Fakten und Fiktion zur See
Von Burkhard Ilschner, Bremen
Die 13. Nationale Maritime Konferenz (NMK), »zentrale Veranstaltung der Bundesregierung zur Unterstützung der maritimen Wirtschaft«, ist am Freitag nach zwei Tagen in Bremen zu Ende gegangen. Mit der Organisation hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) die Kölner Agentur »Facts and Fiction« beauftragt: Der Name ist Programm. Zu den »Facts« gehört es, dass sich rund 800 Teilnehmer aller schiffahrts- und meeresbezogenen Firmen und Einrichtungen eingefunden hatten. Nur Umweltverbände oder andere zivilgesellschaftliche Gruppen waren »faktisch« nicht vertreten, mindestens zwei Fälle sind bekannt, in denen Mitglieder nicht zugelassen worden sind.
Unter »Fiction« indes sind große Teile der diskutierten Inhalte zu verbuchen. Es ging um Stichworte wie Klimaschutz, Dekarbonisierung, Energiewende, Marineschiffbau und Schutz kritischer Infrastruktur, Hafenstrategie und Nachwuchsprobleme: Wer alle diesbezüglichen Forderungen, Vorschläge und Ideen summiert und dann nach ihrer Umsetzung und Finanzierung fragt, kommt schnell auf – Fiktion. Denn was da aufgelistet wurde, dürfte ohne enorme Steuererhöhungen selbst von Generationen kaum zu bezahlen sein.
Am Donnerstag wurde der Kongress vom Maritimen Koordinator der Bundesregierung, Dieter Janecek, eröffnet. Es folgten Reden des Bremer Regierungschefs Andreas Bovenschulte, von Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD), Habeck und der Verkehrsstaatssekretärin Daniela Kluckert (FDP). Sie alle schwelgten in unterschiedlichen Tonlagen von Aufbruchstimmung und Chancen für die maritime Wirtschaft, von Dialog und »Brückenschlag« zwischen der Küste und dem Binnenland, von der maritimen Familie und ihren weitreichenden Aufgaben fürs ganze Land und seine Zukunft. Viele schöne Worte – aber alles vorerst unverbindlich.
Zum Beispiel Klima- und Energiepolitik: Die Vorhaben der BRD und der EU in Sachen Energiewende bedeuten ebenso wie die – wenngleich viel zu schwachen – Beschlüsse der UN-Schiffahrtsorganisation IMO zur Klimaneutralität 2050 nichts anderes als gigantische Herausforderungen. Das fängt bei Entwicklung oder Optimierung neuer Technologien von Offshorewindkraft an, gefolgt von im Detail noch unvorstellbaren Erweiterungen küstennaher Industrien und vor allem Hafenanlagen, von Flächenakquisition, Schwerlastkajenbau, Bereitstellung nötiger Installationstechnik und -flotten.
Hinzu kommen Entwicklung, Produktion und Logistik »klimaneutraler« Treibstoffe wie etwa Ammoniak oder Methanol samt Umrüstung bestehender Schiffe beziehungsweise Neubau für die entsprechenden Antriebe. Ergänzt wurden diese Komplexe am Freitag durch die Debatten über maritime Sicherheit – was über strategische Aspekte hinaus auch Anlagenschutz einbezieht – und künftigen Marineschiffbau. Ob die familiär geführte Bremer Kriegsschiff- und Luxusyachtenwerft Lürssen sich auf Pläne eines Nationalverbunds mit Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) einlässt, da doch schon Rufe nach staatlichen Lenkungsoptionen laut wurden, bleibt abzuwarten.
Diese Aufzählung kann hier nur exemplarisch sein, verdeutlicht aber eines: Ob sie nach heutigem Kenntnisstand überhaupt vervollständigt werden könnte, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob Milliardeninvestitionen ausreichen werden; zumal sich durch alle Debattenbeiträge – wen wundert’s? – immer wieder der Ruf nach Subventionen zog. Auf Erwägungen, was das alles für die Meeresumwelt bedeutet, wartete man lange vergebens, nur Sebastian Unger als Meeresbeauftragter der Bundesregierung wagte am Freitag mittag einmal, an den Schutz der ebenfalls klimarelevanten Biodiversität zu erinnern.
Nicht verschwiegen werden darf auch dieses: Staatliche Stellen sollen nicht nur finanziell fördern, sondern auch erheblich eingreifen – in die Bürgerrechte. Kaum ein Redebeitrag (selbst der von Bremens linker Häfensenatorin Kristina Vogt nicht) verzichtete auf die Mahnung, dass alle anstehenden Schritte dringend einer Verfahrensbeschleunigung bedürften. Das Jammern über zeitraubende Planungsdebatten, denen dringend Einhalt geboten werden müsse, um die gesteckten Ziele erreichen zu können, waberte durch den gesamten Kongress.
Natürlich fehlte es auch nicht an hehren Vorsätzen, allerdings spät und spärlich: Unmittelbar vor Konferenzende wurde über das Nachwuchsproblem gesprochen – vor mittlerweile halbleeren Reihen, was den im Saal sitzenden Polarforscher Arved Fuchs zu sarkastischer Kritik anstachelte. Zwar gab es manche Eingeständnisse bisherigen Versagens und viele Ideen, was besser zu machen sei: So regte etwa Konstantin Pohsin, Kapitän des Hochseebergungsschleppers »Nordic«, an, direkt in die Schulen zu gehen, um junge Menschen selbst schon im Grundschulalter für Schiffahrt und maritime Berufe zu begeistern.
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) tat sich hervor mit der Ankündigung, künftig jährlich unter anderem 400 seeseitige Ausbildungsplätze anbieten zu wollen. Ob das angesichts der Verhältnisse in der Schiffahrt nach Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung im Jahre 2016 allerdings zügig umsetzbar ist, erscheint manchen fraglich. Es gehört zu den »Facts« dieser NMK, dass die soziale und tarifliche Lage der Seeleute so gut wie keine Rolle spielte. Und es ist Tatsache, dass sich die Anzahl deutscher Seeleute auf einem historischen Tiefpunkt befindet. Laut Statistik der Knappschaft-Bahn-See gab es Ende März 2023 nur noch 4.744 von ihnen – zehn Jahre zuvor waren es noch gut 7.400 gewesen.
Hintergrund: Häfen ohne Strategie
Unstrittig ist, dass es funktionsfähiger Häfen zur Gewährleistung sicherer Versorgung bedarf. Im Zuge der 13. Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) wurde dies – nicht unerwartet – nachdrücklich ergänzt. Denn zentrale Aufgabenstellungen wie Klimaschutz, Dekarbonisierung und Energiewende erfordern sowohl enormen Ausbau der Häfen als auch eine mindestens teilweise Neubestimmung ihrer Strukturen. Aber wer soll das bezahlen?
Tatsächlich hätte dies die angekündigte »Nationale Hafenstrategie« (NHS) beantworten können – nur lag die zur NMK nicht vor. Achim Wehrmann, im Verkehrsministerium zuständig für die NHS-Erarbeitung, bekam so manche Spitze zu hören, wenn er wiederholt darauf hinwies, der Entwurf komme noch in diesem Jahr. Die Küstenländer, gesetzlich zuständig für Seehäfen, sind sich einig mit der Hafenwirtschaft, dass der rund 38 Millionen Euro hohe jährliche Bundeszuschuss mindestens verzehnfacht werden muss. Als aber Kanzler Olaf Scholz am Donnerstag feststellte, der Bund habe die Häfen jahrelang vernachlässigt, und eine Mittelerhöhung ankündigte, erntete er teils Gelächter. Denn er ließ es – ganz ohne »Zeitenwende!« oder »Wumms!« – völlig offen, wann und wie diese Zuschüsse spürbar erhöht werden.
Dabei ist klar, dass die geforderte Aufstockung – Bremens Häfensenatorin Katrin Vogt unterstrich es – nur dafür reichen kann, vergangene Versäumnisse aufzuholen und so quasi den Status quo zu sichern. Ausbau für die skizzierten weiteren Aufgaben ist eine ganz andere Frage: Der Grünen-Abgeordnete Felix Banaszak zum Beispiel verlangt in Sachen NHS, dass der Bund nicht nur zahlt, sondern auch strategisch mitredet. Man darf auf diese anstehende Debatte gespannt sein.
Keine offene Diskussion gab es übrigens während der gesamten NMK über das aktuellste Thema der Hafenpolitik: den geplanten Einstieg der Reederei MSC bei der Hamburger HHLA. Im Foyer wurde darüber geredet und auch geschimpft, aber offizielle Statements blieben aus. Ob der Plan umsetzbar ist, muss sich zeigen: An der Elbe droht nicht nur Widerstand von Milliardär Klaus-Michael Kühne als Großaktionär von Hapag-Lloyd, Hamburgs größtem Reedereikunden. Für Dienstag ruft die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten der HHLA und »alle Bürgerinnen und Bürger« auf, gegen den geplanten Deal zu demonstrieren: »Als Teil der kritischen Infrastruktur gehört die HHLA (…) in öffentliche Hand.« Und Die Linke-Abgeordnete Żaklin Nastić geißelte in einer Mitteilung am Freitag, es sei »geradezu absurd«, erst monatelang über die Cosco-Beteiligung an einem einzigen HHLA-Terminal zu reden und nun »ausgerechnet einer dubiosen Reederei aus dem Steuersparparadies Schweiz die Türen weit« zu öffnen.
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