»Die Puhdys habe ich gehasst«
Von Thomas Behlert
Der Gitarrist Jürgen Kerth lebt in Erfurt und spielt bis heute seine erste Gitarre – der Song »Ich liebe die eine« handelt sogar davon. Nach seiner Ausbildung in der Musikschule Erfurt gründete er 1971 das Jürgen-Kerth-Quintett bzw. die Gruppe Jürgen Kerth, aus der 1973 ein Quartett und nach dem Tod des Bassisten Roland Michi 1979 ein Trio wurde. Kerths Instrumentals sind gut gealtert, die Texte von Songs wie »Martha«, »Komm herein«, »Helmut«, »He, junge Mutti« würden sich auch in einem Gedichtband prima machen. Mit seinem Schaffen steht Kerth »in der Tradition von Jimi Hendrix und Rory Gallagher«, wie Michael Rudolf im »Lexikon der Rockgitarristen« (1999) goldrichtig feststellte. Drei Alben – »Gruppe Jürgen Kerth« (1978), »Komm herein« (1980), »Gloriosa« (1982) – veröffentlichte Kerth beim DDR-Plattenlabel Amiga, bis heute spielt er wundervolle Konzerte, u. a. zusammen mit der Berliner Bluesrockband Engerling. An diesem Mittwoch, dem 19. Juli, wird Kerth 75 Jahre alt. (tb)
*
Wie sind Sie zum Gitarrespielen gekommen? Und weshalb gerade Blues?
Zur Musik brachte mich DDR-Rockmusiker Heinz-Jürgen Gottschalk, der sehr jung bereits bei den Nautiks, einer Erfurter Beatcombo, mitmischte. Außerdem saßen wir zusammen auf einer Schulbank. Musikalisch wusste ich noch nichts, aber ich ließ ihn abschreiben, und er spielte mir als Dank dafür Lieder vor, die er kannte.
Die Gitarre hatte es mir angetan. Ich übte wie verrückt und gab erste kleine Konzerte mit den Spotlights, die später Rampenlichter hießen. Der Namenswechsel musste sein, da englische Worte bei den Bonzen verpönt waren. Wenn wir zum Tanz spielten, schliefen wir gleich hinter der Bühne – wir traten in der jeweiligen Kneipe das ganze Wochenende auf. Da die Instrumente noch im Saal standen und wir immer Lust auf Musik hatten, versuchten wir uns an weiteren Songs und entdeckten z. B. die Pretty Things. Die klangen hart und passten gut in unser Programm. Außerdem ließ es sich damit schön provozieren. Nach und nach kamen eigene Strukturen und erste Kompositionen hinzu.
Sie haben den Blues von Erfurt aus zelebriert, warum wollten Sie nicht nach Berlin ziehen?
Mir kamen die Musiker, die ihre Heimat in Richtung Berlin verließen, immer wie willige Hofmusikanten vor. Außerdem galt Erfurt schon sehr früh als Blueshauptstadt der DDR, und Thüringen war insgesamt sehr musikalisch, es sei hier nur die Familie von Johann Sebastian Bach genannt.
Die Bluesszene der DDR wurde von den Fans vergöttert, vom Staat gegängelt und von Amiga dann doch ins Studio geholt. Wie kam es zu den Aufnahmen Ihrer Platten?
Unsere ersten Lieder produzierten wir bei Radio DDR, beim Sender Weimar. Einer unserer Anfangssongs war »Amazonas/Tanz der Alligatoren«, bei dem wir viel improvisierten und so manches kleine Solo einbrachten. Unsere Aufnahmen beim Rundfunk wurden von Amiga gesichtet, außerdem bekamen sie dort mit, dass unsere Lieder im Radio gespielt und von den Hörern gewünscht wurden.
Von Ihren drei Alben für Amiga ist das auffälligste »Gloriosa« von 1982. Danach gab es in der DDR keine weitere LP. Was war passiert?
Für die Aufnahmen fuhren wir nach Berlin, in die Nalepastraße, wo sich das einzige staatliche Studio befand. Dort wurden wir wie Provinzler behandelt, durften etwa nur nachts ins Studio. Die Tage waren Berliner Bands wie Karat oder den Puhdys vorbehalten. Scheiß drauf, dachten wir, und spielten erst recht mit viel Lust und Enthusiasmus. Mit den »Gloriosa«-Texten versuchte ich, am Lack der Republik zu kratzen, denn ich gestaltete sie zweideutig und griff kritische Themen auf. Mit dem Song »Martha« wollte ich daran erinnern, dass nicht jeder DDR-Bürger überzeugter Sozialist ist, da es in der DDR auch Menschen gab, die sich mit dem Aberglauben beschäftigten oder der Kirche nahestanden.
Nach der Veröffentlichung teilten mir ein paar Kulturbonzen mit, dass ich keine Platten mehr aufnehmen dürfe, da angeblich keiner mehr Blues hören wolle und die Jürgen-Kerth-Band musikalisch daher »abgeschlossen« sei. Wie ich später erfuhr, stieß man sich an der kirchlichen Nähe des Titelstückes, bei dem »typische« Kircheninstrumente, Orgel und Posaune, erklingen. Ich wollte bei dem Song einfach, dass einem feierlich zumute ist und der Blues andächtig begangen wird. Im Text heißt es denn auch: »Und die Glocken der ganzen Stadt stimmen dann mit ein.«
Hat sich zu DDR-Zeiten die katholische Kirche gemeldet? Schließlich konnte man die LP »Gloriosa« als eine Art Werbung für die Kirche betrachten.
Nein, da kam nie eine Rückmeldung. Ich hatte darauf gehofft, denn auf der Platte geht es ja um die Glocke, um den Dom von Erfurt, um die Kirche.
Man wählte Sie mehrere Male zum Gitarristen des Jahres. Ist Jürgen Kerth so etwas wie der Vater des Blues in der DDR?
Na ja, wenn man es so will … Aber ich habe nicht bloß Blues gespielt, sondern auch Reggae, Soul und langsame Titel zum Engtanzen.
DDR-Musiker waren schon ein eigenes Völkchen. Kamen Sie mit allen zurecht?
Die Puhdys habe ich gehasst, denn sie wurden hofiert, bekamen die beste Aufnahmetechnik, konnten in den Westen fahren und hatten bei gemeinsamen Auftritten immer eine große Fresse.
Die heutige Bluesszene beschränkt sich auf die alten Haudegen und natürlich auf Joe Bonamassa, der ständig neue Alben veröffentlicht und bei vielen Aufnahmen anderer Musiker mitmischt. Ist der Blues in Deutschland tot?
Ganz tot ist der Blues nicht – ab und an gibt es gute Neuveröffentlichungen von jungen Bands, man muss sie aber suchen. Ich selbst versuche z. B. gemeinsam mit der Berliner Bluesrockband Engerling den Blues am Leben zu erhalten, aber wir sind halt nicht mehr die Jüngsten. Was Joe Bonamassa anbelangt, ist es so: Den beachte ich gar nicht. Ich halte ihn für einen Angeber und Besserwisser, der mit Blues vor allem ordentlich Kohle verdienen will.
Ihr Song »Nacht unterwegs« ist auf dem Sampler »Ost-Kraut!« des umtriebigen Labels Bear Family verewigt. Wussten Sie, dass das Stück eine musikalische Richtung einschlägt, die es, zumindest offiziell, in der DDR nicht gab?
Wir haben uns mit diesen ungewöhnlichen Klängen beschäftigt und hörten genauer hin, wenn im Westrundfunk entsprechende Musik gespielt wurde. Daher kannte ich sehr früh Krautrockbands wie Neu!, Cluster, Amon Düül oder auch Agitation Free. Improvisieren, mit der Gitarre eigene instrumentale Songs spielen, war schon immer mein Ding. Dass nun auf so einem Sampler ein Lied von mir erscheint, ist mir allerdings neu. Freut mich, dass ich darauf Erwähnung finde. So, nun muss ich aber schnell den Sampler anhören und mal gucken, ob auf meinem Konto Tantiemen eingegangen sind.
Sommerabo
Du kannst 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt für 75 Euro lesen und täglich gut recherchierte Analysen zu tagesaktuellen Themen erhalten. Schenke dir, deinen Freundinnen und Freunden, Genossinnen und Genossen oder Verwandten ein Aktionsabo und unterstütze konsequent linken Journalismus.
Ähnliche:
- Christian Ditsch24.04.2023
Von wegen »Querelen«
- Privatarchiv Kiesewetter08.01.2018
»In den Westen wollte ich nie«
- Bert Breitenbach, Bundesarchiv, Bild 183-41636-0002 / CC-BY-SA26.07.2014
»Die BRD-Justiz deckte bewußt den Nazimörder«
Mehr aus: Feuilleton
-
Der andere Weg
vom 19.07.2023 -
Götsch, Waalkes, Kind
vom 19.07.2023 -
Staub auf den Schleimhäuten
vom 19.07.2023 -
Rotlicht: Kultur
vom 19.07.2023 -
Nachschlag: Verbrannte Erde
vom 19.07.2023 -
Vorschlag
vom 19.07.2023 -
Veranstaltungen
vom 19.07.2023