Aus Leserbriefen an die Redaktion

Es bräuchte ein bisschen …
Zu jW vom 16./17.9.: »Ein bisschen Meeresleuchten«
Vielen Dank an Jan Decker für den schönen bildhaften Vergleich der Worte »ein bisschen« mit einer Algenplage. Er fragt nach dem Warum des inflationären Gebrauchs von »ein bisschen«, geht aber meiner Meinung nach nicht tief genug.
Wenn Jan Decker schreibt, dieser Dreizeller gibt die Möglichkeit des Ausweichens, so muss man es deutlicher sagen, er unterstützt die Abscheu, einen festen Standpunkt einzunehmen. In seinem Beispiel »der Joghurt schmeckt ein bisschen künstlich«, hält man sich eine Hintertür offen, ist bereit, sofort seine Meinung zu revidieren, es ist jede andere Meinung zugelassen, man ist ja tolerant. Eine besondere Steigerung der Rückgratlosigkeit erhält das »ein bisschen« in Verbindung mit einem Konjunktiv: »Die Regierung müsste ein bisschen mehr fürs Soziale tun.«
Auch »bräuchte« ist ein gerne genommenes Wort. Wenn Gewerkschaftsführer schwadronieren, »wir bräuchten soundsoviel mehr Lohn«, da weiß man doch gleich, wo deren Knickstellen sind. So wie das Denken und die Haltung, so ist auch die Sprache, und so wie man spricht, denkt man am Ende auch.
Es mehren sich inzwischen die Wörter, häufig an unangebrachter Stelle benutzt, welche sich zu einer Plage entwickelt haben. Nichts ist mehr »richtig«, oder »stimmt«, äußerst selten hört man noch, »so ist es«, alles ist nur noch »genau«, »genau«, »genau«.
Dieses Wort diente mal dazu, feststehende Zahlenangaben zu betonen, z. B. »Dein Nichtintelligenzquotient beträgt genau 0,125 Baerbock. Acht von dir sind genau so dumm wie eine Außenministerin.«
Ich bin schon Menschen begegnet, bei denen sich ein Genau-Sprachfehler entwickelt hat, in ihnen läuft eine Art Uhr ab, die sie in regelmäßigen Abständen »genau« sagen lässt. Jeder Satz fängt bei ihnen damit an, jede Sprachpause wird damit gefüllt.
Ebenso zu einer Pest ist das Wort »spannend« geworden. Worte wie interessant, aufregend, phänomenal werden wohl bald ausgestorben sein. Und wenn man sich anhören muss, was heutzutage alles »genial« ist, möchte man manchmal taub werden.
Die Sprache verarmt und mit ihr das Denken, und je mehr Denken ausgelagert wird oder gar nicht erst gelernt wird, um so weniger Sprache benötigt man.
Wie oft wünsche ich mir, nicht nur Jesus, sondern auch Wiglaf Droste und Hansgeorg Stengel könnten wiederauferstehen, und das möglichst bald. Wir würden sie ein bisschen dringend brauchen. Genau.
Bernd Beier, Zella-Mehlis
»Hohelied der Legalisierung«
Zu jW vom 19.9.: »Gemeinsam bauen«
Die wirklich wichtigen Fragen werden auch in diesem Artikel nicht gestellt: Wieso brauchen die Menschen den Rausch und empfinden einen eher unnatürlichen Zustand als Befreiung? Was soll, ja manchmal muss, da kompensiert werden? Nützen sich dabei die Menschen wirklich mehr, als dass sie sich schaden? Die Verwandlung von Cannabis in eine legal gehandelte Droge braucht ein Sozialist nicht mit besonderer Sympathie zu begleiten. Dafür finden die, die in Zukunft legale Profite einstreichen werden, auch so schon warme Worte genug. Ihre wohlklingenden Thesen muss man nicht auch noch wiederholen. Aber einen Blick in eine der vielen Einrichtungen, die mit den teils katastrophalen Folgen des Rauschs zu tun bekommen, sollte man doch einmal riskieren, um die Lautstärke zu bestimmen, in der man das Hohelied der Legalisierung mitsingt.
Joachim Seider, Berlin
»Sklaven des Systems«
Zu jW vom 19.9.: »Gemeinsam bauen«
Ohne Mitleid: Wer Drogen konsumiert – egal ob deutsches Bier oder Haschisch (…) – macht sich zum Sklaven des Systems: Leiden und sich betäuben – bloß nicht aufmucken, höchstens ein wenig jammern! Ein Schlag ins Gesicht aller Revolutionäre in Vergangenheit und Gegenwart: Thälmann betrunken auf einer KPD-Versammlung? Fidel, Raul und Che berauscht auf der Granma? PKK-Kämpfer im Drogenwahn im Gefecht gegen die NATO-Türkei? Treibt lieber Sport, lest Vernünftiges und entspannt euch im deutschen Wald – in der sowjetischen Mutter Heimat – in der lateinamerikanische Pachamama!
Marian Rose, per E-Mail
Flucht, Eheschließung und Ehe
Zu jW vom 9.9.: »Im Labyrinth«
Leider ist die Wortwahl, dass »deutsche Behörden vollumfänglich Eheschließungen« in Dänemark anerkennen, falsch (siehe dazu auch: Leserbriefe in jW vom 16.9.). Eine Eheschließung in Dänemark können deutsche Behörden nicht in Frage stellen, weil dies durch einen bilateralen Vertrag zwischen beiden Regierungen so geregelt ist. Aber wenn sich die Möglichkeit für das Ausländeramt ergibt, die Folgen einer Eheschließung, nämlich die Ehe, zu verhindern, tut sie das. Es hängt davon ab, wie einer der beiden Ehepartner nach Deutschland oder in den Schengen-Raum gelangte und vom Aufenthaltsrecht oder der EU-Staatsbürgschaft eines der Partner, sonst vermählt auch der Standesbeamte in Dänemark nicht! Die so durchgeführte Eheschließung wird dann nicht angezweifelt, sehr wohl aber das Aufenthaltsrecht verweigert, was ja eine Eheführung unmöglich macht. Die so getroffene Entscheidung lautet schlicht: Die Person muss zurück ins Heimatland und dort bei der deutschen Botschaft ein sogenanntes D-Visum beantragen (Familienzusammenführung). Tut sie das nicht, erfolgt Ausweisung und Sperre der Wiedereinreise für mehr als ein Jahr. Die Botschaft bzw. das Ausländeramt kann das Visum auch verweigern, entweder weil es »Scheinehe« unterstellt oder der Partner in Deutschland nicht in der Lage ist, selbst für wirtschaftliche Versorgung aufzukommen.
Klaus Ludwig, Butzbach
Auch »bräuchte« ist ein gerne genommenes Wort. Wenn Gewerkschaftsführer schwadronieren, »wir bräuchten soundsoviel mehr Lohn«, da weiß man doch gleich, wo deren Knickstellen sind.
Immer noch kein Abo?
Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.