebsratsmitglieds« ihre Skepsis über die Berichterstattung zum Ausdruck: Seit anderthalben Jahren werden »wir ununterbrochen informiert«, »wie wichtig es ist, in den Krieg gegen die Ukraine durch Sanktionen einzugreifen und nach ein paar Wochen und Monaten des Krieges auch Waffen zu liefern«. Über keinen anderen Krieg der letzten 70 Jahre »werdet ihr« diese »ununterbrochene, detailverliebte, einheitliche Öffentlichkeitsarbeit« finden, sagte sie am Mikrofon vor den Delegierten. Sie warnte: »Im schlimmsten Fall befeuern wir mit den eigenen Waffen noch den dritten Weltkrieg.« Und sie erinnerte: »Bei Kriegen geht es nie um Freiheit oder Diktatur, Selbstverteidigung oder Menschenrechte.« Deshalb müssten »sofortige intensive, ernstgemeinte Friedensverhandlungen und ein Stopp von Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete« beschlossen werden.

Petra Stanius aus dem Verdi-Bezirk Ruhr-West sprach über Unterstellungen und falsche Rückschlüsse, die in der Gewerkschaftsdebatte gezogen würden. Nur weil jemand Waffenstillstand und Verhandlungen fordere, sei er oder sie kein »Putin-Freund«, so Stanius. Der ukrainische Gewerkschaftsvertreter, der die Delegierten auf ihrem Kongress besuchte, »möchte gerne bis zum Sieg kämpfen, also möchten das gerne alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der Ukraine?«. Es heiße, zur Unterstützung der Ukraine seien Waffen »unabdingbar«, so Stanius. »Tatsächlich aber gibt es doch überhaupt keine Belege dafür, dass das stimmt.«

Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. Daran erinnerte Karl-Heinz Klingberg aus dem Bezirk Südbaden-Schwarzwald. Und zwar »auf beiden Seiten«. Was aber naheliegend sei, seien»bereits Zehntausende von Krüppeln und eine wachsende Zahl von Menschen, die nicht mehr kämpfen wollen«. Damit wachse der Druck für eine »humanitäre Entscheidung«.

Die Taz sprach von dreiviertel der Delegierten, die für den Leitantrag des Bundesvorstands gestimmt hätten. Genau genommen beteiligten sich aber von ursprünglich 1.009 mandatierten Delegierten nur 853 an der Abstimmung. 26 enthielten sich und 657 Delegierte stimmten dafür. Die Debatte ist nicht zu Ende.

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