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Aus: Ausgabe vom 27.09.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
100 Jahre Aufstand in Hamburg

»Bloße Randale bringt uns nicht sehr weit«

Der Aufstandsversuch von 1923 hält auch heute noch Lehren bereit. Ein Gespräch mit Emil D.
Von Kristian Stemmler
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Massentauglich? Demo in Hamburg gegen Polizeigewalt in Griechenland (20.12.2008)

»Wo bleibt der Aufstand?« fragen Sie bei Ihrer Konferenz in Hamburg. Klingt das nicht etwas realitätsfern angesichts des Zustands der Gesellschaft in diesem Land?

Definitiv, eben deshalb veranstalten wir diese Konferenz, weil wir uns fragen, wo bleibt er, aber vor allem, wie kommen wir dahin? Gleichzeitig gibt es reale Erfahrungen aus aktuellen Kämpfen, diese sind klein, aber auch daraus können wir Lehren ziehen. Insbesondere in Zeiten, in denen die objektiven Bedingungen für eine revolutionäre Linke günstig sind.

Beim Hamburger Aufstand hatten Arbeiter Waffen in den Händen. So etwas ist 100 Jahre später kaum noch vorstellbar. Kann man es heute nicht schon als »Aufstand« bezeichnen, wenn man sich zum Beispiel nicht manipulieren lässt und einen klaren Kopf behält?

Es ist natürlich wichtig, sich nicht manipulieren zu lassen, und bestimmt auch eine Voraussetzung für politische Arbeit, ein wacher Kopf macht aber noch keinen Aufstand. Dafür muss man sich schon noch die Hände schmutzig machen, auch wenn sich die Zeiten verändert haben, vor allem müssen wir viele werden. Damals wie heute sind Fragen des Generalstreiks spannend.

Würden Sie sogenannte militante Aktionen als Formen von Aufstand bezeichnen, auch wenn sie an den Herrschaftsverhältnissen erst mal nichts ändern?

Wenn sich Menschen aufgrund ihrer Lebensbedingungen militant zur Wehr setzen, sind das Aufstände. Zielführend werden sie aber erst, wenn sie an den Herrschaftsverhältnissen rütteln. Dafür braucht es Organisierung und revolutionäre Strategie. Bloße Randale bringt uns nicht sehr weit. Dennoch sollte man dabeisein, wenn Teile der Klasse kämpfen. Wir müssen praktische Erfahrungen machen und Vertrauen aufbauen. Der Hamburger Aufstand zeigt auch, wie wichtig es ist, den revolutionären Bruch schon in der Tagespolitik zu thematisieren, die Klasse darauf vorzubereiten und auch einzubinden.

Der Hamburger Aufstand wurde nach drei Tagen niedergeschlagen. Warum ist es sinnvoll, dass man sich 100 Jahre später dennoch an ihn erinnert und sich auf ihn bezieht?

Der Hamburger Aufstand wurde nicht einfach niedergeschlagen. Als die Leitung des Aufstands die Aussichtslosigkeit sah, ordnete sie den koordinierten Rückzug an. Im Anschluss wurden über 900 Personen verhaftet, viele aktive Menschen wurden aber vorher schon aus der Stadt geschleust. Auch aus Misserfolgen müssen wir lernen. Uns geht es nicht um eine blinde Verherrlichung, wir wollen den Aufstand aber auch nicht herunterspielen.

Die Niederlage des Hamburger Aufstandes leitete das Ende der revolutionären Phase in Deutschland ein. In dieser Zeit wurde in der ganzen Republik gestreikt, die Cuno-Regierung erfolgreich gestürzt und faschistische Putschversuche vereitelt. Spannend ist auch, dass die Arbeiterregierungen aus KPD und SPD in Thüringen und Sachsen durch die Reichswehr im Auftrag des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert aufgelöst wurden. Es brodelte also im ganzen Land, und so versuchten die Hamburger Arbeiter einen Aufstand.

Interessant ist auch, wie eine kleine Anzahl an Aufständischen fast unbewaffnet 17 Polizeireviere stürmen konnte und wieviel Unterstützung aus Teilen der Bevölkerung kam. Andere Landesteile zogen nicht nach, und so musste der Aufstand abgebrochen werden. Wir gedenken des Versuchs und der Genossinnen und Genossen, die ihr Leben gaben, getrieben von ihren schlechten Lebensbedingungen und in der Hoffnung auf eine bessere Welt. Wir gedenken aber auch, um aus den gemachten Fehlern zu lernen.

Emil D. ist aktiv im Vorbereitungskreis der Konferenz

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