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Aus: Ausgabe vom 27.09.2023, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Chatkontrolle

Lobby für den Überwachungsstaat

Kampagne von Interessengruppen für EU-Chatkontrolle offengelegt. Vorhaben vorerst auf Eis
Von Sebastian Edinger
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Chatkontrolle: Ihre Wirksamkeit zur Prävention sexualisierter Gewalt ist fraglich, die umfassende Überwachungspotenz dagegen nicht

Trotz der erwartbaren Unwirksamkeit bei der Verbrechensbekämpfung, absehbarer rechtlicher Probleme, starken Widerstands aus der Zivilgesellschaft und der Existenz besserer Alternativen lassen die Bemühungen zur Einführung der sogenannten Chatkontrolle in Brüssel nicht nach. Nun zeigt eine umfassende Recherche der Zeit: Dahinter steckt eine enorme Lobbykampagne der Techbranche. Denn der würde das fragwürdige Gesetz üppige Profite bescheren.

Schließlich braucht es die entsprechende Software, um die geplante anlasslose Durchsuchung privater Onlinekommunikation der Bevölkerung in die Tat umzusetzen. In großem Stil sollen Chats nach kriminellen Inhalten, insbesondere Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder, durchsucht werden. Es gilt deshalb etwa, Textnachrichten auf entsprechende Hinweise zu durchforsten und gepostete Bilder zu analysieren. Die Datenmengen sind gigantisch. Händisch ist das nicht zu machen, weshalb sogenannte künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen soll. Die entsprechenden Werkzeuge haben einige Techfirmen bereits in ihren Produktportfolios – und freuen sich darauf, die Sicherheitsbehörden mit kostspieligen Lizenzen zu versorgen.

Die Zeit-Recherchen vom Montag zeigen, wie eng das Lobbygeflecht ist, das KI-Firmen wie Thorn oder We Protect in Brüssel gesponnen haben. All die beteiligten Unternehmen bieten Überwachungssoftware an. Nachgewiesen wurden nun nicht nur etliche Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der zuständigen EU-Kommissarin Ylva Johansson. Zudem wurde bewiesen, dass der Regelungsvorschlag in enger Absprache mit großen Tech-Konzernen aus den USA erarbeitet wurde und dass die angepriesenen Überwachungsfilter nicht nur für die Suche nach Missbrauchsdarstellungen taugen, sondern sich unkompliziert auch für andere Zwecke einsetzen lassen.

»Die Recherche bestätigt die schlimmsten Befürchtungen zur Chatkontrolle: Der Kinderschutz wird hier als Türöffner für eine Infrastruktur zur anlasslosen Massenüberwachung missbraucht, während schon über eine Ausweitung der Filter gesprochen wird«, kritisierte daher am Dienstag Konstantin Macher von der Organisation »Digitalcourage«. Damit sei auch die letzte Glaubwürdigkeit zu dem geplanten Überwachungsgesetz verspielt. Die Chatkontrolle müsse »jetzt sofort gestoppt werden«.

Glaubwürdig war das Argument, mit der Chatkontrolle solle sexualisierte Gewalt gegen Kinder verhindert werden, nie. Schließlich werden solche Bilder in aller Regel nicht über Messenger verschickt – und eine Komplettüberwachung der digitalen Kommunikation der gesamten Bevölkerung wäre da wohl auch ein etwas grobschlächtiges und damit wenig zielführendes Vorgehen. Plausibler wäre es, mehr Experten in die Sicherheitsbehörden zu holen, die gezielt Spuren im Internet verfolgen und auch dann noch dranbleiben können, wenn diese ins Darknet führen.

Die Sicherheitsbehörden und ihre politischen Repräsentanten sind natürlich dennoch scharf auf die neuen Überwachungstools. In der BRD hat sich vor allem das Innenministerium immer wieder pro Chatkontrolle positioniert, während sich das Digital- und das Justizministerium gegen den Vorstoß ausgesprochen haben. Letztlich wird es offenbar allem Lobbyismus zum Trotz schwierig, politische Mehrheiten zu finden. Eine für Donnerstag geplante Abstimmung im Europäischen Rat musste verschoben werden, nachdem schon im Vorfeld bei den ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten keine hinreichende Unterstützung für das Vorhaben organisiert werden konnte.

Die spanische Ratspräsidentschaft hatte zuvor bereits einen Kompromiss vorgeschlagen, der die Chatkontrolle ermöglichen, aber zugleich eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Nutzerdaten gewähren sollte. Doch auch dieser Ansatz stieß auf scharfe Kritik und wurde etwa von dem EU-Parlamentarier Patrick Breyer (Piraten) als »Placebo« bezeichnet. »Kommunikationsdienste wie Whats-App oder Signal müssten trotzdem unsere Smartphones zu fehleranfälligen Scannern und Wanzen umfunktionieren«, sagte er. Zumindest vorerst scheint auch der spanische Vorstoß auf Eis zu liegen.

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