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Aus: Ausgabe vom 15.09.2023, Seite 2 / Feuilleton
Kulturpolitik

Immer Ärger um Anna

Protest gegen Auftritt von Anna Netrebko an der Staatsoper Berlin
Von Gisela Sonnenburg
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»Schlaf liegt über allen … Oh, dieser Klagelaut«. Anna Netrebko als Lady Macbeth an der Staatsoper Berlin

Eine Demonstration ist angekündigt. Denn am Freitag abend hebt sich in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin der Vorhang für die berühmte Operndiva Anna Netrebko. In der Inszenierung des 2019 verstorbenen Harry Kupfer von Giuseppe Verdis Oper »Macbeth« singt sie die Rolle der Lady Macbeth. Und das sorgt für Ärger. Die Feinde der russischstämmigen Sopranistin wollen gegen sie demonstrieren. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Olexij Makejew, verstieg sich am Mittwoch sogar zu der Behauptung, Netrebko trage als »Propagandamithelferin« eine »Mitverantwortung« am Ukraine-Krieg. Die Intendanz der Staatsoper wiederum setze »ein Zeichen des Wegschauens«, so Makejew.

Doch Netrebko und die Staatsoper haben moralisch vorgesorgt. Schon im März 2022 distanzierte sich die Sängerin von der russischen Führung: »Ich verurteile den Krieg ausdrücklich, und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien.« Am 30. August veröffentlichte die Staatsoper eine lange Presseerklärung mit der Aufforderung, »differenziert vorzugehen und zwischen vor und nach dem Kriegsausbruch zu unterscheiden«.

In Russland tritt Netrebko nicht mehr auf. Zu Putin hatte sie nie ein persönliches Verhältnis, begegnete ihm nur bei Anlässen wie den Olympischen Spielen oder Preisverleihungen. Angela Merkel dürfte ihn besser gekannt haben. Die Staatsoper in Wien, wo Netrebko, seit 2006 auch österreichische Staatsbürgerin, lebt, und die Mailänder Scala lassen »eine der größten Stimmen unserer Zeit« (Staatsoper) eh auftreten. Die Met in New York wird hingegen von Netrebko verklagt, weil man ihr dort unsanft alle Verträge kündigte. Der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, tut zwar so, als seien die Türen offen. Aber faktisch wurde Netrebko vergangenes Jahr in München vor die Tür gesetzt. Angeblich befürchtete man, ein aufgebrachter Mob könnte das Opernhaus stürmen. Wenn dem so wäre, dürfte man allerdings niemanden mehr auftreten lassen, der Feinde hat.

Die Staatsoper Unter den Linden hatte vergangenes Jahr Netrebkos Auftritte abgesagt. Dass sie im September vier Mal in »Macbeth« auf dem Berliner Spielplan steht, ist allein schon ein kleiner Fortschritt in der Welt der Kunst und der Verständigung. Sie strebe durch ihre Kunst ja auch »ausschließlich Frieden und Einheit an«, hieß es in Netrebkos Statement vom März 2022.

Kriegstreiber bringt das auf die Palme. 35.000 Unterschriften wurden gegen Netrebko in Berlin gesammelt. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und Kultursenator Joe Chialo (beide CDU) verlautbarten beide, die Auftritte boykottieren zu wollen. Sollten sie vor dem Opernhaus demonstrieren, wird das auch nicht stören. Dass Netrebko wegen ihrer entschiedenen Antikriegshaltung in Russland schon als Vaterlandsverräterin gilt, ist den Hardcorekämpfern für die Ukraine egal. Sie sollten sich besser fragen, was Engstirnigkeit und Diplomatie jeweils bewirken.

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  • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (15. September 2023 um 11:14 Uhr)
    Kultur und Sport galten von alters her als Brückenbauer zwischen den Völkern. Es ist entsetzlich, den Herrschenden auch im Fall von Frau Netrebko zusehen zu müssen, wie sie diese Brücken willentlich unterminieren und abreißen. Dabei ist doch allbekannt: Jenseits der Kultur lauert einzig die Barbarei.

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