Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Gegründet 1947 Montag, 4. Dezember 2023, Nr. 282
Die junge Welt wird von 2753 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Aus: Ausgabe vom 16.09.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Basis und Überbau

Von Reinhard Lauterbach
schwarzer kanal 1100 x 526.png

Am Vorabend einen Newsletter für den nächsten Morgen schreiben zu müssen ist ein undankbarer Job. Aber über den allgemeinen Sittenverfall zu lamentieren, das geht immer. Martin Knobbe vom Spiegel beklagt am Donnerstag »Verrohung der Gesellschaft, fehlenden Respekt, die zunehmende Unfähigkeit, Konflikte im Rahmen des Anstands auszutragen. (…) Es muss etwas mit dem Vertrauensverlust in Staat und Demokratie zu tun haben, mit der gesellschaftlichen Polarisierung, dem Erodieren grundlegender Übereinkünfte, dem Sinken von Hemmschwellen, wohl auch mit der Erziehung zu Hause.«

Und weiter wird auf eine Konferenz des DGB unter dem Motto »Vergiss nicht, hier arbeitet ein Mensch« hingewiesen. Mit Gastrednern wie dem zum Bundespräsidenten umgeschulten Pastor Joachim Gauck, der letztes Jahr ein bisschen Frieren für die Freiheit empfahl, und der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates. Nur ob vielleicht ein Gewerkschaftsbund, der inzwischen alle Klassenverhältnisse im Land auf Moral und die unanpöbelbare Menschenwürde von Zugbegleiterin und Bademeister heruntergebracht hat, womöglich Teil des Problems und nicht der Lösung ist, das fragt sich wieder mal niemand. Jedenfalls nicht bei den Medien, die seit Jahrzehnten die Notwendigkeit von mehr »gesellschaftlicher Polarisierung« im Interesse der Kostensenkung, der Produktivität usw. beschworen haben. Kein Wunder, dass diese »Polarisierung« natürlich wieder einmal im Osten tiefer sein soll als im Westen. Hat jedenfalls Forsa herausgefunden. Dabei zeigt die Fragestellung, ob der Staat mit seinen Aufgaben »überfordert« sei, das schiere Gegenteil von Misstrauen: Die 69 Prozent, die demnach den Staat für »unfähig« halten, seine »Aufgaben« wie sozialen Ausgleich, Linderung der Teuerung und dergleichen wahrzunehmen, mosern nämlich vom Standpunkt eines tiefen Grundvertrauens, der Staat sei genau hierfür eigentlich da. Insofern: umdrehen und weiterschlafen.

Aber es ist nicht so, dass es nicht auch gute Nachrichten gäbe. Eine lautet: Der Marxismus lebt, selbst am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Dessen emeritierter Direktor Joachim Krause darf auf der Seite »Bildungswelten« der FAZ am Donnerstag eine Benachteiligung seiner akademischen Spezialität, der »Security Studies«, beklagen. Kaum jemand außer ihm habe sich in den vergangenen Jahrzehnten mit den militärischen Aspekten der »Sicherheit« beschäftigt – dabei zählt er am laufenden Band Beispiele auf, wo dies sehr wohl passiert. Und woran liege das? An dem eingerissenen Übergewicht der »Kritischen Friedensforschung« an deutschen Universitäten. Die habe »den ideologischen Überbau für eine völlig realitätsferne Russland-, Osteuropa-, Rüstungskontroll-, Bündnis- und Verteidigungspolitik gelegt, deren Fehlerhaftigkeit seit dem 22. Februar 2022 eigentlich jedem vernünftigen Menschen bekannt sein müsste«. Nur am Rande, Herr Professor: Der russische Einmarsch in die Ukraine war nicht am 22., sondern am 24. Februar 2022, und »gelegt« hat den »Überbau« auch niemand. Sonst wäre er nämlich kein Überbau. Macht nichts, jetzt muss die freie Wissenschaft ihrem Überbaucharakter endlich wieder gerecht werden, indem der akademische Betrieb der »Zeitenwende« angepasst wird: durch die Schaffung vieler »sicherheitspolitischer Lehrstühle«. Sonst drohe Deutschland die »strategische Blindheit«. Der FAZ kann man da nichts vorwerfen. Ihr Korrespondent Matthias Rüb zieht in derselben Ausgabe über eine Initiative der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio für Frieden in der Ukraine her: »Nicht nur kühn, geradezu dreist erscheint es, nach 570 Tagen des russischen Vernichtungskriegs in der Ukraine (…) jetzt vom Frieden zu reden.« Was denn jetzt, Herr Rüb: Ist es »dreist«, die angeblich drohende Vernichtung der Ukraine abwenden zu wollen? Täuscht der Eindruck, dass da einem Schreibtischhelden das Blutvergießen gerade recht kommt?

Die 69 Prozent, die den Staat für »unfähig« halten, seine »Aufgaben« wie sozialen Ausgleich, Linderung der Teuerung und dergleichen wahrzunehmen, mosern vom Standpunkt eines tiefen Grundvertrauens, der Staat sei genau hierfür eigentlich da. Insofern: umdrehen und weiterschlafen

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

Ähnliche:

  • »Schlaf liegt über allen … Oh, dieser Klagelaut«. Anna Netrebko ...
    15.09.2023

    Immer Ärger um Anna

    Protest gegen Auftritt von Anna Netrebko an der Staatsoper Berlin
  • Unter Feuer: Am Mittwoch wurde die russische Schwarzmeerflotte v...
    14.09.2023

    Angriff auf Sewastopol

    Zwei russische Kriegsschiffe vor Krim durch Raketen beschädigt: Kiew gibt an, vier Gasbohrplattformen im Schwarzen Meer unter Kontrolle zu haben

Mehr aus: Wochenendbeilage