50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
Aus: Ausgabe vom 11.09.2023, Seite 1 / Titel
11. September 1973

Die Geschichte gehört uns

Chile erinnert an den faschistischen Staatsstreich gegen die gewählte Linksregierung unter Präsident Allende vor 50 Jahren
Von Volker Hermsdorf
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Hoffnungsträger für Linke in allen Teilen der Welt: Chiles sozialistischer Präsident Salvador Allende (M., o. D.)

Der von General Augusto Pinochet am 11. September 1973 angeführte Militärputsch war der Auftakt zum internationalen Siegeszug des Neoliberalismus. In Chile leitete er eine 17 Jahre dauernde faschistische Diktatur ein, in der Folter, »Verschwindenlassen«, Mord und Repression an der Tagesordnung waren. Um der Opfer zu gedenken, empfängt Chiles sozialdemokratischer Präsident ­Gabriel Boric an diesem Montag im Präsidentenpalast »La Moneda« zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Dort nahm sich der sozialistische Präsident Salvador Allende vor 50 Jahren das Leben, nachdem die Putschisten das Gebäude gestürmt hatten.

Absurderweise möchte Boric nun außer seinen Gästen und Vertretern antifaschistischer Parteien zum 50. Jahrestag auch ehemalige Unterstützer und bekennende Anhänger Pinochets für ein »Bekenntnis zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten« gewinnen. Damit beißt er bei den Rechten jedoch auf Granit, die den Staatsstreich rechtfertigen, statt ihn zu verurteilen. Während die Sympathiebekundungen für Folterer und Mörder folgenlos blieben, wurde eine Gruppe linker Studenten, die sich aus Protest dagegen eine Woche vor dem Jahrestag am Hauptsitz der unter Pinochet gegründeten Rechtspartei Unión Demócrata Independiente angekettet hatten, von Spezialeinheiten der Carabineros verhaftet. Bei der Festnahme kündigten die Aktivisten weiteren Widerstand unter dem Motto »Kein Vergeben – kein Vergessen« an.

Das gelte auch für die Rolle der USA, die den Putsch vorbereitet und das faschistische Regime unterstützt hatten, um daraus ökonomischen Nutzen zu ziehen. Am Freitag übergaben der kommunistische Abgeordnete Luis Cuello und die Vorsitzende des Jugendverbandes der KP, Daniela Serrano, in der US-Botschaft ein Schreiben an Präsident ­Joseph Biden, in dem Schadenersatz für die Opfer des Putsches gefordert wird. Zwar spuke »das Gespenst Pinochets« noch immer in Chile, doch »auch Allende ist gegenwärtig«, kommentierte die spanische Journalistin Carmen Parejo Rendón auf RT dessen Präsenz im Alltag. Fast prophetisch hatte der gestürzte Präsident noch in seiner letzten Ansprache über Radio Magallanes am Morgen des Putsches optimistisch erklärt: »Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.«

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  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (12. September 2023 um 11:35 Uhr)
    Beim Putsch, 1973 in Chile, wiederholte sich das, was schon 1933 in Deutschland und 1936 in Spanien erfolgreich praktiziert wurde. Die Ausbeuterklasse bediente sich der Nationalisten, Militaristen und Faschisten, um eine sozialere Gesellschaft zu verhindern, in der auch die Bevölkerung vom erzeugten Reichtum profitiert. Wie schon zur Kolonialzeit, so sichert das weltweit vagabundierende Kapital seine Macht notfalls mit brutaler Gewalt und verbrecherischen Methoden. Denn der Faschismus, mit seinen Konzentrationslagern, ist die brutalste Form kapitalistischer Ausbeutung. Dass die USA sich seit 1973 nicht geändert haben, zeigt die Ukraine, wo der Westen, mit Hilfe ukrainischer Nationalisten und Faschisten, die gewählte Regierung des Präsidenten Viktor Janukowitsch stürzte. Gemeint ist der blutige Euromaidan 2014 in Kiew. Und das nur, damit der US-Imperialismus mittels seiner seit 1999 betriebenen NATO-Osterweiterung, Richtung Osten weiter vorrücken konnte. Inzwischen ist nicht mehr zu übersehen, dass die vom Westen finanzierte Regierung der Ukraine, mit einer kriecherischen US-Marionette an der Spitze, bereits Hundertausende Ukrainer völlig sinnlos geopfert hat. Dort läuft alles nach schönster Ausbeutermanier, wo die Rüstungsindustrie profitiert und ein Menschenleben nichts zählt. Inzwischen kämpft man bis zum letzten Ukrainer, um Russland zu ruinieren. Das ist das wahre Gesicht der USA. Bisherige Versuche des Westens, mittels sogenannter »Regime-Kritiker«, auch die Regierungen in Belarus und Russland zu stürzen, scheinen vorerst gescheitert. Es ist daher zu befürchten, dass der US-Imperialismus, mittels der größten Angriffsarmee der Welt, einen großen Krieg vorbereitet. Denn immer mehr NATO-Truppen werden nach Osteuropa verlagert, darunter auch deutsche Waffen und Tausende Soldaten.
  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (12. September 2023 um 11:17 Uhr)
    Ein aufschlussreiches Interview. Der Artikel zeigt sehr deutlich die verbrecherische Vorgehensweise des US-Imperialismus. Noch heute wird so gehandelt. Ein Beispiel hierfür ist die Ukraine, wo 2014 auf dem Euromaidan in Kiew, ein Blutbad angerichtet wurde, welches man der Regierung in die Schuhe schob. Mit Hilfe ukrainischer Nationalisten und Faschisten, die die Demonstranten beschossen, wurde die gewählte Regierung des Präsidenten Viktor Janukowitsch gestürzt. Damals wie heute, war die US-Regierung der Drahtzieher. Geld und korrupte Leute hat das US-Kapital schließlich zur Genüge. Auch in Deutschland gibt es reichlich davon. Die Tatsache, dass Pinochet das ganze Land in kurzer Zeit verkauft hat, zeigt, dass der Putsch in Chile von langer Hand vorbereitet war. Ganz so, wie in der Ukraine, wo drei US-Konzerne bereits so viel Ackerland besitzen, wie es in ganz Italien gibt. Beide Beispiele zeigen, dass demokratisch gewählte Regierungen, die der US-Regierung im Wege sind, notfalls mit äußerster Brutalität beseitigt werden. Kann man dieser nicht entkommen, drohen, entsprechend der »wertebasierten Ordnung« des Westens, Haft, Folter und Tod. Wie die gewaltigen Waffenlieferungen der USA in die Ukraine zeigen, wird die Bevölkerung der Ukraine gezwungen für den US-Imperialismus zu kämpfen und zu sterben. Das ist Ausbeutung pur, das ist Imperialismus in Reinkultur.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (11. September 2023 um 06:42 Uhr)
    Die Strategie des von den USA exportierten Imperialismus war und ist stets die gleiche, von Santiago de Chile bis nach Kiew, und dient immer dem gleichen Ziel: der Versklavung der Völker!
    • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (11. September 2023 um 14:43 Uhr)
      Betreffs »Kiew«: Zumindest gegenwärtig werden die Ukrainer nicht von den USA versklavt. Das ginge gar nicht, denn sie werden von russischen Raketen, Bomben und Drohnen getötet. Ist das etwa besser?
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz-Joachim R. aus Berlin (11. September 2023 um 18:36 Uhr)
        Ach Herr! Es wird langsam zu monoton, immer wieder denselben Leierkasten anzustellen. Wäre es nicht besser, Sie schrieben der »Bild«, der diese Monotonie eigen ist?
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (12. September 2023 um 11:20 Uhr)
          Die Rechten arbeiten ausschließlich mit Emotionen – rational ist der Kapitalismus/ Faschismus den Menschen nicht begreiflich zu machen. Die Linken arbeiten (fast) nie mit Emotionen – und gewinnen so oft keinen Zugang zu ihren Schützlingen. Klüger wäre es, die berechtigte Empörung z.B. über auch (!) von Russland ermordete Ukrainer aufzunehmen und dann sachlich zu analysieren, statt wie bisher zu oft jede Emotionalität usw. als unwissenschaftlich, unmarxistisch usw. zu verdammen! Sinngemäß nach Che: »Wenn du vor jeder Ungerechtigkeit vor Empörung zitterst, dann bist du ein Kamerad von mir.« So ist also Herr Pfannschmidts Empörung oft berechtigt, seine Argumente meistens nicht!

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