Aufspaltung der Bahn
Von Ralf Wurzbacher
Aktivisten des Bündnisses »Bahn für alle« haben am Mittwoch vormittag vor der DB-Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin vor der drohenden Zerschlagung des Staatskonzerns gewarnt. In den Händen hielten sie rote Signalkellen mit der Aufschrift »Züge ohne Schienen?!! Nicht mit uns« oder »Schienen ohne Züge?!! Nicht mit uns«. Auf den grünen Mitbringseln war zu lesen: »Die ganze Bahn gemeinnützig!« Nebenan tagte der Aufsichtsrat, und ein Punkt der Tagesordnung betraf die Pläne der Ampelregierung, bis Jahresanfang 2024 eine vom Bahnbetrieb getrennte Infrastruktureinheit namens Infra-Go zu installieren und darüber den Wettbewerb auf der Schiene zu forcieren.
In der Medienberichterstattung dominierte im Vorfeld ein anderes Thema: die Reform der Vorstandsgehälter. Immer wieder hatte sich Kritik entzündet an dem seit 2009 geltenden System, durch das sich die Bahn-Topmanager ihr üppiges Grundgehalt durch noch üppigere Boni aufbessern können. Das vom Kontrollgremium erarbeitete neue Konzept ist aber nicht minder umstritten und sorgt für Proteste auf seiten der Beschäftigtenvertreter. Nach offizieller Darstellung soll die Umgestaltung für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgen, für die Führungsriege werde es demnach schwieriger, Zuschläge einzustreichen, bei schlechter Performance – etwa bei mangelnder Pünktlichkeit der Züge – drohten sogar Einbußen.
Alles »Augenwischerei«, meint der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GdL, Claus Weselsky. Auch künftig würden Boni »praktisch immer« erreicht, zitierte ihn am Dienstag das Managermagazin. Gleichzeitig sinke das Risiko, das Maximalgehalt zu verfehlen, indem das Grundgehalt demnächst 50 Prozent statt bisher 36 Prozent der Bezüge ausmache. Laut der Wirtschaftszeitung steigt dadurch das jährliche Fixum von 396.000 auf 700.000 Euro. »Der Vorstand bringt seine hohen Gehälter in Sicherheit, damit sie auch bei schlechten Leistungen fließen können«, so der GdL-Chef. Carl Waßmuth, Sprecher bei »Bahn für alle« forderte am Mittwoch gegenüber junge Welt eine Satzungsänderung. »Wenn die DB vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt wird, schützt das Gesetz die Einhaltung von Gemeinwohlzielen statt geheimer Managementverträge«. Seit 30 Jahren müsse der Konzern Gewinne machen und »schadet damit dem Schienennetz, dem Zugverkehr und verweigert den normalen Beschäftigten eine angemessene Bezahlung«.
Die Überführung der Sparten DB Netz und DB Station&Service in eine separate Gesellschaft unter DB-Dach verkauft die Bundesregierung mit dem Label »Gemeinwohlorientierung« – ein schwammiger, nicht rechtskräftiger Begriff. Das neue Konstrukt soll sich demnach ohne jeden Gewinndruck auf die Ertüchtigung des maroden Schienennetzes konzentrieren können. Dem Vernehmen nach wollte der Aufsichtsrat am Mittwoch grünes Licht für das Vorhaben geben. Kritiker sehen die Umsetzung der Pläne als Vorstufe auf dem Weg zu einer Herauslösung des Netzes aus dem formell noch integrierten Unternehmen. So wollen es Bündnis 90/Die Grünen und die FDP, verbunden mit dem Versprechen, damit noch mehr Wettbewerber auf die Schiene zu lotsen, mutmaßlich auch im bislang noch DB-beherrschten Fernverkehr. Mit mehr Akteuren drohten mehr Schnittstellen und mehr Stör- und Gefahrenpotentiale, fürchten die Gegner und verweisen auf »schlechte Vorbilder« wie Großbritannien mit seiner verheerenden Bahnprivatisierung.
»Die Gründung der Infra-Go bedroht die Einheit der Bahn«, bemerkte Waßmuth. Im Regionalverkehr sei der Wettbewerb auf der Schiene bereits gescheitert. Aufwendige Ausschreibungsverfahren erzeugten Bürokratie und Mehrkosten, das Wagenmaterial sei »auf Kante genäht«, dazu hätten sich die Arbeitsbedingungen stark verschlechtert und der Fachkräftemangel verschärft. »Im Sinne echter Gemeinnützigkeit, im Interesse der Fahrgäste und des Klimas muss die ganze Bahn gesteuert werden«, ergänzte er. »Es ist absurd, wenn sich der Bund, dem die Bahn zu 100 Prozent gehört, nur für eine der Tochtergesellschaften mehr Einfluss sichert und gleichzeitig die Aufspaltung vorantreibt.«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (28. September 2023 um 11:41 Uhr)Der Fisch stinkt immer vom Kopf her. Stimmt immer. Die sachlich begründete Struktur der Eisenbahn und die richtig eingesetzten Ressourcen sind entscheidend für ihr Funktionieren. Beides ist bei der Deutschen Bahn Fehlanzeige. Die Bahn muss verstaatlicht werden und wieder in Hauptdienstzweige mit Laufbahnordnungen organisiert werden. Der Güterverkehr muss Priorität haben vor Hochgeschwindigkeitsverkehr und er muss endlich elektrifiziert werden (jeder Güterwagen muss zeitecht verfolgbar sein). Außerdem braucht es ein völlig neues Güterverkehrsmodell für die Bahn. Innovationen sind vom bisher verfolgten Bahnmanagement seit 30 Jahren nicht mehr generiert worden. Was fehlt, sind echte Eisenbahner und eine wissenschaftlich begleitete Verkehrspolitik, z. B. durch eine Verkehrshochschule. Die LKW-Karawanen auf den Autobahnen der BRD und EU sind vollkommen anachronistisch.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (28. September 2023 um 15:05 Uhr)»Die LKW-Karawanen auf den Autobahnen der BRD und EU sind vollkommen anachronistisch.« Und was ist mit den PKW-Karawanen? Spricht da etwa der Autofan, den nur die LKW auf der Autobahn stören?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (27. September 2023 um 19:54 Uhr)Wieder so eine geniale Idee: Komplexe Systeme funktionieren besser, wenn man sie zerschlägt. Und den Rest regelt der Markt. Ganz im Hintergrund grinst die Idee, aus dem lohnenden Transportgeschäft Profite zu ziehen und die Sorge um die Erhaltung der Infrastruktur der Allgemeinheit überzuhelfen. Also der übliche Kapitalismus: Die Gewinne privatisieren und die Kosten sozialisieren. »Cum-Ex« auf der Schiene als Neuauflage eines alten Modells also. Die Suppe darf dann wie damals wieder die Allgemeinheit auslöffeln. So schwer ist sozialer Verlust ja nun auch nicht zu ertragen. Er verteilt sich schließlich – anders als der Profit – auf ganz viele Schultern.
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