Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 16.09.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Wo alle Gemütlichkeit aufhört

In der Außenpolitik kommt der Pakt mit dem Teufel nicht nur vor, er ist der Regelfall. Peter Hacks 1987 über Diplomatie und ihre Grenzen
Von Peter Hacks
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Die Außenpolitik ist an der Politik das Geistlose. Wenn die Innenpolitik die Durchsetzung von Gedanken zwar gewiss nicht zum Ziel hat, so arbeiten doch die Klassen, wenn sie ihre Machtkämpfe betreiben, unbewusst und nebenher an einem Gesamtgefüge, dem Staat. So ein Staat hat eine Grenze; die ist der Rand, bis zu dem man gehn kann, und der Rahmen, innerhalb dessen Fortschritte sich abstecken und messen lassen.

Die einzelne Klasse hat gelernt, ihr Bedürfnis mit dem der Gesellschaft zu vereinbaren. Indem sie um den Rang in der Gesellschaft streitet, erkennt sie sie an. Indem sie sich bemüht, das Ganze nach ihren Vorstellungen zu gestalten, bemüht sie sich um das Ganze. Sie hält den Kampfort sauber, der auch ihr Wohnort ist. Für den einzelnen Staat gilt das alles nicht. Es gibt keine Staatengesellschaft. Für eine bessere Gesellschaft geht zu kämpfen, nicht für eine bessere Welt.

Wie verschieden Staaten in ihrer Gesittung irgend sein mögen – unter sich sind sie einfach gleich. Ihrer innern Bildung nach sind sie mehr oder minder menschenähnlich. Nach außen sind sie noch immer wie die Höhlenleute, ich will sagen, wie die unerzogenen unter denen. Oder wie Hegel sagt: »im Naturzustände gegeneinander«.

Daher steht die Außenpolitik mit den jeweiligen Innenpolitiken kaum in genauem, gelegentlich in umwegigem und gemeinhin in gar keinem Zusammenhang. Man hat Freunde und Feinde in ihr. Aber es ist nicht erfordert, dass man mit dem Feind verfeindet sei, und ausgemacht, dass man des Freundes Freund nicht ist. Man fragt den Freund nach dessen Stärke und ist gleichgültig im Betreff seiner sonstigen Eigenschaften, und diese Gleichgültigkeit ist wahrlich ohne Schranke. In der Innenpolitik ist ein Punkt, bei dessen Überschreitung selbst der Papst absetzbar wird: Abfall vom Glauben. In der Außenpolitik ist ein solcher Punkt nicht. Der Pakt mit dem Teufel kommt nicht nur vor, er ist der Regelfall. Der Ausdruck Bundes-Genosse ist sicherlich übertrieben.

Die äußere Politik ist die äußerliche, und ich frage mich, ob sie überhaupt Politik ist. Sie kennt keine Gründe als den Grund der Macht. Wenn es einen Unterschied zwischen Politik und bloßem Machtvergleich gibt, dann ist Außenpolitik nicht Politik. Ihr fehlt zur Vernunft nicht lediglich der Inhalt; ihr fehlt sogar die Form der Vernunft, die Folgerichtigkeit: ein Zusammenhang, der Schlüsse zulässt. Es haben schon welche versucht, außenpolitische Abläufe mit Rechenmaschinen zu berechnen. Wahrscheinlich hätten sie sich der Wirklichkeit besser genähert, hätten sie zu einem Würfelbecher gegriffen.

Aus welcher Hilflosigkeit heraus diejenigen, die sich mit Außenpolitik beschäftigen, für Tüchtigkeit ihres Verstandes nicht eben berühmt sind. Das außenpolitische Theater hat nur Clowns zu Helden. Die Fähigkeit zur Lüge zeugt von einer gewissen Reife des Gehirns, aber es sind allein die Wilden oder die Kinder, die lügen, ohne im Besitz einer Wahrheit zu sein. Die Diplomaten verschweigen, was sie selbst nicht wissen, und versuchen, ihren Gegnern Geheimnisse zu entlocken, die die selbst nicht haben. Hierin erschöpft sich ihre ganze Kunst. Es ist nicht etwa List, wenn sie alle irgendwie an Henry Kissinger erinnern. Sie sind wirklich Idioten.

In der Innenpolitik, wo die Schranken der Wut feststehn, zeigt man Erbitterung, oft übertriebene. In der Außenpolitik, wo alle Gemütlichkeit aufhört, gibt man sich gemütlich. Die Diplomaten schmeicheln jedem grob ins Gesicht hinein, auch wenden sie viel Kraft daran, einander Seelen-Einklang zu beteuern und denselben mit Gebärden der Zuneigung und kleinen Geschenken zu beweisen. Der Gedanke dabei ist, dass in der Außenpolitik alles vom guten Willen abhänge und es den folglich zu zeigen gelte. Der Fehler an dem Gedanken liegt darin, dass Außenpolitik auch vom guten Willen nicht abhängt, sondern schlechterdings von nichts.

Unwahrhaftigkeit und Eidbruch gehören also zur Diplomatie, nein, sind sie. Bei zweck- und grundlosen Handlungen werden die Mittel die Ziele. Ich kenne eine Menge Leute, die sich für geborene Diplomaten halten, allein deshalb, weil sie geborene Verräter sind, und bin gar nicht sicher, ob sie da irren. Die Außenpolitik liebt die Untreue um der Untreue willen. Großen Genuss hat sie an der Untreue mitten im Krieg, am Sonderfrieden, und der Sonderfrieden wird zur vollkommenen Lust, wenn er mit Verstellung verbunden ist. Der geheime Sonderfrieden ist der Außenpolitik schönster Augenblick.

Auszug aus Peter Hacks: »›Jona‹, Beiwerk und Hintersinn« (entstanden März 1987). In: Sinn und Form, Heft 6/1988. Hier zitiert nach: Peter Hacks: Werke. Fünfzehnter Band. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2003, Seiten 291–293. Wir danken dem Eulenspiegel-Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck

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  • Leserbrief von E. Rasmus (19. September 2023 um 14:12 Uhr)
    An wen bloß denkt man bei den folgenden Sätzen? »Die Außenpolitik ist an der Politik das Geistlose … Aus welcher Hilflosigkeit heraus diejenigen, die sich mit Außenpolitik beschäftigen, für Tüchtigkeit ihres Verstandes nicht eben berühmt sind. Das außenpolitische Theater hat nur Clowns zu Helden.« Wäre es nicht auch mit Lebensgefahr verknüpft, man könnte drüber lachen, nur »die Fähigkeit zur Lüge zeugt von einer gewissen Reife des Gehirns, aber es sind allein die Wilden oder die Kinder, die lügen, ohne im Besitz einer Wahrheit zu sein«. Köstlich, eine weise Vorausschau! Dank an Peter Hacks sowie der jW für diesen Auszug nebst Foto (vermutlich eine Montage) mit dem markanten Klassikerkopf des Philosophen und Dichters in dialektischer Einheit.

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