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Aus: Ausgabe vom 02.09.2023, Seite 12 / Thema
Verkehr und Digitalisierung

R2-D2 übernimmt

In San Francisco dürfen Robotaxis neuerdings im gesamten Stadtgebiet fahren. Über die Webstühle des Mobilitätskapitalismus
Von Timo Daum
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Wenn man einen Verkehrskegel auf die Motorhaube stellt, funktioniert nichts mehr – ein fahrerloses Robotaxi der Firma Waymo (San Francisco, 20.8.2021)

Einer der milliardenschweren Träume des Silicon Valley ist seiner Verwirklichung ein Stück näher gekommen: In San Francisco dürfen ab sofort zwei Digitalunternehmen fahrerlose Taxifahrten in der ganzen Stadt anbieten. Das ist wie roboterisiertes Uber. Was ist davon zu halten?

Robotaxis gehören in San Francisco zum Straßenbild, seit die beiden Firmen Waymo und Cruise vor einigen Jahren begannen, ihre fahrerlosen Fahrzeuge in der Stadt zu testen. In letzter Zeit bekamen es die Fahrzeuge immer häufiger mit Sabotageaktionen und Streichen, oft aber schlicht mit gängigen Verkehrsaggressionen wie Schneiden, Abdrängen und Ausbremsen zu tun.

Die »Safe Street Rebels« erklären die Sabotage der mobilen Roboterautos zum organisierten Widerstand. In der »Woche des Hütchens« riefen sie zur Blockade autonomer Fahrzeuge auf. Das geht nämlich ganz einfach: Plaziert man auf dem Autodach oder der Motorhaube einen Leitkegel (Warnhütchen, wie sie zum Absperren von Fahrbahnen benutzt werden), können sie lahmgelegt werden. Die fahrerlosen Gefährte können die Situation nicht analysieren, aktivieren die Warnblinkanlage und bleiben sofort stehen.

Normalerweise greifen bei Störungen – oder wenn das autonome Fahrzeug nicht mehr weiter weiß – Techniker per Fernwartung auf es zu und versuchen, es wieder flottzubekommen. Aber das geht nicht, wenn ein Hütchen auf dem Fahrzeug steht. Da seit letztem Jahr keine Sicherheitsfahrerinnen und -fahrer an Bord der Fahrzeuge mehr präsent sein müssen, dauert es eine Weile, bis die Pannenhilfe vor Ort ist, und die paralysierten Fahrzeuge werden zu veritablen Verkehrshindernissen.

Mobilitätsludditen

Die Aktionen der »Safe Street Rebels« erinnern an diejenigen der Ludditen aus der Frühzeit des Industriekapitalismus. Die Anhänger Ned Ludds (einer vermutlich fiktiven Person) waren eine Gruppe gelernter Textilarbeiter, die gegen die Einführung neuer Webstühle protestierten, die ihrer Meinung nach zu Arbeitslosigkeit und geringeren Löhnen für die Arbeiter führen würden. Der Name »Ned Ludd« entstand vermutlich als Pseudonym, das die Aktivisten beim Schreiben von Drohbriefen an Kapitalisten benutzten. Der Begriff »Luddit« wird seither gern verwendet, um jemanden zu beschreiben, der technologische Fortschritte ablehnt oder Angst davor hat, obwohl sich die historischen Ludditen speziell mit den Auswirkungen von Maschinen auf ihren Lebensunterhalt beschäftigten.

Karl Marx und Friedrich Engels nannten sie »Maschinenstürmer«. Auch wenn sie deren frühe Kämpfe und Organisierungsbemühungen für wertvoll hielten, kritisierten sie die Ludditen, weil sie die Maschinen selbst angriffen, als wären sie das Problem – und nicht die Verhältnisse, unter denen sie zur Anwendung kamen bzw. zur Ausbeutung und Profitgenerierung eingesetzt wurden. Marx schrieb im »Kapital«: »Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt.« Es gibt allerdings auch andere Stimmen, die die frühe Arbeiterbewegung der Ludditen vielschichtiger einschätzen. Der marxistische Historiker Edward Thompson schrieb in seinem Klassiker über die Entstehung der englischen Arbeiterklasse: »Der Luddismus war eine quasi aufständische Bewegung, die ständig um die Grenze zu revolutionären Zielen oszillierte.«

Doch ist der Maschinensturm inhärent konservativ, weil er ja die neuen Maschinen ablehnt, aber nicht die alten Maschinen und Werkzeuge. Er greift mit seinen Aktionen zunächst weder die kapitalistischen Produktionsverhältnisse an noch die Produktionsweise. »Maschinenstürmer« kritisieren einzig die neue Produktionsweise, indem sie deren Manifestationen vom Standpunkt der alten Produktionsweise sabotieren, die weniger mechanisiert, weniger automatisiert ist. Gilt diese Kritik auch für die Hütchenspieler in San Francisco?

Der Stand der Dinge

Kalifornien ist der »Ground Zero« für Robotaxitestbetriebe in den USA. Über 50 Unternehmen sind in diesem Bundesstaat für den Betrieb autonomer Fahrzeuge zu Testzwecken zugelassen. Einige davon führen Praxistests mit autonomen Taxiflotten durch, die auf einen wirtschaftlich tragfähigen Betrieb abzielen.

Am weitesten sind Waymo und Cruise: Beide Firmen verfügen über eine Flotte unbemannter Fahrzeuge, die selbständig unterwegs sind, ohne dass Sicherheitspersonal an Bord der Fahrzeuge sein müsste. Beide dürfen von ihren Kundinnen auch schon Geld verlangen, Fahrten können über eine App gebucht werden, ganz wie bei Uber und anderen Fahrunternehmen.

Waymo und Cruise setzen für ihren Service auf eine Kombination aus detaillierten Straßenkarten sowie Lidar-Sensoren, Radar und Kameras. Ihre Dienste sind auf geographische Gebiete beschränkt, die im Vorfeld minutiös kartiert werden. Diese »Operational Design Domains« sind durch GPS-Koordinaten virtuell abgesteckte Betriebsbereiche.

Waymo begann 2009 als Google-Tochtergesellschaft mit der Entwicklung selbstfahrender Autos. Es geht seitdem recht behutsam vor, bislang gab es in den fünf Jahren seit Beginn des Testbetriebs nur kleinere Unfälle. Der Robotertaxidienst Waymo One wurde 2018 in einem Vorort von Phoenix, Arizona, gegründet. Derzeit bewegen sich die Fahrzeuge dort auf einer Fläche von 466 Quadratkilometern, was ungefähr der Hälfte des Landes Berlin entspricht. Cruise wurde 2013 als Technologie­startup gegründet und 2016 vom Automobilhersteller General Motors (GM) übernommen. Mit Amazon ist ein weiteres Techunternehmen in diesem Bereich aktiv. Amazon testet eine Flotte von Robotaxis auf öffentlichen Straßen in Kalifornien, wobei Mitarbeiter als Passagiere eingesetzt werden. Zoox, eine hundertprozentige Tochter von Amazon, hat dafür ein eigenes Fahrzeug entwickelt.

Seit dem 10. August 2023 dürfen die beiden Techunternehmen Cruise und Waymo ihre Robotaxidienste auf das gesamte Stadtgebiet von San Francisco ausweiten und rund um die Uhr operieren. Das hatte nach einer Anhörung die zuständige Behörde beschlossen, die California Public Utilities Commission (CPUC).

Gegen eine Ausweitung der Betriebszulassung sprachen sich bei dieser Gelegenheit Vertreter von Transport- und Sicherheitsbehörden sowie viele Anwohnerinnen und Anwohner aus. Sie äußerten Bedenken hinsichtlich unberechenbarer Fahrweise und Beeinträchtigungen ihres Betriebs. Die Stadt San Francisco sowie die örtliche Feuerwehr und Polizei hatten sich bereits im Vorfeld gegen eine Freigabe des Robotaxis rund um die Uhr ausgesprochen.

Befürworter, darunter Technologieexperten und weitere Anwohnerinnen und Anwohner, argumentierten, dass selbstfahrende Autos eine sicherere Alternative zu menschlichen Fahrern darstellen. Sie gaben auch zu bedenken, dass die Erprobung neuer Mobilitätssysteme der Stadt Aufmerksamkeit und die Chance auf zukunftssichere Arbeitsplätze biete.

Am Ende der sechsstündigen Anhörung stimmte das zuständige Gremium mit drei zu eins für den Antrag der beiden Unternehmen. Einer derjenigen, der dafür stimmte, hatte zuvor in der Rechtsabteilung von Cruise gearbeitet, was den demokratischen Abgeordneten von San Franciscos drittem Distrikt zu dem Kommentar veranlasste: »Die CPUC hat San Francisco an Lobbyisten verkauft«.

Bei der Genehmigung der Erweiterung legte die Kommission am 10. August einige Richtlinien fest: Waymo darf ab sofort die Geschwindigkeit auf maximal 65 Meilen pro Stunde erhöhen und auch bei schlechtem Wetter fahren. Cruise hingegen wird auf 35 Meilen pro Stunde gedrosselt und darf zunächst nur bei guten Sichtverhältnissen unterwegs sein. Ein erster Hinweis darauf, dass die beiden Firmen über unterschiedliche Erfahrungen verfügen. Cruise traut die CPUC weniger zu als Waymo.

Waymo und Cruise gelten als die beiden vielversprechendsten Mitbewerber bei der Kommerzialisierung von Robotaxis in den USA, wobei Waymo eindeutig vorne liegt – was sich in den unterschiedlichen Auflagen der Stadt San Francisco niederschlägt. Nach Bekanntwerden der Entscheidung wollte sich zunächst keines der Unternehmen festlegen, wann und wie sie gedenken, ihre Dienste tatsächlich im gesamten Stadtgebiet rund um die Uhr anzubieten.

Grenzen und Unfälle

Immer wieder kommt es zu – teilweise kuriosen – Fehlleistungen der Technik: Im Januar fuhr ein Cruise-Fahrzeug in ein Gebiet, in dem Feuerwehrleute aus San Francisco einen Brand bekämpften. Das Fahrzeug war nicht in der Lage, die auf der Straße verlaufenden Feuerwehrschläuche vom Untergrund zu unterscheiden. Feuerwehrleute mussten erst die Frontscheibe des Robotaxis einschlagen, um es an der Weiterfahrt zu hindern, wie aus einem Bericht der Verkehrsbehörden von San Francisco hervorgeht. Zuletzt war ein Cruise-Fahrzeug in flüssigem Beton gelandet.

An ihre Grenzen kommt die Technologie derzeit noch bei schlechtem Wetter. Starker Regen, Schneefall oder Nebel bereiten den autonomen Fahrzeugen große Schwierigkeiten. Dank der GPS-Systeme können sie dann zwar noch die Strecke entlangfahren, erkennen aber Hindernisse nicht mehr so leicht. Bei trockener Fahrbahn und Sonne funktionieren die Sensoren besser, Spiegelungen durch nasse Fahrbahnen oder fehlende Markierungen hingegen irritieren das System. Auch aus diesem Grund wird viel in sonnigen US-Staaten wie Arizona oder Kalifornien getestet.

Die Unternehmen müssen regelmäßig alle Fälle protokollieren, in denen es zu einem »Disengagement« (Abkopplung) kommt, wenn ein automatisiertes Fahrzeug die Verantwortung an die Leitstelle abgibt, nicht mehr weiter weiß oder es in einen Unfall verwickelt ist. Diese müssen an die kalifornische Kfz-Behörde DMV (Department of Motor Vehicles) gemeldet werden. Selbst kuriose Fälle wie eine kaputte Frontscheibe nach einem Golfballeinschlag finden ihren Weg in die Sicherheitsaufzeichnungen. Zuletzt mussten Waymo und Cruise nur alle 50.000 Kilometer eingreifen. Kritiker wie das Center for Auto Safety bemängeln indes, dass die Kriterien für das »Disengagement« jeweils von den Unternehmen selbst bestimmt werden.

Fast jeder einzelne Unfall mit einem Roboterfahrzeug schafft es jedoch in die Nachrichten, z. B. jüngst der Fall, bei dem ein auf die Straße gelaufener Hund von einem Waymo-Fahrzeug überrollt worden war. Dadurch entsteht der Eindruck, die Fahrzeuge seien ständig in Unfälle verwickelt und die Technologie überaus störanfällig.

Vorbildlich und regelkonform

Tatsächlich sind Robotertaxis im Vergleich zu klassischen Taxis recht häufig in Unfälle verwickelt – entweder weil ihr Fahrverhalten für Menschen ungewohnt ist oder weil diese aktiv versuchen, die Maschinen zu überlisten und auszunutzen. Denn die Computer halten sich strikt an Geschwindigkeitsbegrenzungen und andere Verkehrsregeln – was Menschen, die es eilig haben, zur Weißglut bringen kann. Bei 90 Prozent der Vorfälle mit Roboterautos tragen denn auch die menschlichen Unfallgegner die Hauptschuld. Bei Waymo und Cruise kam es noch zu keinen schweren Unfällen mit Personenschaden, bei denen die Schuld beim Robotaxi lag.

Hier tut sich eine große Lücke zwischen der Wahrnehmung – meist männlicher Autofahrer – und den tatsächlichen Gefahren auf. Ähnlich wie Frauen, die – das kann jede Versicherung bestätigen – die besseren Autofahrer sind, sind auch Robotaxis vorbildlich, was ihre Sicherheitsbilanz angeht, dank defensiver Fahrweise. Doch das beeindruckt die überwiegend männlichen Autofahrer wenig, die halten sich gegen jede Statistik für die besten Fahrzeuglenker, ungeachtet der Tatsache, dass die meisten viel zu riskant fahren.

Kurz nach der Entscheidung der CPUC kam es dann aber doch zu einem schweren Unfall mit einem Cruise-Fahrzeug: In der Nacht des 18. August 2023 kollidierte ein fahrerloses Cruise-Taxi auf einer Kreuzung mit einem Feuerwehrfahrzeug, das auf der Gegenfahrbahn unterwegs war. Der Fahrgast wurde mit leichten Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Daraufhin forderte die Stadt San Francisco Cruise auf, die Anzahl der eingesetzten Fahrzeuge vorerst zu reduzieren. Bis die Untersuchungen abgeschlossen sind, wird Cruise nun tagsüber maximal 50 und nachts bis zu 150 Robotertaxis auf den Straßen einsetzen. Dies entspricht einer Reduzierung um 50 Prozent.

Cruise gab sich in einer Presseerklärung zum jüngsten Unfall zuversichtlich: Davor seien Cruise-Wagen allein in diesem Jahr mehr als 168.000 Mal Rettungsfahrzeugen begegnet – ohne katastrophale Folgen. Trotz solcher Rückschläge arbeitet die Zeit bzw. die Menge an Trainingsdaten, mit denen die KI-Algorithmen der Fahrsoftware gefüttert werden, für die Unternehmen. Das Kalkül lautet: Je mehr Kilometer gefahren werden, je mehr unerwartete Spezialsituationen im realen Betrieb auftreten, desto besser für die Performance des Gesamtsystems in der Zukunft. »Es geht definitiv viel langsamer voran, als die Leute 2017 erwartet hatten«, sagte der Branchenanalyst Sam Abuelsamid. »Aber das bedeutet nicht, dass es keine Fortschritte gibt.«

Bedrohlich ist das Geschäftsmodell in erster Linie für das klassische Taxi, Uber und Lyft. Waymo und Cruise treten in direkten Wettbewerb mit ihnen. Die Tarife liegen bei etwa der Hälfte dieser Anbieter. Es kommt aber auch zu Kooperation. Im Laufe dieses Jahres sollen Uber-Nutzer in Phoenix die Möglichkeit erhalten, die selbstfahrenden Taxis von Waymo über die Uber-App zu ordern, teilte Waymo im Mai mit. Ähnlich wie Uber zählt vermutlich auch der öffentliche Linienverkehr zu den Leidtragenden und muss mit Fahrgasteinbußen rechnen.

»Gamechanger« für den Verkehr

Die Robotaxis beschleunigen auch den Umstieg auf elektrische Fahrzeuge. Denn Kalifornien hat 2021 ein Gesetz verabschiedet, das vorschreibt, dass bis 2030 alle auf öffentlichen Straßen fahrenden autonomen Fahrzeuge elektrisch sein müssen. Waymo stellt derzeit seine Flotte auf batterieelektrische Fahrzeuge um, Cruise ist von Anfang an mit batterieelektrischen Chevrolet Bolts unterwegs, auch das von der Amazon-Tochter Zoox speziell gebaute Robotaxi ist vollelektrisch unterwegs.

Sind Robotaxis also doch nicht so schlecht? Ist ihr Betrieb perspektivisch eine fortschrittlichere Alternative zum privaten Pkw-Verkehr und dem mehr und mehr als Resterampe fungierenden öffentlichen Nahverkehr? Für diejenigen also, die sich »richtige Mobilität«, sprich das eigene Auto, nicht leisten können?

Der US-Mobilitätsforscher Daniel Sperling, der auch die kalifornischen Behörden berät, sieht darin eine der »drei Revolutionen« (Elektrifizierung, Automatisierung und Ridesharing) im Verkehrssektor. Ihm zufolge »könnte die Automatisierung zu einer dramatisch sichereren, saubereren, erschwinglicheren und zugänglicheren Mobilität führen«. Beim Robotaxi sei das Fahrzeug nur noch »Mittel zum Zweck«, meint Karsten Schulze, Geschäftsführer des Chemnitzer Unternehmens FD Tech. »Waymo und andere beschreiten bewusst einen neuen Weg, wollen bewusst neue Fahrzeugkonzepte auf die Straße bringen, die das Konzept Mobilität grundsätzlich neu denken. Das Integrationskonzept muss ein gesellschaftliches sein.« Auch die Verkehrsforscher Weert Canzler und Andreas Knie sehen in dem »öffentlichen Auto auf Zuruf, dem ›Bestellauto‹, das automatisch dorthin fährt, wo es gebraucht wird« eine Mobilitätsform der Zukunft. Der Berliner Verkehrsprofessor Andreas Knie sieht die Chance, die Robotaxis zum »Gamechanger« für den öffentlichen Verkehr zu machen.

So gesehen passt das »betreute autonome Fahren« mit fahrerlosen Flotten grundsätzlich gut zur Mobilitätswende, zu autofreien Stadtvierteln und Kiezen. Aber auch auf dem Land machen solche Systeme Sinn, dort können sie selten und oft leer fahrende Linienbusse ersetzten.

In Deutschland werden wir aber auf absehbare Zeit keine Chance bekommen, Hütchen auf fahrerlose Fahrzeuge zu plazieren. Zwar gibt es seit Jahren Testläufe mit autonomen Shuttles wie auf dem Gelände der Berliner Charité. Doch sind immer die gleichen Fahrzeuge mit Sicherheitspersonal im Schneckentempo auf festen Routen unterwegs.

Die Autoindustrie will nicht oder kann nicht – sie haben genug Probleme mit dem Kerngeschäft angesichts rapider Elektrifizierung, dem Einbruch des chinesischen Marktes und Lieferkettenproblemen. Die Hersteller hierzulande konzentrieren sich weiterhin auf die Weiterentwicklung von Fahrassistenzsystemen, die in ihren Premiumfahrzeugen für den privaten Gebrauch zum Einsatz kommen.

Bleiben die Verkehrsunternehmen. Der Verband der Verkehrsunternehmen in Deutschland (VDV) kündigt immer wieder Pilotprojekte an, die schließlich zu einem in den öffentlichen Verkehr integrierten autonomen Betrieb führen sollen. Bislang sind viele Fördergelder geflossen, von Regelbetrieb gibt es aber noch keine Spur – und das, obwohl 2021 ein Gesetz zum autonomen Fahren verabschiedet wurde, das den sogenannten Level-4-Verkehr (Fahrzeuge der vierten Automatisierungsstufe) ermöglicht. Auch bei den Fahrzeugen hapert es. Zwar ist die Zulassung von Level-4-Fahrzeugtypen laut Gesetz möglich, bislang hat sich aber noch kein Hersteller um eine solche Zulassung auch nur bemüht, geschweige denn, dass solche Fahrzeuge auf dem Markt verfügbar wären.

Falscher Protest?

So sympathisch die kalifornischen Hütchenspiele auch sein mögen, treffen sie die richtigen? Denn die Sabotage der neuen Maschinen des digitalen Kapitalismus spielt möglicherweise dem fossilen, autozentrierten Status quo in die Hände. Wer gegen Robotaxis, Elektroautos, Uber und sonstige Innovationen des digitalen Kapitalismus auftritt, läuft Gefahr, dem klassischen Taxi, dem fossil betriebenen Auto wie den bestehenden Verkehrssystemen und Antriebsarten Schützenhilfe zu leisten bzw. Rückendeckung zu geben.

Bekämpfen die Hütchenspieler also ähnlich wie die Ludditen die Technologie statt die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie zum Einsatz kommen? Sollte es nicht darum gehen, dem neuen Verkehrssystem erst richtig zum Durchbruch zu verhelfen, das private Auto tendenziell abzuschaffen und damit den Weg freizumachen für einen öffentlichen Verkehr, zu dem autonome Flotten dazugehören? Und, last, but not least, gilt es nicht eher, die Digitalkonzerne – wie Marx es wohl getan hätte – auf der einen Seite für ihre emsige Entwicklung der Produktivkräfte zu loben und auf der anderen auf ihre Vergesellschaftung hinzuarbeiten?

Timo Daum ist Sachbuchautor und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin. Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 25. April 2022 über Industrie als »Zweite Natur«.

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  • Leserbrief von Florian Osuch aus Berlin (8. September 2023 um 11:21 Uhr)
    Wenn es für die Sicherheit im Straßenverkehr relevant ist, ob ein Mensch hinterm Steuer sitzt oder das Fahrzeug von einem Computer gesteuert ist, kann das ein wichtiges Argument für den Einsatz solcher Autos sein. Allerdings: Ein Tempolimit auf der Autobahn, konsequente Geschwindigkeitskontrolle, bauliche Maßnahmen in 30-Zonen können sowohl die gefährliche Raserei auf der Autobahn, als auch eine aggressive Fahrweise zumindest einschränken – dafür bedarf es keine Robotaxis. Aus Klimaschutzaspekten brauchen wir nicht mehr Autos, sondern weniger – und zwar unabhängig ob Diesel, Benziner oder Elektrisch. Statt dessen benötigen wir einen preiswerten oder kostenlosen sowie gut ausgebauten ÖPNV, Schiene statt LKW sowie fahrradfreundliche Städte – Paris, Amsterdam, Kopenhagen sowie viele kleine und mittlere Ortschaften machen es vor. In jenen Gebieten, wo Menschen tatsächlich auf PKW angewiesen sind, kann ein privates Auto vermutlich nicht ohne echte Alternative ersetzt werden. Allerdings: Auch dort wäre in den allermeisten Fällen ein (von der Gemeinde subventioniertes) Elektro-Fahrrad immer noch sinnvoller als ein Auto. Seit Jahren steigt die Anzahl der zugelassenen PKW in Deutschland. Für eine echte Mobilitätswende – die Aspekte des Klimaschutzes, der Flächenversiegelung, Instandhaltung bestehender Straßen und Autobahnen, Umweltzerstörung bei der Förderung Seltener Erden, Kinderarbeit in Minen, anfallender Elektroschrott etc. berücksichtigt –, müsste sich dieser Trend schleunigst umkehren. Robotaxis sind vermutlich genau wie Elektroroller eher Teil des Problems, als Teil der Lösung und dienen einzig dem Verkauf weiterer Autos.
  • Leserbrief von Brigitte Jaschke (7. September 2023 um 11:26 Uhr)
    Der Artikel liest sich wie Werbung für Robotaxis. Er unterschlägt den enormen Energieverbrauch selbstfahrender Autos; erwähnt nicht die Leerfahrten. - Timo Daum vermutet, Karl Marx würde auch für Robotaxis plädieren, wenn die Digitalkonzerne nur vergesellschaftet wären. Als ob das ein Argument wäre.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. September 2023 um 11:51 Uhr)
    »San Francisco: Person stirbt, nachdem Krankenwagen von Robotaxi blockiert wurde« Quelle: https://www.heise.de/news/San-Francisco-Robotaxi-von-Cruise-blockiert-Krankenwagen-Patient-stirbt-9293566.html Es lohnt sich, den Artikel ganz zu lesen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Roland G. aus Dresden (3. September 2023 um 11:56 Uhr)
    Maschinenstürmer gegen KI
    Die künstliche Intelligenz kann für Taxifahrer zum Problem werden. Da ist aber nicht die KI schuld, sondern derjenige, der sie einsetzt. Wenn wir uns mal ganz einfach vorstellen, dass durch KI in gleicher Zeit ein gleiches Leistungsvolumen bei halber Arbeitszeit, also bei halbem Personaleinsatz möglich wäre, ist das doch eine schöne Sache. Man kann auf zweierlei Art damit umgehen. Zum einen könnte man die Hälfte der Arbeiter weiterhin die volle Zeit arbeiten lassen. Dann freuen diese sich, die anderen 50 Prozent haben ein großes Problem. Wenn es gelingt, die Arbeitsplätze im eigenen Land zu erhalten und die Nichtarbeitsplätze im Ausland zu haben, ist das kurzfristig und wahlpolitisch scheinbar günstig, führt aber zu Migrationsproblemen, weil ja die anderen 50 Prozent auch leben wollen und müssen. Und eine hohe Arbeitslosigkeit im Inland wird auch nur durch Umverteilung von Lohnanteilen der Arbeitenden zu den Nichtarbeitenden gelöst. Kapitalerträge und Mieterträge werden für die Arbeitslosenversicherung nicht herangezogen. Man könnte das Problem auch anders lösen. Alle arbeiten nur noch 50 Prozent, bei gleichem Lohn wie vorher. Die Leistung ist ja wie vorher. Und es soll die gleiche Produktmenge verkauft werden, also muss auch die gleiche Kaufkraft da sein. Wenn alle nur noch vier Stunden pro Tag arbeiten, hätte Mann und auch Frau und auch Kind viel mehr Zeit für Kultur, Bildung, Selbstverwirklichung usw. Dazu müsste die Gesellschaft aber solidarisch sein, im Wettbewerb gegeneinander funktioniert das nicht. Das wäre doch mal eine schöne Aufgabe für die Linken und Friday for Future usw., sich mit der Frage zu beschäftigen, wie man eine Fastvollbeschäftigung erreichen kann dank der permanent steigenden Arbeitsproduktivität, statt sich den Kopf zu zerbrechen, wieviel Prozente von wem wie umverteilt werden müssen. Wenn die Welt dann wirklich solidarisch wäre (Proletarier aller Länder vereinigt euch), dann hätten wir eventuell auch die Fragen der diversen Kriege geklärt.

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