Nachdenken über den Aufstand
Von Kristian Stemmler
Die Republik redet über den Rechtsruck und die hohen Umfragewerte der AfD. Es gehört sicher ein bisschen Verwegenheit dazu, in einer solchen gesellschaftlichen Situation eine Konferenz unter dem Titel »Wo bleibt der Aufstand?« zu veranstalten. Halil Simsek, einer der Organisatoren der am Samstag in Hamburg stattfindenden Konferenz, sieht da aber keinen Widerspruch. »Natürlich steht die sozialistische Revolution nicht kurz bevor, das wissen wir auch«, erklärte er am Montag im Gespräch mit jW. Es gehe am Wochenende darum, die »kommunistische revolutionäre Linke zu versammeln, um die brennenden Fragen unserer Bewegung zu diskutieren«. Zu der Konferenz im Bürgerhaus Wilhelmsburg, die das Kulturzentrum Lüttje Lüüd organisiert, werden einige hundert Teilnehmer aus der ganzen Bundesrepublik erwartet.
Mit der Frage, wo der Aufstand bleibt, beziehen die Organisatoren sich auch auf ein Jubiläum, das Anlass für die Konferenz ist: den hundertsten Jahrestag des Hamburger Aufstands im Oktober. 1923 führte die KPD in der Hansestadt eine Arbeiterrevolte an, die nach drei Tagen niedergeschlagen wurde, aber dennoch über Deutschland hinaus Aufsehen erregte. »Vor 100 Jahren wagten Hamburger Arbeiter:innen den Aufstand gegen den aufkommenden Faschismus und den kapitalistischen Wahnsinn«, heißt es dazu auf der Homepage der Konferenz. Für Simsek war der »Hamburger Aufstand der letzte Versuch einer sozialistischen Revolution in Deutschland – wäre sie erfolgreich gewesen, hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen.«
Mit einer Einordnung des damaligen Geschehens beginnt die Konferenz am Sonnabend morgen. Das anschließende Podium hat ein Motto, das für manche Beobachter eine Provokation sein dürfte: »Von der DDR lernen?« Es gehe darum, das gängige Bild der DDR in Frage zu stellen, so Simsek. Selbst für Linke reduziere es sich oft auf »Stasi, Mauertote und Mangelwirtschaft«. Bei aller Kritik sei in der DDR vieles fortschrittlich gewesen: »Zum Beispiel hatte man als alleinerziehende Frau dort bessere Aussichten als in der BRD, es gab keine Spekulation mit Wohnungen.« Auf dem Podium sitzen Roland Zschächner, ehemaliger jW-Redakteur und aktiv beim Ostjournal, und Max Rodermund von der Internationalen Forschungsstelle DDR.
Mittags verteilen die Konferenzteilnehmer sich auf vier Workshops. Im Seminar mit dem Titel »Krieg, Kultur und Propaganda« wollen Marcus Staiger, Berliner Rapproduzent und Musikjournalist, und der Hamburger Autor Mesut Bayraktar diskutieren, wie in Kriegszeiten »die Reihen an der Heimatfront geschlossen werden«. Es soll erörtert werden, wie und warum Künstler und Intellektuelle sich in den Dienst nationaler Propaganda stellen lassen. Mit Beispielen auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs soll das gezeigt werden.
Im zweiten Workshop thematisiert die Aktivistin Jennja den »revolutionären Feminismus«. Dieser soll abgegrenzt werden von bürgerlichen feministischen Bewegungen, die Missstände nicht beseitigen, sondern nur verschleiern. Es soll gezeigt werden, dass ein Feminismus, der die Klassenfrage ausblendet, kein Ausweg sein kann. Im Workshop »Klimabewegung und politischer Streik« wird der Frage nachgegangen, wie der Kampf gegen den Klimawandel mit Arbeitskämpfen verbunden werden kann und wie das insgesamt eingebunden werden könnte in politische Kämpfe der radikalen Linken. Im Seminar »Klassenbewusster Antifaschismus« kommen Antifaschisten aus Nord- und Ostdeutschland zusammen und diskutieren über die Ausrichtung ihrer antifaschistischen Praxis.
Am Sonnabend nachmittag geht es dann ans Eingemachte mit dem Veranstaltungsblock »Zur Frage der revolutionären Strategie«. Erörtert werden soll, was revolutionäre Strategie ist, welche Lehren aus dem Scheitern des Hamburger Aufstands und anderer Aufstände zu ziehen sind, welche neuen Ansätze es gibt. Bertrand Sassoye, ehemaliger Aktivist der belgischen CCC (Celles Communistes Combattantes), einer in den 80ern aktiven militanten Gruppe, wird über Aufstände im 21. Jahrhundert in urbanen Sektoren referieren. Im zweiten Teil des Blocks geht es um die kurdische Frage, speziell um den »Selbstverwaltungswiderstand in Nordkurdistan 2015/16«.
Abschließen soll die Konferenz am Abend ein Podium mit dem Titel »Wo bleibt der Aufstand und wohin führt er?« Moderiert von Simsek, diskutieren der bekannte Hamburger Rapper Disarstar, die Aktivistin Lena Gröbe, Flo von Dekay vom Podcast Kommunistenkneipe und Sara vom Lüttje Lüüd. Es soll unter anderem darum gehen, welche Rolle linke Kultur und alternative Medien bei der Formierung von Gegenmacht spielen können – aber auch wie ein »Sozialismus von morgen« aussehen könnte. »Eine Alternative zum Kapitalismus scheint in der Ferne zu liegen«, fasst Simsek zusammen, »aber das muss eine Linke ja schaffen: dass die Leute wieder an den Sozialismus glauben. Er ist eben kein historisches Ereignis, sondern gehört auf die Tagesordnung, denn er würde viele unserer Probleme lösen. Wenn die Menschen Hoffnung haben, dann können wir sie auch organisieren und gemeinsam kämpfen.«
Hintergrund: Polizei entwaffnet
Im Jahr 1923 erreichte die revolutionäre Nachkriegskrise in Deutschland einen Höhepunkt. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich rapide, es kam zu vielen größeren und kleineren Streiks und Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht. Die Umstände, unter denen es damals in Hamburg zu dem Aufstand von kommunistischen Arbeitern unter der Führung der KPD kam, liegen zum Teil bis heute im dunkeln. Eigentlich hatte die KPD-Führung die mit der Unterstützung der Kommunistischen Internationale seit dem Spätsommer vorbereitete revolutionäre Erhebung in ganz Deutschland wegen fehlender Voraussetzungen kurz zuvor abgebrochen.
Was feststeht, ist, dass die Hamburger KPD am 23. Oktober 1923 um fünf Uhr morgens den bewaffneten Aufstand auslöste. Kampfgruppen der KPD in den Arbeiterstadtteilen griffen gleichzeitig 26 Polizeireviere an und konnten 17 davon besetzen. Dadurch sollten vor allem der Mangel an Waffen behoben und die unmittelbaren Reaktionsmöglichkeiten der Hamburger Polizei eingeschränkt werden. Die Ordnungspolizei war der überschaubaren Anzahl an Aufständischen aber sowohl zahlenmäßig als auch technisch weit überlegen.
Bereits gegen Mittag des 23. Oktober bestanden in Hamburg nur noch zwei Kampfgebiete: Barmbek und Schiffbek. In vielen anderen Stadtteilen sammelten sich zwar Menschenmengen, und es kam erneut zu Hungerdemonstrationen und Geschäftsplünderungen. Sie hatten allerdings keine Verbindung zu den bewaffneten Kämpfen der KPD. Die KPD-Führung gab bereits in den Vormittagsstunden die Anweisung heraus, den Aufstand wegen seiner offensichtlichen Aussichtslosigkeit abzubrechen.
Die Ordnungspolizei meldete nach den Kämpfen auf ihrer Seite 17 Tote und 62 Verwundete. In Gedenkartikeln der KPD wurden 24 Aufständische genannt, die bei den Kämpfen starben.(kst)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (27. September 2023 um 10:32 Uhr)Herr Stemmler: Was meinen Sie mit Ihrer Floskel »Bei aller Kritik«? Waren Sie mal in der DDR? Vorgestern spulte sich Herr Kohl über das System auf, unter dem Frau Fuchs gelitten hatte? Bei aller Kritik, Herr Stemmler, können die wesentlichen Verschiedenheiten zwischen den beiden international anerkannten Staaten nicht herabgewürdigt werden müssen. Es ist zum Kotzen und Heulen, dass in der jW eine Phrase »Bei aller Kritik« ohne die Spur der Klarstellung präsentiert werden kann. Waren Sie schon mal in der BRD? Fahren Sie mal dorthin! Ein Jammertal!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Paul V. aus 52062 Aachen (27. September 2023 um 09:16 Uhr)Über eine erfolgreiche Strategie nachzudenken und positive wie negative Kampferfahrungen auszutauschen, ist sicherlich verdienstvoll. Allerdings sollten es Kampferfahrungen an dem Hauptwiderspruch von Kapital und Arbeit sein, und keine subjektivistischen Betrachtung aus dem warmen Sessel. – Mich wundert nur, warum die Themen der Veranstalter einen Bogen um die Frage machen »Wie hältst Du es mit der Deutschen Kommunistischen Partei?« Wer bei dieser Frage nur die Nase rümpft oder die Achseln zuckt, statt dessen lieber über den übrigens linksradikalen Hamburger Aufstand einer zu dieser Zeit noch unreifen KPD schwadronieren möchte, ist von dem Ziel, etwas Reales an Fortschritt für unser Land zu bewirken, meilenweit entfernt. Leider!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (26. September 2023 um 20:26 Uhr)Freu mich, dass es wieder engagierte Menschen gibt, die sich für den Sozialismus einsetzen und wichtige historische Analysen durchführen, den »Sozialismus von morgen« wird man aber mit glauben und hoffen nicht aufbauen können. Dazu gehört meiner Meinung nach ein fundiertes Programm, mit dem man Menschen aufklärt über die derzeitige Situation, vor allem sich einmal die Ängste und Sorgen der Menschen anhört, und beharrlich auf einem langen Weg, der viele Rückschläge bringen wird, mit behutsamer agitatorischer Arbeit in die Bevölkerung hinein wirkt. Mit Hoffnung allein wird da nichts …
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