»Wir lassen uns nicht einschüchtern«
Interview: Fabian Linder
Es gab am Mittwoch im gesamten Bundesgebiet Hausdurchsuchungen gegen Aktive der »Letzten Generation«. Auch Sie, als Mitinitiator des Augsburger Klimacamps, wurden durchsucht. Welche Vorwürfe stehen im Raum?
Allgemein vorgeworfen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Was mir konkret vorgeworfen wird, ist noch ein bisschen unklar. Der Rechtsstaat erhofft sich durch die Hausdurchsuchung Hinweise, was meine Rolle in der »Letzten Generation« ist. Ich kann das auch schnell darlegen. Ich leiste Telefondienste für die »Letzte Generation«. Das heißt, Bürgerinnen und Bürger können unter der Nummer im Impressum anrufen, wenn es etwa darum geht, dass in ihrer Nähe Bäume gefällt werden sollen.
Wie ist der erste Eindruck der Durchsuchungen von Ihnen als Betroffener?
Es ist wahnsinnig schlimm so etwas am eigenen Leibe mitzuerleben. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags wirft Bundesverkehrsminister Volker Wissing Rechtsbruch vor. Allerdings gibt es bei ihm keine Razzia, sondern bei uns. Wer sich schon länger mit Klimagerechtigkeitsaktivismus beschäftigt, weiß das auch richtig einzuordnen. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist das allerdings kaum nachvollziehbar.
Die bundesweiten Razzien liefen mit Verweis auf den Paragraphen 129, der auf »Bandenbekämpfung« und Terrorismus abzielt. Was drückt das gegenüber der Klimabewegung aus?
Die erste Phase ist, uns zu ignorieren. Die zweite Phase ist, dass sie uns angreifen und die dritte Phase ist, dass wir gewinnen. Dass die Behörden versuchen, die Klimabewegung einzuschüchtern, ist ja nichts Neues. Es werden Gelder eingefroren, die Menschen gespendet haben, weil sie sich aus welchen Gründen auch immer nicht engagieren können, aber froh sind, wenn andere sich für den Klimaschutz engagieren.
Die Vorwürfe des Sammelns von Spendengeldern oder Ihr Name im Impressum sind ja zunächst Dinge, die auch andere Nichtregierungsorganisationen betreffen. Was bedeutet so ein Vorgehen für politische Organisationen?
Die »Letzte Generation« wird ja sehr oft als radikal betitelt. Wenn wir das mal vergleichen zu anderen Protestformen in der Vergangenheit oder im Vergleich zu Protesten zum Beispiel in Frankreich, dann sieht man, dass die »Letzte Generation« nicht wirklich radikal ist. Sie macht friedliche Sitzblockaden, sind zum Teil nach einer Viertelstunde wieder weg und melden die Blockaden an, so dass sich auch die Polizei darauf einstellen kann. Wenn schon dieser Protest so stark kriminalisiert wird, dann sehen wir, wo wir stehen bei der Bundesregierung und den Sicherheitsbehörden. Sie versuchen nicht, sich mit aller Kraft gegen die Klimakrise zu stellen, sondern nehmen die Klimagerechtigkeitsbewegung als Bedrohung des fossilen Kapitalismus war.
Nun gab es diese Woche einige Solidaritäts- und Protestdemonstrationen gegen das Vorgehen der Behörden. Welches Zeichen wird damit gesetzt?
Wir lassen uns nicht einschüchtern von dieser Repression. Es gibt sehr gute Gründe, aktiv zu sein. Ich möchte meiner Tochter später in die Augen schauen und ihr sagen, damals als wir noch eine Chance gegen die Klimakrise hatten, da habe ich mich engagiert und mich nicht von der Polizei einschüchtern lassen. Aber auch wissenschaftliche und politische Gründe. Die Erfahrung zeigt, dass repressive Übergriffe von den Sicherheitsbehörden oft erst dazu geführt haben, dass sich die Bewegung weiter gefunden und reflektiert hat. Ich denke da an die Hausdurchsuchung bei einer damals 15jährigen Aktivistin in Augsburg. Das war zu einer Zeit, in der wir lediglich »Fridays for Future«-Demos beim Ordnungsamt angemeldet hatten. Als die Aktivistin plötzlich Opfer einer Hausdurchsuchung wurde, hat das bei uns etwas ausgelöst. Es war der Nährboden fürs Klimacamp und für Waldbesetzungen. Wenn der Staat den fossilen Kapitalismus schützen will, sei ihm geraten, weniger Repressionsmaßnahmen gegen Klimaaktivisten durchzuführen. So was schweißt zusammen.
Ingo Blechschmidt ist Mitinitiator des Augsburger Klimacamps
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Leserbrief von Joel K. (29. Mai 2023 um 06:28 Uhr)Das ist ein Schritt vor der politischen Verfolgung. Bei den angeblichen Straftaten der »Letzten Generation« handelt es sich viel eher um Notstandshandlungen gemäß § 34 und 35 StGB, die nicht rechtswidrig sind, und schuldlos, wenn es um nahe Angehörige geht, wie z.B. die eigenen Kinder, die den Ausblick auf ein Leben und Leiden in der Klimakatastrophe haben. Im Sinne von § 34 StGB hat bereits ein Urteil des Amtsgerichts Flensburg einen Baumbesetzer freigesprochen (Urt. v. 06.12.2022, Az. 440 Cs 107 Js 7252/22). Dort betonte die Richterin zwar, dass das nicht für »Klima-Kleber« gelte, weil diese mit ihren Aktionen keinen direkten positiven Einfluss auf den Klimawandel nähmen. Diese künstliche Einschränkung ist aber nur der Angst vor einem Dammbruch geschuldet. Die Grundrechte sind Verteidigungsrechte des Bürgers gegen den Staat. Vereinsfreiheit (Art. 9 GG), Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) müssen im Sinne der Normenhierarchie gegen einen Strafrechtsparagrafen abgewägt werden, der - so der Ursprung und Geist des Gesetzes - mafiaähnliche Organisationen bestrafen will. Unvoreingenommen müsste es Freisprüche hageln. Im Kapitalismus arbeitet die Justiz jedoch letztlich für die herrschende Klasse. Wird die Justiz also dafür sorgen, dass der Regelbetrieb auf der Titanic weiterläuft, und dass fossile Kapitalwerte vor den Zukunftserwartungen von Kindern und jungen Menschen geschützt werden?
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