50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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Aus: Ausgabe vom 19.09.2023, Seite 4 / Inland
Wortgefechte um Asylpolitik

Union zündelt weiter

CDU und CSU pochen auf »Obergrenze« für Aufnahme von Geflüchteten. Linke fordert »Bekenntnis« zum Grundrecht auf Asyl
Von Kristian Stemmler
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Trocknende Wäsche in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) des Landes Brandenburg (Eisenhüttenstadt, 6.9.2023)

Politiker der Unionsparteien sägen rhetorisch weiter am Grundrecht auf Asyl für politisch verfolgte Menschen. Drei Wochen vor der bayerischen Landtagswahl schloss sich CSU-Chef Markus Söder der seit Wochen von CDU-Politikern vorgebrachten Forderung nach einer »Obergrenze« für Geflüchtete an. »Es braucht eine Integrationsgrenze als Richtwert für unser Land«, sagte Söder am Montag nach einer Sitzung des CSU-Vorstands in München.

Bereits gegenüber Bild am Sonntag hatte der bayerische Ministerpräsident die einst vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) propagierte Obergrenze von 200.000 Asylsuchenden pro Jahr genannt. Diese Zahl orientiere sich daran, »was die Kommunen leisten können«. Der CSU-Chef verwies darauf, dass Experten 2023 mit bis zu 400.000 Asylanträgen rechneten. Wenn Flüchtlingszahlen zu hoch seien, sei Integration nicht mehr leistbar, behauptete Söder. Den Vorwurf, sein Vorstoß habe mit dem bevorstehenden Wahltermin zu tun, wies er zurück: »Lampedusa kennt keine Landtagswahl in Bayern.«

Verbale Schützenhilfe für Söder gab es von Thorsten Frei, Fraktionsgeschäftsführer der Union, der bereits im Juli eine solche willkürliche Begrenzung gefordert hatte. In der RTL/N-TV-Sendung »Frühstart« sprach er sich am Montag erneut für eine »Kontingentlösung« aus sowie für Asylverfahren in außerhalb der EU zu gründenden Zentren. Die BRD müsse trennen zwischen dringend benötigter Fachkräftemigration und »humanitärer Migration«. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann pochte auf eine rasche Begrenzung: »Die Zahlen müssen herunter«, sagte er am Montag nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Dafür schlug er Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz vor.

An eine weitere Säule der Strategie der Bundesregierung erinnerte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Er forderte am Montag, die Maghrebländer Marokko, Algerien und Tunesien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dies diene in erster Linie dazu, »Asylverfahren zu beschleunigen«, behauptete der Liberale im Anschluss an die Sitzung des Präsidiums seiner Partei.

Am Sonntag hatte sich auch der frühere Bundespräsident Joachim Gauck am Rechtsruck in der Debatte beteiligt. Mit der ihm eigenen salbungsvollen Rhetorik sprach er sich ebenfalls für eine Obergrenze aus, stellte diese als so etwas wie eine ethisch gebotene Notwehr dar. Die Forderung sei »moralisch nicht verwerflich« und sogar »politisch geboten«, dozierte er am Sonntag abend in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«. In der Migrationspolitik müsse man »Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen«, so Gauck. Es bestehe sonst die Gefahr, dass die »wunderbare Solidarität« der Bevölkerung schwinde und es zu einem weiteren Rechtsruck komme.

Für Clara Bünger, flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, ist das eine verdrehte Logik. »Es ist irre, zu denken, man könne den Aufstieg der Faschisten stoppen, indem man sich ihre Forderungen zu eigen macht«, kommentierte sie Gaucks Äußerungen. Richtig sei das Gegenteil: »ein klares Bekenntnis zum Recht auf Asyl«. Wer die Aufnahme von Geflüchteten stoppen wolle, spreche sich »in letzter Konsequenz dafür aus, an der Grenze auf Menschen zu schießen, wenn diese sich nicht auf andere Weise von ihren Fluchtplänen abbringen lassen«, warnte die Linke-Politikerin.

Hauptziel der Kampagne von Union und Co. ist erkennbar Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese wollte am Sonntag in der ARD von einer numerischen Begrenzung nichts wissen und tadelte die Unionsparteichefs. Söder und CDU-Chef Friedrich Merz würden sich etwas vormachen, wenn sie glaubten, »dass Deutschland allein etwas steuern könnte mit Obergrenzen«. Eine dauerhafte »Steuerung« von Migration könne nur durch europäisches Zusammenwirken gelingen, sprich: die Forcierung des menschenfeindlichen »Asylkompromisses« der EU-Innenminister.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (19. September 2023 um 14:28 Uhr)
    Dass Menschen unter menschlichen Bedingungen leben wollen, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Ausplünderung weiter Regionen Afrikas, Asiens, Mittel- und Südamerikas durch den Kolonialismus der imperialistischen Hauptmächte und die Beibehaltung dieser Ausbeutung durch den hochkapitalisierten Norden auch im 20. und 21. Jahrhundert machen jährlich viele Millionen Menschen heimatlos. Dass sich nun diejenigen beschweren, die Flut der Heimatlosen drohe sie zu ertränken, die diese Flut erst ausgelöst haben, ist eine Farce. Diese Menschenströme sind nicht anders zu bändigen, als dass man den Flüchtenden endlich dort eine Lebensperspektive schafft, wo sie herkommen. Ansonsten werden sie weiter in Scharen den Spuren des Reichtums folgen müssen, den man ihren Heimatländern abgepresst hat und weiter abpresst. Auch die höchsten Mauern und noch größere Unmenschlichkeit an den Grenzen werden nicht helfen, diesem aus Profitgier selbst geschaffenen Dilemma zu entgehen. Es ist die Barbarei der kolonialen und neokolonialen Ausbeutung, die sich da heute an denen rächt, die am meisten von ihr profitiert haben und noch profitieren. Wir dürfen uns bloß nicht einreden lassen, wir würden mit den Profiteuren im selben Boot sitzen und das Boot sei voll. Es würde deutlich leerer, würden sie die gehorteten Schätze dort ausladen, wo sie sie geplündert haben.

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