50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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Aus: Ausgabe vom 29.08.2023, Seite 1 / Titel
Frankreich und Niger

Brandrede gegen Afrika

Emmanuel Macron: Frankreich darf auf dem Kontinent keine Schwäche zeigen. Demonstranten unterstützen Militärregierung in Niamey
Von Arnold Schölzel
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Unterstützer der Militärregierung Nigers demonstrieren vor dem französischen Militärstützpunkt (27.8., Niamey)

In einer Rede vor einer Botschafterkonferenz in Paris lehnte Präsident Emmanuel Macron am Montag eine Anerkennung der Militärregierung in Niger erneut ab und bekräftigte seine Bereitschaft zum Krieg. Angesichts einer »Epidemie von Putschen in der gesamten Sahelzone« bestimmte er die Position Frankreichs in Afrika: »Weder Paternalismus noch Schwäche, weil wir sonst nirgendwo mehr sind.« Macron verteidigte die Beibehaltung des französischen Botschafters in Niger. Der dort seit dem Putsch vom 26. Juli regierende »Nationale Rat für den Schutz des Vaterlandes« (CNSP) hatte am Freitag mitgeteilt, der Diplomat habe 48 Stunden Zeit, das Land zu verlassen.

Macron behauptete, dass »die Schwäche, die manche gegenüber früheren Putschen gezeigt haben, regionale Neigungen dazu genährt hat«. Gemeint waren die Staatsstreiche, die seit 2020 in Mali, Burkina Faso, Guinea und in Niger stattfanden. Frankreich werde die diplomatischen Bemühungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und »auch die militärischen Maßnahmen der ­ECOWAS in einem partnerschaftlichen Ansatz unterstützen«. In seiner Rede stellte Macron das Geschehen in Westafrika in einen globalen strategischen Zusammenhang. Er erklärte, der internationale Kontext habe »sich eher verschärft«, werde »komplizierter« und berge »das Risiko einer Schwächung des Westens und insbesondere unseres Europas«. Er nannte dabei »das Auftauchen (neuer) internationaler Großmächte«.

Bereits am vergangenen Mittwoch hatte Macron in einem Interview mit dem Magazin Le Point die antifranzösische Stimmung im frankophonen Westafrika angeheizt. Er erklärte dort, die militärischen Einsätze Frankreichs in der Region seit 2013 seien »erfolgreich« gewesen: »Sie haben die Entstehung von Kalifaten, nur wenige tausend Kilometer von unseren Grenzen entfernt, verhindert.« Ohne sie »gäbe es wahrscheinlich Mali nicht mehr, Burkina Faso nicht mehr, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob es Niger noch gäbe«. Die Flut terroristischer Anschläge und Massaker unter der Zivilbevölkerung der Sahelzone seit der Zerstörung Libyens durch den NATO-Krieg 2011 erwähnte er nicht.

In Niger demonstrierten auch am Sonntag Tausende Unterstützer des CSNP. Sie versammelten sich am Flughafen in der Hauptstadt Niamey, der an einen Luftwaffenstützpunkt der nigrischen Armee grenzt. Dort befindet sich auch ein französisches Militärlager. Frankreich hat in Niger rund 1.500 Soldaten, im benachbarten Tschad etwa 1.000 stationiert. Die Demonstranten forderten deren Abzug. Bereits am Sonnabend hatten sich rund 20.000 Menschen zur Unterstützung der Militärregierung in einem Stadion in Niamey versammelt. Das regionale Komitee zur Unterstützung des CNSP in der nigrischen Großstadt Agadez, die in der Nähe großer Uranbergwerke liegt, verurteilte in einer am Sonnabend veröffentlichten Erklärung ebenfalls ausländische Militärstützpunkte in Niger, darunter die US-Militärbasis in Agadez mit bis zu 1.100 US-Soldaten. Das Komitee forderte den sofortigen Abzug aller in Niger stationierten Besatzungstruppen. Außerdem verlangte es die Aufhebung des Gesetzes zur Internierung von Migranten, die Revision aller Bergbauverträge, d. h. vor allem mit französischen Konzernen, sowie eine Untersuchung der Verwaltung. Laut einem Bericht der staatlichen nigrischen Nachrichtenagentur ANP vom Montag entließ der CNSP per Dekret zahlreiche Beamte und Generaldirektoren im Kommunikations- und Transportwesen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. September 2023 um 11:26 Uhr)
    Man sagt oft, dass Afrika arm sei, was jedoch nicht ganz der Wahrheit entspricht. Einige junge Afrikaner behaupten, dass Afrika in die Armut gedrängt wurde, und sie setzen sich dafür ein, den aktuellen Status quo zu verändern. Basierend auf entsprechenden Vereinbarungen sind 14 afrikanische Staaten immer noch dazu verpflichtet, etwa 85 Prozent ihrer Währungsreserven in der französischen Zentralbank in Paris zu halten. Dort unterliegen sie der direkten Kontrolle des französischen Finanzministeriums, und die betroffenen Länder haben keinen Zugang zu diesem Teil ihrer Reserven. Sollten ihre verbleibenden 15 Prozent Reserven nicht ausreichen, müssen sie sich die zusätzlichen Mittel vom französischen Finanzministerium zu marktüblichen Zinsen leihen. Seit 1961 kontrolliert Paris somit die Währungsreserven von Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Mali, Niger, Senegal, Togo, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Kongo, Äquatorialguinea und Gabun. Zudem sind diese Länder verpflichtet, jährlich ihre »kolonialen Schulden« für die von Frankreich errichtete Infrastruktur an Paris zu überweisen. Auf diese Weise erhält Frankreich jedes Jahr mehr als 500 Milliarden Euro. Die Regierung in Paris besitzt auch ein Vorkaufsrecht für alle neu entdeckten Rohstoffvorkommen in den afrikanischen Ländern. Schließlich müssen französische Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen in den ehemaligen Kolonien bevorzugt behandelt werden. Frankreichs Fall verdeutlicht, dass eine gerechte Welt schwer zu erreichen ist, da die ehemaligen Kolonialmächte selbst von der Ausbeutung abhängig geworden sind. Macron ist auf diese Einnahmen angewiesen, um nicht in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit zu fallen. Wenn aber trotzdem diese Privilegien wegfallen, na dann, Gute Nacht Frankreich!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (29. August 2023 um 15:43 Uhr)
    Was ist denn da los? Kommen wir endlich zur Vernunft? Werden endlich die Kolonialmächte unnötig? Wie verblüffend! Wie überraschend früh! Sogar in Afrika! Ich war ja damals perplex, dass Großbritannien seiner Kolonie Canada die Freiheit gewährte. Welcher Trottel macht denn sowas? Ich war ja mal für ein paar Jahre da. Naja.
    • Leserbrief von Al Teich aus Berlin (1. September 2023 um 12:13 Uhr)
      Gemach. Die neuen Kolonialisten sind schon da. Oder sind die faschistischen »Wagner«-Söldner aus reiner Menschenliebe in der Sahelzone tätig ? Getreu dem Motto: »Die Rohstoffe, die wir bekommen, sind die Rohstoffe, die euch fehlen.«
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Reinhard W. aus Hamburg (2. September 2023 um 09:27 Uhr)
        Die »neuen Kolonialisten« machen es aber anscheinend deutlich schlauer als »die alten«. Sie sorgen für Bildung und nachhaltige Infrastruktur. Und nachhaltige Geschäftsbeziehungen. Auf lange Sicht ist nämlich das Ausplündern von Staaten an Dummheit nicht zu überbieten. Ein Geschäftskonzept, das auf Plünderung beruht, ist nämlich prinzipiell kurzfristig. Wenn alles geplündert ist, bricht der Laden zusammen, weil auf einmal dem aufgeblasenen, fetten Apparat der Nachschub fehlt. Das erleben wir gerade in Europa.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (29. August 2023 um 15:06 Uhr)
    Der Präsident der französischen Republik Emmanuel Macron hat den Schuss nicht gehört. Frankreich wird in der Sahel von US-Interessen vorgeführt, er hat nichts mehr zu melden. Eigentlich kann er einem in seiner Verblendung leidtun. Lässt zu Hause seinen Leuten die Augen ausschießen, reißt sich ein Bein aus und steht blöder da als der begossene Pudel. Tschad wird bald fallen, dann kann Senegal alle Fremdenlegionäre aufnehmen. Deutschland hat sich mit blamiert. Wie lange die Depperten der EU die Verweigerung der Realitäten durchzuziehen gedenken? Ist der Guaido eigentlich noch Venezuela Präsident von EU-Gnaden? Pippi Langstrumpf hat sich andere Welten gemacht.

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