Zügige Profilierung
Von Kristian Stemmler
Die Führung von Die Linke hat es eilig, sich vor der EU-Parlamentswahl, die erst im Juni 2024 ansteht, zu profilieren – muss sie doch damit rechnen, dass ihr in Kürze eine »Wagenknecht-Partei« Konkurrenz macht. Nimmt man den nun vorgelegten Entwurf des Wahlprogramms zum Nennwert, dann soll der Kampf für soziale Gerechtigkeit im Zentrum stehen: »Wer Europa will, muss es den Reichen nehmen«, erklärte die Kovorsitzende Janine Wissler am Montag im Karl-Liebknecht-Haus. Gemeinsam mit dem Kovorsitzenden Martin Schirdewan stellte Wissler den Entwurf vor. Beide waren sichtlich dankbar dafür, mal wieder ausführlich über Inhaltliches sprechen zu dürfen. Schirdewan hob hervor, dass der Programmentwurf am Sonntag einstimmig vom Parteivorstand verabschiedet worden sei. Dies sei nicht selbstverständlich, da es in der Vergangenheit durchaus Differenzen in der Haltung zur »europäischen Integration« und zur EU gegeben habe.
Der Staatenbund sei eine »Union der Ungerechtigkeiten«, konstatierte Wissler. Konzerne machten Milliardengewinne, die Vermögen wüchsen, während viele Beschäftigte bis zur Erschöpfung arbeiteten und viele in Armut leben müssen. Rund 50 Millionen Menschen in der EU können Wissler zufolge die Rechnungen für Strom und Heizung nicht bezahlen. Das Geld, das von den Reichen verschleudert werde, fehle »an anderer Stelle«: bei »Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge, für die Bekämpfung von Armut«. Die Linkspartei streite für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, für ein gutes Leben für alle innerhalb der EU und weltweit.
Schirdewan ergänzte, der Ansatz seiner Partei bestehe darin, »dass wir in Krisenzeiten auf der Seite derjenigen stehen, die uns brauchen, also den Menschen mit geringem oder mittleren Einkommen«. In aktuellen Umfragewerten und Wahlergebnissen spiegelt sich das allerdings nicht wider. Er wiederholte die Parole, wer »Europa« wolle, »der muss es den Konzernen und Reichen nehmen« und forderte Vorrang für öffentliches Eigentum anstelle von »Privatisierungsorgien«. Spekulation müsse eingedämmt, der Marktgläubigkeit ein Ende bereitet werden. »Wir fordern eine europäische Zeitenwende für soziale Gerechtigkeit, wir wollen, dass die EU eine Kraft für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Frieden wird«, so der Parteichef. Anders als die politische Konkurrenz sei die Linke dafür auch bereit, »mit einer Klassenperspektive den Reichen und Mächtigen die Harke zu zeigen«.
Zu den praktischen Forderungen erklärte Wissler, ein zentraler Punkt des Entwurfs sei, »die Gewinne in Europa endlich angemessen zu besteuern«. Diese würden durch die Decke gehen, während die Reallöhne sinken. Viele Unternehmen hätten durch Krisen und Kriege Extraprofite gemacht. »Die wollen wir höher besteuern«, so Wissler. Die Partei will eine EU-weite Mindeststeuer für Unternehmen von 25 Prozent. Zudem solle Steuerflucht bekämpft werden. Ein Mindesteinkommen in allen Mitgliedstaaten soll gewährleisten, dass »niemand unter dem Existenzminimum leben muss«.
Das soll zudem der Kampf um bessere Löhne und Gehälter verhindern. Die Stärkung der Tarifbindung in der gesamten EU soll dadurch erreicht werden, dass öffentliche Aufträge nicht mehr an Unternehmen vergeben werden, die Lohndumping betreiben. Die Bereiche der Daseinsvorsorge, so eine weitere Forderung des Programmentwurfs, sollen den Konzernen entzogen werden. Nach Wisslers Worten sollten dafür die EU-Verträge geändert werden, die bisher Ländern und Kommunen die eigene Wirtschaftstätigkeit erschweren. Ein Kommunalisierungsfonds solle aufgelegt werden, der Kommunen finanziell dabei unterstützt, sich privatisierte Unternehmen der Daseinsvorsorge zurückzuholen. Die Linke fordere auch die Aufhebung der »Schuldenbremsen« in allen EU-Staaten. Das Geld werde für Schulen, Krankenhäuser und sozialen Wohnungsbau benötigt. »Schuldenbremsen sind Zukunftsbremsen«, erklärte Wissler.
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