Tatsächlich: »Compulsion«
Von Michael Sommer
Depeche-Mode-Fans können dieser Coverband nicht vorwerfen, sich nicht auch Herausforderungen zu stellen: Forced to Mode beginnen das Konzert an einem lauen Samstag abend open air im ausverkauften Potsdamer Lindenpark mit einem Stück, das die Originalband wohl nie mehr anfassen würde – »To Have and to Hold« vom 1987er Album »Music for the Masses«. Nur 20 Zeilen Text, aber jede Menge Platz für das Depeche-Mode-typische Klanggewitter aus metallischen Sounds, drängenden Bässen und durchschlagenden Beats. Ein grandioser Opener. Und die Fans fragen sich das erste, aber nicht das letzte Mal an diesem Abend, warum, ja warum ihre Lieblingsband nicht auch selbst mal solch eine konsistente Setlist für ein Konzert im Olympiastadion auf die Bühne bringen kann.
Denn Forced to Mode machen das ja ganz geschickt: picken sich vor allem die Stücke aus der goldenen Zeit der Band heraus, die für die meisten Fans beim Album »Construction Time Again« (1983) begann und mit dem Album »Songs of Faith and Devotion« (1993) und dem bald darauf erfolgten Weggang von Soundmastermind Alan Wilder endete. »A Question of Time« ist dabei, »Little 15«, das als B-Seite der Single »Personal Jesus« (1989) veröffentlichte »Dangerous«, »Sweetest Perfection« und andere von Depeche Mode selten oder nie live gespielte Stücke.
Das Fanherz schlägt höher, auch als Keyboarder Thomas Schernikau für seine ganz im Stil von Martin Gore gehaltenen Soloauftritte ins Rampenlicht tritt. Und dann spielen sie tatsächlich »Compulsion«, jenen Song von Joe Crow, den Martin Gore einst auf seiner ersten Solo-EP »Counterfeit« gecovert hatte. Alle Achtung, der war was für Spezialisten.
Selbstverständlich müssen auch »Personal Jesus«, »Walking in My Shoes« und »World in My Eyes« über die Rampe, aber Forced to Mode schaffen es mit eigenen Arrangements, dass selbst die DM-Überhits weniger müffeln als bei der Originalband. Sänger Christian Schottstädt meistert die schwierigsten Parts, auch den Refrain von »Shake the Disease« mit seinen in lichte Höhen strebenden Gesangslinien. Die Zugabenliste wird länger und länger, da sind einige Technikaussetzer fast vergessen. Klar wären auch Forced to Mode so wie andere DM-Coverbands nichts ohne die Originale und deren Melodien. An diesem Abend aber scheint ihnen der Königssturz fast zu gelingen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Daniel S. aus Erlangen-Höchstadt (19. September 2023 um 19:31 Uhr)Forced to Mode hat den Vorteil, dass sie vor einigen Monaten keine neue LP herausgegeben haben und diese nicht im Mittelpunkt der Tour steht. Allerdings gibt es einiges, was bei DM kritisiert wird, wie ziemlich hohe Ticketpreise, eine Setlist, die sich von Abend zu Abend wenig ändert (und fast ausschließlich bei den Liedern, wo Martin Gore singt), sehr viel Fokus auf die bekannten Lieder wie »Just Can’t Get Enough« (die nach Interviewaussagen von der Band doch nicht mehr besonders gemocht werden) liegt, während das doch gelungene Album »Memento Mori« etwas vernachlässigt wird. Allerdings gelingt es der Band aus Basildon regelmäßig eine gute Show zu machen. Ausgehend davon, was ich von Forced to Mode gesehen und gehört habe, sind die recht gut darin, eine Alternative für die Menschen anzubieten, die das Originale aus verschiedenen Gründen nicht sehen konnten, mittlerweile vergessene gute Lieder wie »The Sun and the Rainfall« hören wollen oder einen »Dave Gahan« wie aus den Zeiten des berühmt-berüchtigten »Devotional/Exotic Tour« (1993/1994) sehen wollten, da Herr Schottstädt nicht nur singt und tanzt wie er, sondern auch so aussieht. Wenn Forced to Mode mal nach Franken kommen wird (und zu einer Zeit, in der ich sowohl Zeit als auch Geld zur Verfügung haben sollte) werde ich wahrscheinlich dabei sein und für einen Abend vergessen, dass »Let's take a map of the world. Tear it into pieces. All of the boys and the girls – will see how easy it is« (»And then«, Construction Time Again, 1983) doch eine Herausforderung ist.
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