»Ein absolut unverschämtes Projekt«
Interview: Barbara Eder
Mit Jahresende wurden auch in Ihrem Wohnhaus digitale Boards mit Werbeeinschaltungen der Immobilienbranche in den Hauseingängen befestigt. Im Gebäude gibt es auch Einheiten des Wohnservice Wien. Die Wohnbaugesellschaft Arwag ist mit zehnprozentigem Anteil Eigentümerin des Geräteherstellers. Wie stehen Sie als einer der Mietervertreter zu den Boards?
Über die Installation und Inbetriebnahme der Digitalboards kurz vor Jahresende wurden die Hausbewohner im Vorfeld nicht informiert. Es gab keinen basisdemokratischen Prozess, bei dem über Zustimmung oder Ablehnung des fremdverordneten »Digitalservices« entschieden wurde. Innerhalb der ersten drei Monate nach der Inbetriebnahme haben die Mietervertreter die Demontage der drei Digitalboards sowie Kostenklarheit gefordert, denn 90 von insgesamt 117 Hausparteien haben dagegen unterschrieben.
Wie haben Vertreter der Wohnbaugesellschaft auf die Unterschriftenliste reagiert?
Die erste Reaktion erfolgte im Februar. Zuerst haben wir die Hausbetreuerin mit unserem Anliegen konfrontiert. Ihre Aussage war eindeutig: »Mit der Unterschriftenliste können Sie sich brausen gehen.« Soll heißen: Die kann man sich abschminken. Nach neun Monaten hat sich dies auch als vorläufige Wahrheit herausgestellt. Daraufhin verschriftlichten wir unser Begehr in Form eines Protestschreibens und konfrontierten Arwag-Vorstand Thomas Drozda von der SPÖ damit. Mitte August fand dann ein Gespräch mit der Rechtsabteilung der Arwag auf Grundlage unseres Protestschreibens statt. Man war wegen der negativen Rückmeldungen überrascht. Die Mietervertreter des Arwag-Wohnhauses in der Wiener Schliemanngasse wären die einzigen, die sich bislang kritisch zur »Digitalinnovation« zu Wort gemeldet hätten. Mit dem Argument, die Digitalisierung im Wohnbau vorantreiben zu müssen, wurden die Boards gerechtfertigt. Dahingehend stoßen wir auf ein bestehendes Machtverhältnis: Die Wohnbaugesellschaft zählt zu den Besitzenden, wird sind nur die Mieterinnen und Mieter. Und werden allein schon deshalb nicht ernst genommen.
Was genau stört Sie an diesen digitalen Anzeigetafeln?
In Zeiten der allgemeinen Teuerung, der konstanten Erhöhung der Lebenskosten und in Anbetracht einer aktuellen Energiesparkampagne der Stadt Wien ist »puck.io« ein absolut unverschämtes Projekt. Slogans wie »Wir müssen unseren Lebensstil und Energieverbrauch in den Griff bekommen« verkommen angesichts dieses Stromfressers zu einer reinen Posse. Wir fordern Transparenz über den Energieverbrauch des Geräts – und werden diese mit Blick auf die nächste Gesamtabrechnung des Hauses demnächst auch haben.
Und welche datenschutzrechtliche Problematik liegt vor?
Aus Sicht der Arwag gibt es keine. Denn es gibt auch in unserem Haus keine Smartphone-App. Diese App ist für alle weiteren »Services« rund um dieses Puck-Projekt Pflicht, in anderen Wohnhausanlagen kommt diese bereits zum Einsatz. Unseren Recherchen zufolge hatten bereits im August 2022 75.000 User und Userinnen diese App auf ihre Smartphones geladen. Sie gibt standortbezogene Daten, E-Mail-Adresse, Nutzer-ID und Wohnadresse an die Puck Immobilien App Services GmbH weiter. Davon will die Arwag aber nichts wissen, und große Fragezeichen erscheinen über den Köpfen, wenn man ihre Vertreter danach fragt. Möglicherweise wurde die erste Version der App aufgrund von Datenschutzproblemen bereits eingestampft; die Datenschutzbestimmungen dazu hat der Hersteller jedenfalls aus dem Internet genommen.
Wie sehen Ihre weiteren Schritte aus?
Wir arbeiten daran, dass die digitalen Werbetafeln bald wegkommen. Für Anfang Oktober haben wir eine informelle Versammlung ausgerufen, die Mieterinnen und Mieter werden dann weitere Schritte besprechen. Möglicherweise ist eine weitere Unterschriftenliste nötig. Was ich definitiv weiterverfolgen werde, ist die Suche nach Verbündeten: Wir wollen mit der Gebietsbetreuung Kontakt aufnehmen und die städtische Unternehmung »Wiener Wohnen« mit dem Problem konfrontieren. Auch das Umweltministerium soll informiert werden, ebenso die Arbeiterkammer und der Konsumentenschutz.
Georg Lokosek ist Mietervertreter in einem Wohnhaus der Arwag Holding-AG in der Wiener Schliemanngasse
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heute ist ein guter Tag! Wir haben es tatsächlich geschafft! Am Dienstag, 26. September 2023, wurde ich von der ARWAG angerufen. Ein Mitarbeiter informierte mich, dass die digitalen Boards aus unserem Wohnhaus entfernt werden. Meine Überraschung war groß über das plötzliche Einlenken seitens unserer Hausverwaltung.
Es wurde erklärt, dass ihr Aufwand an Ressourcen (in der Diskussion um »Puck – nein, danke!«) besser eingesetzt wäre, wenn unser Haus aus dem Projekt »puck.io« ausgenommen wird. Mit dieser gütlichen Einigung können wir im Haus auf alle Fälle gut leben.
Die Problematik unseres Falls bleibt freilich auf einer Metaebene bestehen, insofern viele andere Häuser weiterhin mit Puck bespielt werden. Das Projekt steht in krassem Widerspruch zu einer »Energieverbrauchwende«. Nicht zuletzt, weil die digitalen Boards für Bewohner_innen nicht bzw. kaum nützlich sind. Barrierefreiheit ist auch nicht mitgedacht. Ich sehe jedenfalls Erklärungsnotstand seitens der Stadt Wien, wie ein »digitales Wohnen der Zukunft« aussehen kann, das mehr leistet, als Strom verschwenden.
Ich danke allen Menschen, die daran mitgewirkt haben, dieses fragwürdige Digitalisierungsprojekt direkt in die Schranken zu weisen. Denn wir brauchen keine Werbescreens in unserem Lebensraum »Wohnhaus«.