»Amberg war ein Rückzugsort«
Von Hendrik PachingerIn der Oberpfalz ist rechte Gewalt leider keine Seltenheit. Seit Jahrzehnten sind im sogenannten »Eisengau« besonders aggressive Zusammenschlüsse aktiv. Zahlreiche Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, wie 1988 in Schwandorf, wo vier Menschen starben, oder Hetzjagden wie 2010 in Regensburg gehen auf sie zurück. Wie ist die Situation heute?
Es gibt eine aktive neonazistische Szene in Amberg und der Region. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Übergriffen. Und noch immer heißt es von den politisch Verantwortlichen und den zuständigen Polizeibehörden: »In Amberg gibt es keine rechte Szene«. Etwas geändert hat sich trotzdem: Der antifaschistische Widerstand gegen rechte Aktivitäten ist heute viel größer als noch vor zwei Jahrzehnten, und in Amberg sind Bündnisse gegen rechts aktiv, was vor 20 Jahren nicht der Fall war. Für Neonazis ist es dadurch schwieriger geworden, vor Ort Fuß zu fassen. Der Druck auf die Polizei, bei rechten Gewalttaten auch zu ermitteln, ist gestiegen. Das ist nicht zuletzt der jahrelangen, kontinuierlichen antifaschistischen Arbeit zu verdanken.
Ihr Bündnis erinnerte Anfang des Monats an den vor knapp 30 Jahren von Faschisten getöteten Klaus-Peter Beer. Was ist damals passiert?
Klaus-Peter Beer wurde in Amberg geboren, hatte die Stadt aber schon lange verlassen und lebte in Frankfurt. Im September 1995 besuchte er seine Eltern. Am Abend ging er in eine Amberger Kneipe und traf dort auf die beiden stadt- und polizeibekannten Neonazis Richard L. und Dieter M. Die Stadt war für die extreme Rechte ein Rückzugsort. In der Region war der Sitz des bayerischen »Blood and Honour«-Netzwerks. Hier konnten auch NPD und später das »Freie Netz Süd« jahrelang ungestört Konzerte und Veranstaltungen durchführen. Als L. und M. erkannten, dass er homosexuell war, beschlossen sie, wie sie später aussagten, »es dem Schwulen zu zeigen«. Sie begleiteten den nichtsahnenden Klaus-Peter Beer nach Hause. In einem Park schlugen sie ihn nieder und traten so lange mit ihren Springerstiefeln gegen seinen Kopf und Körper, bis er bewusstlos war. Anschließend warfen sie ihn in einen nahegelegenen Fluss.
Wurden die Täter jemals bestraft?
Die beiden wurden gefasst, nachdem sie auf einem Konzert mit ihrer Tat geprahlt hatten. Ihre neonazistische Gesinnung wurde erst öffentlich, nachdem Antifaschisten den Medien umfassende Informationen zugespielt hatten. Unter anderem ein Video, das einen der Täter nur Tage vor seiner Verhaftung bei einem Aufmarsch der »Nationalistischen Front« zeigt, aus deren Reihen zahlreiche rechte Gewalttäter und Mörder hervorgingen. Der Prozess fand in einem Klima der Angst und des Terrors statt. Zeugen wollten nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen, Reporter wurde von Neonazis aus den Zuschauerreihen bedroht. Trotz der niederen Beweggründe der Tat wurden die beiden nicht etwa wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags zu acht bzw. zwölf Jahren Haft verurteilt.
Erst 2020 wurde Beers Tod als rechte Gewalt staatlich anerkannt …
Es ist dem jahrelangen antifaschistischen Protest zu verdanken, dass Klaus-Peter Beer heute als Opfer rechter Gewalt anerkannt ist. 2003 gingen junge Amberger Antifaschisten zum ersten Mal auf die Straße, um an ihn zu erinnern und auch gegen die Politik des Verdrängens zu protestieren. Sie wurden als Nestbeschmutzer wahrgenommen und mit lächerlichen Demonstrationsauflagen konfrontiert. Trotzdem ging man Jahr für Jahr immer wieder auf die Straße.
Wer war die treibende Kraft?
Es war vor allem die Gewerkschaftsjugend, die sich dem Kampf für ein würdiges Erinnern an Klaus-Peter Beer verschrieben und auch die Demonstration organisiert hat. 2020 beschloss der Stadtrat endlich, eine Gedenktafel anzubringen. Dieses Jahr sind wir erneut am 7. September auf die Straße gegangen. Wir fordern offizielles Vorgehen gegen die rechten Strukturen hier und eine Straße oder einen Platz nach Klaus-Peter Beer zu benennen.
Stefan Dietl ist Sprecher des antifaschistischen »Bündnisses gegen das Vergessen« (BGDV)
BGDV (Hrsg.): In Gedenken an Klaus-Peter Beer. Neonazistische Gewalt und antifaschistisches Erinnern in Amberg. Regensburg 2022, kostenfrei, 68 Seiten, Bezug: bgdv@mailbox.org oder bayern.vvn-bda.de
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Buntes Empfangskomitee
vom 20.09.2023