»Aus meiner Sicht ein diplomatischer Akt«
Interview: Annuschka Eckhardt
Am 1. September, dem Internationalen Antikriegstag, hat ein Fest mit dem Bundesvorsitzenden der Linkspartei Martin Schirdewan in Cottbus stattgefunden. Sie sollten dort auftreten, wurden jedoch ausgeladen. Warum?
Die Begründung lautete, dass mein Auftritt in Moskau bei dem internationalen Festival »Weg nach Jalta« ja wohl geschmacklos sei und man mich deswegen am Weltfriedenstag nicht dabeihaben will.
Was war das für ein Auftritt in Moskau?
Das Festival findet seit ein paar Jahren statt, ursprünglich auf der Krim und ist dann aus Sicherheitsgründen im vorigen Jahr nach Moskau verlegt worden. Es heißt »Weg nach Jalta«, wegen der großen Friedenskonferenz am Ende des Zweiten Weltkrieges in Jalta. Dieses Festival ist ein Wettbewerb, bei dem Künstler verschiedener Länder zusammenkommen und die Lieder, die in der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges entstanden sind oder davon handeln, in ihre Sprache übersetzen und interpretieren. Im Finale singt man das Lied mit einem russischen Künstler gemeinsam. Das Ganze findet um den 8. Mai herum statt. Es geht darum, das Andenken an den Großen Vaterländischen Krieg zu bewahren, eine Maßnahme, die ja in Deutschland immer mehr abgebaut wird. Und ich fand, dass die Teilnahme eines ausgerechnet deutschen Künstlers da zu allen Zeiten und in jedem Moment wichtig ist und habe mich deshalb beworben, bin auch angenommen worden und habe den zweiten Platz belegt. Aus meiner Sicht ein diplomatischer Akt.
Herzlichen Glückwunsch zum zweiten Platz. Was bedeutet es für Sie als Künstler, dass Ihr Engagement für Frieden nicht erwünscht ist? Ist das Zensur?
Ja, sicher. Es ist auch Zeugnis einer großen Unsicherheit, sogar innerhalb der Linken. Weder als Künstler noch als Mensch habe ich Verständnis dafür, dass wir von den 20 derzeit laufenden Kriegen überhaupt bloß einen kennen und den zu unserem »Lieblingskrieg« auserkoren haben und deshalb alle möglichen absurden Maßnahmen einleiten. Ich sage immer, es hat ja zu keiner Zeit während eines amerikanischen Krieges offiziellen Widerspruch gegeben hierzulande. Dass man jetzt Auftrittsverbot für Künstler ausspricht oder russische Produkte umbenennt und russische Autos beschlagnahmt – irgendwo muss doch noch eine Brücke sein, also warum nicht in der Kultur?
Ihre Karriere begann mit der Band »Jessica« in der DDR. Haben Sie damals auch Zensur erlebt?
Natürlich gab auch in der DDR Zensur. Nach meiner persönlichen Erfahrung wird Zensur – damals wie heute – häufig von Leuten ausgeübt, die die Dinge nicht bis zu Ende denken und in vorauseilendem Gehorsam handeln. Meine absurdeste Geschichte ist ja, dass ich mit unserem bekanntesten Jessica-Hit »Ich beobachte dich«, auf einer Großveranstaltung nicht auftreten durfte. Mit der Begründung, da würde soviel Stasi stehen, die sich dann verarscht vorkäme, wenn wir »Ich beobachte dich« singen.
2021 kandidierten Sie in Mecklenburg-Vorpommern für die Linke. Wie sehen Sie die Haltung der Linkspartei zur Friedensfrage?
Ich habe parteilos kandidiert, aber immerhin 12,6 Prozent errungen. Nicht genug, um direkt in den Landtag einzuziehen. Aber ich habe natürlich in der Zeit einen Einblick bekommen, wie es innerhalb der Partei aussieht. Es gibt eine große Kluft zwischen den alten und den jungen Linken. Woran die jungen Linken nicht unbedingt schuld sind, denn man muss ja bedenken, dass seit 30 Jahren linke Bildung überhaupt nirgendwo erteilt wird. Aus den Geschichtsbüchern wissen sie nicht, woran sich die alten Linken orientieren und festhalten. Hinzu kommt natürlich, dass Karrierepläne linken Ideen und Haltungen sehr oft antagonistisch gegenüberstehen. Und so dient man sich eben auch gern mal der Kriegstreiberei der Regierung an, indem man deren verlogene Politik mit Maßnahmen gegen die eigenen Leute oder auch verbündete Künstler deckt. Das übrigens unabhängig von der Generation. Nur lässt sich ein wachsender Teil der Linken das nicht länger bieten.
Am Antikriegstag sind Sie trotzdem aufgetreten, in Bernau. Was haben Sie gesungen?
Ich nenne es immer noch gern den Weltfriedenstag und habe unter anderem »Kraniche« gesungen, das russische Friedenslied, das ich auch in Moskau sang. Und natürlich singe ich auch immer wieder mein »Lied vom Frieden«.
Tino Eisbrenner ist Musiker
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Leserbrief von Mathias Kroll aus Cottbus (10. September 2023 um 10:03 Uhr)Jede politische, kulturelle oder zivilgesellschaftliche Aktion, die dem Ende des Krieges in der Ukraine und der Souveränität der Ukraine dient, kann ich nur begrüßen. Die Veranstaltung »Auf dem Weg nach Jalta« sollte man aber schon im Zusammenhang mit Putins Reden zur Begründung des Überfalls auf die Ukraine sehen. Er zieht eine gerade Linie vom Kampf gegen den Hitlerfaschismus zum Kampf gegen die angeblich ukrainischen Faschisten. Wer in Anbetracht dessen dann im Zentrum Moskaus, nur wenige Meter von Putins Amtssitz, auftritt, dem fehlt aus meiner Sicht das politische Gefühl. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich im geschäftsführenden Kreisvorstand des Kreisverbandes Lausitz der Ausladung von Tino Eisbrenner zugestimmt. Dabei respektiere ich durchaus jene, die anderer Meinung sind. Im Übrigen war unser Familien- und Friedensfest am 1. September ein voller Erfolg. Bei bestem Wetter konnten wir zu politischen Liedern, an den Ständen verschiedenster Organisationen und bei den Reden von Martin Schirdewan und Sebastian Walter viele Gäste begrüßen, die der Friedensgedanke eint.
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Leserbrief von Claus D. Menschel (13. September 2023 um 13:29 Uhr)Ich zitiere: »Jede politische, kulturelle oder zivilgesellschaftliche Aktion, die dem Ende des Krieges in der Ukraine und der Souveränität der Ukraine dient, kann ich nur begrüßen.« Erläutern Sie uns, warum die Lieferung von Waffen durch den gebündelten Westen dem von Ihnen formulierten Ziel dient. Schließlich wird diese menschenumbringende Vorgehensweise von den Linken gedeckt und toleriert. Aufruf: Keine Stimme diesen Linken! In dieser Verfassung ist die Partei überflüssig. Hut ab für Tino, für seinen Verstand, seine Emotionen, sein Tun und, leider ist das in diesem Land wieder wichtig geworden, für seinen Mut!
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Leserbrief von Sven Harmgart aus Bernau bei Berlin (8. September 2023 um 14:46 Uhr)Man sollte sich das Video von seinem Auftritt ansehen, der Anlass für die Ausladung war: https://www.youtube.com/watch?v=IMMFepnuAUU In dem Moment, als Tino Eisbrenner anfängt, die zweite Strophe des Liedes »Kraniche« auf deutsch zu singen, erhebt sich das Publikum im Saal von seinen Sitzen, und er erhält anschließend spontanen Applaus, als er auf russisch sagt: »Ich wurde in der DDR geboren.« Wenn er dafür von verantwortlichen Vertretern der Partei »Die Linke« von einer Veranstaltung zum Weltfriedenstag ausgerechnet in einer ostdeutschen Stadt ausgeladen wird, dann wird mehr als deutlich, wofür diese Partei steht. Für mich ist diese Partei damit endgültig unwählbar geworden.
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Leserbrief von Ralf Kauffmann aus Leipzig (6. September 2023 um 21:53 Uhr)Wer Tino Eisbrenner noch nicht kennt, unbedingt mal reinhören. Nicht nur »Das Lied vom Frieden«, auch viele andere Lieder werden Euch was zu sagen haben und zeugen von einem ehrlichen und fachlich überzeugenden Musiker und Menschen.
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Leserbrief von Rainer Kral aus Potsdam (6. September 2023 um 15:34 Uhr)Wenn es weitere Beweise für die rechtsreformistischen Bestrebungen in der angeblich linken Partei gibt, dann ist die Ausladung des Künstlers durch Herrn (früher hätte ich geschrieben Genossen) Schirdewan. Was für ein Kotau gegenüber einer deutschen Regierung der Kriegstreiber. Es schmerzt mich anzusehen, welche Entwicklung die Partei, an die ich meine Wählerstimme verschwendet habe, in den vergangenen Jahren genommen hat.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (8. September 2023 um 09:57 Uhr)Lieber Rainer Kral, zur Ehrenrettung von Martin Schirdewan – der Kreisvorstand »Die Linke« Lausitz und allen voran der neue stellvertretende Landesvorsitzende der PDL in Brandenburg waren der treibende Keil dabei, zumindest öffentlich. Das ist skandalös und äußerst beschämend. Dafür hat Tino Eisbrenner am selben Tag vor 300 Menschen in Bernau gespielt – gerade bei »Kraniche« war es mucksmäuschenstill auf dem Markt. Dafür war der Beifall um so lauter und vor allem herzlicher …
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (6. September 2023 um 09:56 Uhr)Eisbrenners Auftritt in Moskau verdient Respekt. Aber dann: »Natürlich gab auch in der DDR Zensur. Nach meiner persönlichen Erfahrung wird Zensur – damals wie heute – häufig von Leuten ausgeübt, die die Dinge nicht bis zu Ende denken und in vorauseilendem Gehorsam handeln. Meine absurdeste Geschichte ist ja, dass ich mit unserem bekanntesten Jessica-Hit ›Ich beobachte dich‹, auf einer Großveranstaltung nicht auftreten durfte.« Da haben die Behörden sehr wohl zu Ende gedacht. Offensichtlicher könnte man nicht mehr provozieren. Den Text kann man im Internet nachlesen. Selbst wenn man hier keinen Affront gegen die Staatssicherheit erkennen mag, muss man sagen: sehr fragwürdig.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael S. aus Bonn (8. September 2023 um 13:33 Uhr)»Ich beobachte dich« war ein großer Hit. Wenn er im Großen und Ganzen als Provokation aufgefasst worden wäre, gäbe es keine Platten und Videos damit. Es sind oftmals wirklich Kleingeister vor Ort gewesen, die sich und Vorgesetzten etwas beweisen wollten.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (5. September 2023 um 23:49 Uhr)Danke, Tino Eisbrenner. Lassen Sie sich nicht beirren. Wer immer für Ihre Ausladung in Cottbus die Verantwortung trägt und es geschmacklos findet, in Moskau an einem dem Frieden gewidmeten Liederfestival im Umfeld des 8. Mai teilzunehmen, an dem werden hoffentlich die Wähler den Geschmack verlieren. Jalta war ein Ort, an dem Politiker, die diesen Namen verdienen, unter Einbeziehung Russlands (das stört wohl am meisten) zu einer Friedensregelung kamen, die dann wenigstens einige Jahrzehnte lang hielt. Wer es geschmacklos findet, daran zu erinnern, muss dann eben erneut fast 30 Jahre auf eine solche Konferenz warten. Ich schlage der PdL dafür das Jahr 2048 vor, anlässlich des 400jährigen Jubiläums der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. Vielleicht passt dieses Datum dann gerade für die Beendigung auch dieses jetzigen Krieges. Wer sich der These anschließt, Frieden in Europa sei nur gegen oder ohne Russland zu erreichen, den verweise ich auf die historischen Erfahrungen 1812/13, 1918–20, 1941–45. Es gibt in Deutschland und im Internet genügend Literatur und geschichtliche Informationen, in denen sich auch junge Linke ebenso orientieren können, wie die älteren. Ich glaube schon, dass es bei verschiedenen Politikern der PdL nicht mangelnde linke Bildung ist, sondern der Seitenblick auf die Karriere und das eigene Bankkonto trotz linker Bildung. Man muss ja abwägen, was wirklich wichtig ist. Deshalb (leicht abgewandelt): »Zum Mainstream drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!« Diese Politiker werden natürlich sagen: »Nein, es sind meine Überzeugungen, für die ich kämpfe. Ich kann ja nichts dafür, dass die zufällig mit Auffassungen der NATO übereinstimmen, wie ich ja auch nichts dafür konnte, dass die Politik Erich Honeckers stets meine volle Zustimmung fand, bis zum 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz, anschließend rein zufällig nicht mehr.« Es gibt Menschen, für die nicht nur 1989 Wende herrschte, sondern lebenslang Wende herrscht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (5. September 2023 um 20:27 Uhr)Meine aufrichtige Bewunderung für Tino Eisbrenner! Leider gibt es viel zu wenige Linke, die den Mut haben, für ihre Überzeugung einzustehen, Brücken zu bauen und trotz heftigstem Gegenwind unsere Sache in die Zukunft weiterzutragen … Ich erinnere mich mit Wehmut an Domenico Losurdo und sein – in dieser Hinsicht – wesentliches Buch »Wo die Linke fehlt«. Wie Tino Eisbrenner richtig feststellt, haben offensichtlich die jungen Linken zu wenig Geschichtsbewusstsein und zuviel Anpassungsbedürfnis aus persönlichem Karrierestreben heraus … Und damit ist die Bewegung offensichtlich dem Verfall, der Auflösung preisgegeben.
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