Von Hitler bis Höcke
Von Carmela Negrete, Potsdam
Wie kann man sich gegenseitig unterstützen in Zeiten, in denen die AfD in vielen brandenburgischen Dörfern kulturelle Dominanz genießt? Wie heute an die Verbrechen der Nazis erinnern? Was können wir anders machen? Diese Fragen wurden am Wochenende auf Einladung des Brandenburger Landesverbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN–BdA) in Potsdam diskutiert.
Erkennbare Parallelen
Bundesgeschäftsführer Thomas Willms nahm sich in seinem Referat mögliche Parallelen zwischen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und der Alternative für Deutschland (AfD) vor. So werde die heute parlamentarisch angekommene rechte Partei ebenfalls maßgeblich vom einem Mann dominiert, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD Thüringen, Björn Höcke. Das sei Willms zufolge auf dem Magdeburger Parteitag zu beobachten gewesen. Höckes Ziele seien, das »deutsche Volk zu retten« und »kranke Teile« auszuschließen beziehungsweise »auszusondern«. Zudem verfolge der Thüringer AfD-Landes- und Fraktionschef eine Vorherrschaft Deutschlands in der Europäischen Union. AfD-Vertreter sprechen immer wieder von »Globalisten«, womit sie international ausgerichtete Kapitalfraktionen und ihre Vertreter innerhalb der herrschenden Klasse bezeichnen. Oft verberge sich laut Willms dahinter, was öffentlich nicht ausgesprochen werden dürfe: Die Chiffre »Globalisten« stehe für die antisemitische Behauptung einer weltumspannenden jüdischen Verschwörung. Höckes Buch »Nie zweimal derselbe Fluss« zeige, dass die Ziele der Partei nicht gewaltfrei erreicht werden sollen. Derweil ist die Partei nach wie vor darum bemüht, in der Friedensbewegung Fuß zu fassen. »Die Schwäche der AfD sind wir«, antwortete der VVN-BdA-Bundesgeschäftsführer auf eine Frage aus dem Publikum, und meinte damit diejenigen, die sich organisieren und gegen die AfD demonstrieren.
Der Historiker und Politologe Mathias Wörsching sprach über den Faschismusbegriff und seine unzähligen Definitionen sowie über die Unterschiede zum Nazismusbegriff. Er stellte auch die Verwendung beider Begriffe in der akademischen Welt vor, um mit den Anwesenden über deren Aktualität zu reflektieren.
Die theoretische Diskussion vom Sonnabend wurde am zweiten Tag der Konferenz von praktischen Aktivitäten in Gedenkstätten und Gedenkinitiativen abgerundet. Zu Gast war Petra Haustein, Politologin und Mitarbeiterin der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die ein Projekt zur Vernetzung von Initiativen namens »Netzwerk Zeitgeschichte« verfolgt. Mehrere Initiativen stellten ihre Arbeit vor und sprachen über die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, das Projekt »Überlebenswege« ebenso wie die Initiative für einen Gedenkort für das ehemalige KZ Uckermark und die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis. Für ein Umdenken in der Gedenkstättenarbeit plädierte die Pädagogin Annika Neubert, die eine aktivere Bildungsarbeit einforderte. Besucherinnen und Besucher sollen nicht länger nur wie passive Empfänger von Informationen behandelt werden, sondern die Stätten eigenständig aufsuchen können.
Gedenken an Zwangsarbeiter
Abgehalten wurde die Konferenz im selbstverwalteten Potsdamer Kulturzentrum »Freiland«, wo die Firma Arado ab 1936 Flugzeugwerke Rüstungsgüter produziert und dafür Zwangsarbeiter ausgebeutet hatte. Für das Zentrum hatte eine Arbeitsgruppe einen Rundgang erarbeitet. Seit Juni können Besucherinnen und Besucher mit Hilfe einer Internetseite mit historischen Fotografien und Dokumenten erfahren, welche Funktion diese Fabrik und das Zwangsarbeiterlager im Rüstungsapparat der Nazidiktatur hatten. Auf dem Gelände gibt es auch ein Mahnmal für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Hier wurde während der Konferenz gemeinsam der Opfer gedacht.
Musikalische Beiträge kamen vom engagierten Olaf Ruhl, der jiddische Lieder sang, von den Punkband Altoids aus Santiago de Chile und »KollektivSchuld« aus Potsdam.
Besonderer Rechtsruck
Zurück zur jüngeren Vergangenheit führte der Beitrag der Linke-Abgeordneten Andrea Johlige. Die Sprecherin für antifaschistische Politik ihrer Landtagsfraktion berichtete über ihre Arbeit im Potsdamer NSU-Untersuchungsausschuss. Die Partei Die Linke strebe weiterhin die Abschaffung des Verfassungsschutzes an und fordere die Schaffung einer anderen Struktur zur Bekämpfung des »Rechtsextremismus«, stellte Johlige klar. Das sei jedoch »angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse unmöglich«, beklagte die Abgeordnete. Dennoch sei erreicht worden, dass Behördenspitzel – sogenannte V-Leute – während ihrer verdeckten Ermittlungen in Brandenburg keine Straftaten mehr begehen dürfen und dass Opfer rechter Gewalt nun ein garantiertes Bleiberecht erhalten. Davon abgesehen bereite der gesellschaftliche Rechtsruck ihr große Sorgen, erklärte Johlige. Während ihres nunmehr drei Jahrzehnte langen antifaschistischen Engagements habe sie eine Situation wie die aktuelle, eine solche Verschiebung des Diskurses nach rechts noch nicht erlebt.
Bereichert wurde die Konferenz durch Beiträge junger Nazigegner. So kamen Vertreterinnen antifaschistischer Organisationen wie vom Brandenburger Landesverband der Falken und der Gedenkinitiative Phan Van Toan zu Wort. Sie war gegründet worden, um an einen vietnamesischen Mann zu erinnern, der am 31. Januar 1997 in Fredersdorf ermordet wurde. Durch die Aktivitäten des Vereins war es möglich, die Familienangehörigen des ehemaligen DDR-Vertragsarbeiters ausfindig zu machen und mehr über ihn zu erfahren.
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