»Hochschulen und Schulen müssen zivil bleiben«
Interview: Kristian Stemmler
In der Bürgerschaft in Bremen steht am Mittwoch ein Antrag der FDP auf der Tagesordnung, »die wertvolle Arbeit der Jugendoffiziere und -offizierinnen« an Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen auszubauen. Wie bewerten Sie diesen Antrag?
Der FDP-Antrag offenbart erstaunlich deutlich die Nöte der Bundeswehr bei der Personalgewinnung. Die »wertvolle Arbeit« der Jugendoffiziere dient – vor dem Hintergrund stark nachlassender Bereitschaft wehrdiensttauglicher Generationen zum Eintritt in die Armee – eindeutig der politischen Werbung. In den »Richtlinien über Werbung in Schulen vom 18. Februar 1999« wird im Bremer Schulgesetz eine solche Beeinflussung generell abgelehnt bzw. stark eingeschränkt. Grundsätzlich ist das erneute Vorpreschen der FDP interessant. 2020 hatte sie den Senat in einer großen Anfrage dazu aufgefordert, die für Bremen »extrem wichtigen Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen kräftiger zu fördern«.
Im Antrag heißt es, Jugendoffiziere seien »erfahrene Referenten«, die »aktiv zur politischen Bildung beitragen, indem sie weltpolitische Ereignisse analysieren«. Geht es da nicht eher um Beeinflussung?
Schule hat einen Bildungsauftrag, der von dazu qualifiziertem Fachpersonal geleistet werden muss. Jugendoffiziere sind letztendlich Propagandisten der Regierungspolitik, sie mögen rhetorisch erfahrene Referenten sein, zur Bildung sind sie nicht qualifiziert. Die Jugendoffiziere der Bundeswehr informieren nach den ihnen vorgegebenen Informationen über weltpolitische Ereignisse. Das ist nicht als politische Bildung, sondern als interessengeleitete Beeinflussung zu bewerten. Schulen und Hochschulen müssen zivil bleiben! Mehr gut ausgebildete Lehrer gehören in die Schulen. Das Geld ist da, aber es sollte nicht in militärische Aufrüstung investiert werden.
Bei Auftritten von Jugendoffizieren in Schulen wird vermutlich auch über den Ukraine-Krieg diskutiert. Ist da nicht eine sehr einseitige Darstellung zu befürchten?
Die Befürchtung ist mehr als angebracht, weil die Bediensteten der Bundeswehr keine abweichenden Meinungen vertreten dürfen, selbst wenn sie privat anderer Meinung sein sollten. Mit Sicherheit dürfte im Sinne der aktiven deutschen Kriegsbeteiligung durch Waffenlieferungen und Ausbildung argumentiert und die Allianz USA/NATO und Deutschland als angebliche Verteidigerin der Menschenrechte und der Demokratie dargestellt werden.
»Geopolitik im Kontext der Zeitenwende« hat die FDP ihren Antrag überschrieben. Sind solche Vorstöße Ausdruck einer fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft?
Ja. Schon allein die Begriffe, mit denen im Antragstitel hantiert wird, zielen auf eine Thematik, die im Schulunterricht kaum kritisch beleuchtet werden kann. Wer dann noch das hochkomplexe Thema »Geopolitik« mit dem ideologischen Modewort »Zeitenwende« vermischt, hat nicht Aufklärung, sondern Beeinflussung im Sinn. Wenn schon von Geopolitik die Rede ist, sollte aus meiner Sicht die Osterweiterung der NATO und die Aufrüstung der Ukraine – lange vor dem 24. Juni 2022 – nicht vergessen werden. Die FDP als historisch bekannte Partei von NS-Ritterkreuzträgern knüpft damit an ihre historisch bedenklichsten Positionen an, statt sich an freiheitlichen Grundsätzen etwa des »Freiburger Programms« der FDP von 1971 zu orientieren.
Wie schätzen Sie die Haltung von Schülervertretungen oder der GEW zu dem Thema ein? Gibt es da Widerstand gegen den Antrag oder muss noch mehr passieren?
Bisher kenne ich keine kritischen Äußerungen, außer vom Bremer Friedensforum und von Aufstehen Bremen. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn Schülervertretungen und GEW dem Antrag widersprechen bzw. ihm mit jeweils eigenen Alternativvorstellungen entgegentreten würden. Wir haben sie in Bremen nach Bekanntwerden des FDP-Antrags entsprechend informiert und sind gern unterstützend tätig, damit der Antrag der FDP zum Rohrkrepierer wird. In kriegerischen Zeiten wie diesen sollten die Friedenserziehung und der Wunsch nach Versöhnung und Völkerverständigung im Vordergrund stehen.
Ekkehard Lentz ist Sprecher des Bremer Friedensforums
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