»Die wirtschaftliche Elite möchte zurück an die Macht«
Interview: Thorben Austen
Sie sind Repräsentant von »Poder Popular« in Honduras. Was muss man sich darunter vorstellen?
Der Poder Popular ist eine Einrichtung der Regierung von Xiomara Castro, die auf kommunaler Ebene für bessere Verbindung zwischen der Regierung und den Volksorganisationen sorgen und die Bürgerbeteiligung verbessern soll.
In den vergangenen Wochen gab es Proteste gegen die Regierung. Wer organisierte diese und was fordern sie?
Das muss man im Kontext sehen: Der »Drogenstaat« und seine Repräsentanten von der Nationalen Partei haben zwar die Wahlen 2021 verloren, besitzen aber weiterhin viel Macht in Honduras und im Staatsapparat. Die wirtschaftliche Elite des Landes möchte zurück an die politische Macht, und daher organisierte sie die Opposition vom ersten Tag der Regierung Xiomara Castro an, mit Straßenblockaden, Streiks im öffentlichen Verkehrswesen und bei den Taxiunternehmen, Spekulationen auf Grundnahrungsmittel etc. Eine Waffe ist das Schüren der Angst vor dem »Sozialismus«. Die Regierung kämpft gegen Neoliberalismus, gegen die Privatisierungen der vergangenen drei Jahrzehnte, für bessere Gesundheit, bessere Bildung, gegen die Armut. Sozialismus steht nicht auf der Tagesordnung, trotzdem gelingt es der Oligarchie, mit dieser Kampagne Teile der Gesellschaft gegen die Regierung zu mobilisieren. Der Rechten ist es gelungen, eine Allianz zwischen den beiden Parteien zu schaffen, die Honduras 100Jahre lang regierten: die Nationale und die Liberale Partei. Dazu kommt jetzt Salvador Nasralla als führender Akteur der Opposition, ein ehemaliger Fernsehmoderator, Antikommunist und Freund des chilenischen Exdiktators Augusto Pinochet.
Was können Sie darüber hinaus zur Person Nasralla sagen? Er war einst Teil der Regierung.
In der Zeit der Drogendiktatur, der Regierungszeit der Nationalen Partei nach dem militärischen Putsch 2009 haben sich Personen mit verschiedensten politischen Vorstellungen der Opposition angeschlossen. Nasralla war 2017 Kandidat der Opposition und verlor die Präsidentschaftswahl wegen Betrugs. Nachdem er schon mit fünf Prozentpunkten in Führung gelegen hatte, fielen plötzlich die Computersysteme aus und er war der Verlierer der Wahl. Danach ließ er sich in Washington »beraten« und näherte sich vor den Wahlen 2021 überraschend Xiomara Castro an. Er verzichtete auf eine eigene Kandidatur und wurde dafür zu einem ihrer Stellvertreter ernannt. Nasralla ist aber auf jeden Fall von denjenigen beeinflusst, die in Honduras eine Kolonie der Vereinigten Staaten sehen.
Die Regierung warnt vor einem neuen Putsch. Gibt es Hinweise auf einen solchen?
Die Drohung eines neuen Putsches hängt seit Beginn der Regierung von Xiomara Castro in der Luft. Die Rechte hat die Unterstützung der USA, die US-Botschafterin in Honduras war 2018 Botschafterin in Nicaragua während der Proteste gegen die Regierung von Daniel Ortega, heute gibt es in sozialen Netzwerken Fotos, wie sie sich mit verschiedenen Oppositionsgruppen trifft.
Die Regierung Castro ist jetzt gut anderthalb Jahre im Amt. Welche Fortschritte sehen Sie?
Wir sind auf dem Weg, das Justizwesen umzubauen, um die Straflosigkeit zu beenden. Viele Aktivisten, die gegen die Interessen multinationaler Konzerne kämpften, sind ermordet worden und nie wurde dafür jemand verurteilt. Es sind Reformen auf dem Weg, die den Zugang der Bevölkerung zu Wasser, Infrastruktur etc. verbessern sollen. Ein Ziel der Regierung ist es, die Auswanderung, meist Richtung USA oder Spanien, zu reduzieren und Perspektiven im Land zu schaffen. Aber das ist schwer, denn die Regierung der Nationalen Partei hat uns immense Schulden hinterlassen. Angeblich wurden diese aufgenommen, um die Armut zu reduzieren. Diese ist in ihrer Regierungszeit aber stark gestiegen, fast 75 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut, 50 Prozent sogar in extremer Armut.
Sergio Rivera ist nationaler Verantwortlicher des »Poder Popular« in Honduras
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