Die Lage wird ernst
Von Jörg Kronauer
Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Das ist das Ziel, das US-Handelsministerin Gina Raimondo auf ihrer viertägigen China-Reise verfolgt, die am Mittwoch zu Ende geht. Der eine Faktor, der die US-Handelspolitik gegenüber Beijing bestimmt, ist altbekannt: Washington geht mit Strafzöllen und Sanktionen beinhart gegen die Volksrepublik vor, um die Wirtschaft seines chinesischen Rivalen in ihrer Entwicklung zurückzuwerfen. Der andere Faktor: China war im vergangenen Jahr immer noch drittgrößter Handelspartner der USA, nur knapp hinter Kanada und Mexiko und mit riesigem Abstand vor Japan, der Nummer vier. In Zeiten eines schwächelnden Wachstums und einer immer noch nicht überwundenen Inflation will Washington keine ungewollten Einbrüche im Geschäft mit der Volksrepublik riskieren, erst recht nicht vor einem Wahljahr, in dem eine darbende Wirtschaft US-Präsident Joseph Biden das Amt kosten könnte. Wie sich beide Faktoren verbinden, quasi mit einer Klappe schlagen lassen, das war die Frage, auf die Raimondo eine Antwort suchte, als sie erst in Beijing, dann in Shanghai zu intensiven Verhandlungen eintraf.
Eines stellte Raimondo in Gesprächen mit ihrem Amtskollegen Wang Wentao am Montag und mit dem für Wirtschaft zuständigen Vizeministerpräsidenten He Lifeng am Dienstag klar: Washington wird an seiner Sanktionspolitik um jeden Preis festhalten. Die Ministerin erklärte den US-Versuch, China am Erwerb von Hochleistungschips zu hindern, wie üblich zu einer Frage der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten, an der man keinerlei Abstriche machen könne. Dass das Argument nur vorgeschoben ist, weiß man etwa vom Nationalen Sicherheitsberater Jacob Sullivan, der am 16. September 2022 explizit bestätigte, es gehe für Washington darum, in den zentralen Hightechbranchen »größtmögliche Führung« zu behalten. Entsprechend wiederholte Wang denn auch am Montag, was chinesische Politiker regelmäßig auf die US-Ausflüchte mit den angeblichen Sicherheitsbedenken antworten: Man habe zwar Verständnis für begründete Befürchtungen um das eigene Wohl; das Konzept nationaler Sicherheit ständig zu überdehnen, das gehe aber nicht an.
Die Lage wird mittlerweile auch aus Sicht der Vereinigten Staaten ernst – denn Beijing hat begonnen, seinem Protest gegen die US-Sanktionspolitik erste Taten folgen zu lassen. So hat es seinerseits Halbleiter des US-Produzenten Micron zu einem nationalen Sicherheitsrisiko erklärt; weil diese seither in China nur noch stark eingeschränkt genutzt werden dürfen, droht Micron bis zu einem Achtel seines Umsatzes einzubüßen – ein recht schmerzlicher Verlust. Mitte August musste der US-Konzern Intel die als strategisch wichtig eingestufte Übernahme des israelischen Chipherstellers Tower Semiconductor absagen, weil Beijing seine in diesem Fall erforderliche Zustimmung verweigerte – auch dies ein empfindlicher Rückschlag, der Intel die Zahlung einer Drittelmilliarde US-Dollar an Tower Semiconductor kostet. Chinesische Exporte zweier industriell unverzichtbarer Hightechgrundstoffe, Gallium und Germanium, müssen seit dem 1. August staatlich genehmigt werden. Beijing kann dies jederzeit verweigern und damit, weil es auf beide fast ein Monopol besitzt, der US-Industrie ernste Probleme bereiten. Blind weiter zu eskalieren, das wäre für die Vereinigten Staaten riskant.
Raimondo hatte deshalb, ergänzend zur Sanktionspeitsche, ein paar Zuckerstückchen nach Beijing mitgebracht. Wenige Tage vor ihrer Ankunft in der chinesischen Hauptstadt hatte ihr Ministerium angekündigt, es wolle 27 chinesische Firmen von einer seiner Sanktionslisten entfernen: ein Versuch, Chinas Regierung ein wenig günstiger zu stimmen. Bei ihren Gesprächen mit Wang folgte nun die Einsetzung einer bilateralen Arbeitsgruppe und die Schaffung eines bilateralen Mechanismus, die ebenfalls die Spannungen ein wenig dämpfen sollen. Ziel der Arbeitsgruppe, die ab 2024 zweimal jährlich unter Beteiligung von Regierungs- und Wirtschaftsvertretern beider Länder tagen soll, ist es, sich über Handel und Investitionen auszutauschen und Lösungen für etwaig auftretende Probleme zu finden. Der Mechanismus wiederum dient explizit dazu, Streitpunkte rings um einzelne Sanktionen zu diskutieren. Prinzipiell denkbar wäre es, dass Washington im Einzelfall auf Einwände aus Beijing mit Ausnahmegenehmigungen reagiert; das ist der Grund, weshalb einerseits Republikaner im US-Kongress den Mechanismus hart attackieren, andererseits Beijing sich auf ihn einlässt. Als wahrscheinlich gelten derlei Ausnahmen aber kaum. Der Mechanismus wurde schon am Dienstag bei einem Treffen in Beijing offiziell etabliert.
Zusätzlich zur Arbeit an solcherart Stoßdämpfern setzte sich Raimondo in Beijing und Shanghai für den Ausbau des Handels in Sektoren jenseits der strategisch entscheidenden Hightechbranchen ein. Aus US-Sicht klemmt es in China an mehreren Stellen. Der Absatz von Tesla-Autos etwa, der in der ersten Jahreshälfte noch geboomt hatte, brach im Juli ein. Nicht klar ist, ob die Käufer auf chinesische Marken umschwenkten, weil sie immer populärer werden, oder ob sie das taten, weil sie in der Regel billiger sind: Die Immobilienkrise und andere ökonomische Probleme veranlassen die Bevölkerung aktuell zum Sparen statt zum Konsum. Aus ebendiesem Grund fürchtet Apple, Marktanteile an kostengünstigere Konkurrenten zu verlieren, von denen es in China viele gibt. Raimondo wollte sich in Beijing zudem für neue Käufe des US-Unfallfliegers Boeing 737 Max einsetzen sowie um chinesische Touristen werben. Rund 99 Prozent des Handels seien nicht von den Sanktionen betroffen, erklärte sie, während sie für einen stärkeren Absatz von US-Kosmetikprodukten in China warb. Die USA exportieren jährlich Güter im Wert von satten 150 Milliarden US-Dollar in die Volksrepublik. Glaubt man Raimondo, hängen davon mehr als 80.000 Arbeitsplätze unmittelbar ab.
Will Washington das China-Geschäft aktuell nutzen, um die eigene Industrie vor einer drohenden Krise zu bewahren, so kann Beijing dem nicht gleichgültig gegenüberstehen: Auch die chinesische Wirtschaft steckt derzeit fest – insbesondere, weil der Inlandskonsum nicht wie gewünscht boomt und damit die Umstellung von der Exportorientierung auf die vorrangige Produktion für den eigenen Markt nicht so rasch vorankommt wie geplant. Also ist die Volksrepublik aktuell darauf angewiesen, den Konflikt mit den USA auch ihrerseits eher zu dämpfen, um nicht weitere Einbrüche im Export in die USA zu riskieren. Denn: Nach wie vor sind die Vereinigten Staaten ihr mit Abstand wichtigster Absatzmarkt.
Hintergrund : Deutsches China-Geschäft
Chinas Deutschlandgeschäft, das jahrzehntelang als eine sichere Bank galt, ist im ersten Halbjahr 2023 drastisch eingebrochen. Die chinesischen Ausfuhren in die Bundesrepublik kollabierten um 16,8 Prozent – nicht ganz so stark wie die chinesischen Ausfuhren in die USA, aber immerhin. Zugleich importierte die Volksrepublik in den ersten sechs Monaten 2023 laut Angaben des Statistischen Bundesamts nominal um 8,4 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2022.
Woran liegt’s? Was Chinas Deutschlandexport angeht: Elektronik- und Pharmazieprodukte hatten vergangenes Jahr, bedingt durch die Covid-19-Pandemie, auch in der Bundesrepublik einen Run; dieses Jahr werden sie entsprechend weniger nachgefragt. Einen Teil der Erklärung liefert wohl auch die inflations- und krisenbedingte deutsche Abnahmeschwäche. Zentrale Bedeutung dürfte jedoch die ökonomische Entwicklung der Volksrepublik haben; darauf deutet jedenfalls eine aktuelle Analyse des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hin. Eines ihrer zentralen Ergebnisse: Im deutsch-chinesischen Handel macht sich inzwischen spürbar, dass China industriell-technologisch aufgeholt hat und etwa Maschinen und Anlagen, die es lange Zeit aus Deutschland importierte, jetzt selbst herstellt. Manchmal tun das sogar deutsche Unternehmen, die ihre Standorte in China ausgebaut haben und nicht mehr auf die Einfuhr von Teilprodukten aus ihren deutschen Fabriken angewiesen sind. Der Grund dafür ist neben Chinas technologischem Fortschritt der US-Wirtschaftskrieg, der Zulieferungen für chinesische Standorte aus dem Ausland riskant werden lässt.
Die Folge? Die deutschen Exporte nach China gehen langfristig zurück. Nicht nominal, aber preisbereinigt schrumpften sie laut dem IfW bereits von 2018 bis 2022 um 7,5 Prozent. Der Einbruch im ersten Halbjahr 2022 fällt also zwar krass aus, entspricht aber im Kern der Entwicklungstendenz: Die Volksrepublik ist auf Deutschland ökonomisch immer weniger angewiesen. Deutsche Konzerne müssen nun zunehmend etwa nach Südostasien exportieren, wo ihre Waren noch stärker nachgefragt werden. Ihr China-Geschäft verliert tendentiell seine zentrale strategische Bedeutung. (jk)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (30. August 2023 um 16:26 Uhr)Canada ist ein wichtiger Handelspartner der USA? Warn Sie mal da? KeineR von den Canucks will mit denen gerne was zu tun haben. Die heißen hier Yankee. Eine Verarsche aus Janke, was von Jan fürs niederländische Hans stammt und für das Hänschen, den kleinen, schütteren Faselhans steht, den Dummerjan, den Blödian. So wirds hier auch allgemein gebraucht. Falls Sie mal was mit Menschen zu tun hatten, die südlich von Canada zu tun hatten: Finger weg! Die sind alle doof und Abfall. Wir sehen es so: Ungebildetes, dummes Pack, wo Hilfe bei Sprache braucht. Kann nicht was wie Spanien. Zu doof für Schönheit.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. August 2023 um 11:12 Uhr)Schrittweise Verbesserung, aber die Absicht der US-Kontrollen und Restriktionen ist offensichtlich. Die Zusammenfassung des Treffens zwischen der US-Handelsministerin Gina Raimondo und ihrem chinesischen Amtskollegen Wang Wentao am Montag, veröffentlicht vom US-Handelsministerium kurz nach dem Treffen, zeigt, dass der Besuch pragmatisch und lösungsorientiert ausgerichtet war. Infolgedessen haben beide Seiten beschlossen, eine neue Arbeitsgruppe für Handelsfragen einzurichten. Daran werden nicht nur Beamte auf stellvertretender Ministerialebene, sondern auch Vertreter aus dem Privatsektor teilnehmen. Die Einbeziehung von Unternehmern aus den USA und China in diesen Konsultationsmechanismus wird hoffentlich zu einem besseren Verständnis der konkreten Bedürfnisse der Unternehmen für politische Entscheidungsträger führen. Dies wiederum sollte dazu beitragen, dass die Diskussionen relevanter werden und die tatsächlichen Schwierigkeiten der Industrie besser gelindert werden können. Ob allerdings Raimondo bewusst ist, dass es die US-Regierung ist, die diese Schwierigkeiten durch die Anwendung unvernünftiger Exportkontrollen und Investitionsbeschränkungen gegen China verursacht haben, ist mehr als fraglich. Trotzdem sind die neuen Kommunikationskanäle, die während ihres Besuchs eröffnet wurden, um die Kommunikation zu erleichtern, zweifellos positiv. Es bleibt dennoch unbestreitbar, dass es in der Vergangenheit umfassendere und tiefere Kommunikationsmechanismen zwischen den beiden Seiten gab, die bis heute nicht wiederhergestellt werden konnten. »Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China gehören zu den bedeutendsten der Welt. Unser Handelsvolumen beträgt über 700 Milliarden Dollar«, betonte Raimondo, als sie das Treffen in der chinesischen Hauptstadt eröffnete. Dies ist ein Gedanke, den sie und ihre Kollegen in anderen Abteilungen stets im Hinterkopf behalten sollten.
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