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Aus: Ausgabe vom 26.05.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Spaniens Linke

»Ohne Frieden keine erweiterten Rechte«

Das linke Bündnis Unidas Podemos regiert in Spanien mit Sozialdemokraten – nicht konfliktfrei. Ein Gespräch mit Rafael Mayoral
Von Carmela Negrete
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Protestmarsch zur Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen in Spanien (Madrid, 20.5.2023)

In den vergangenen Wochen wurde in Deutschland recht ausführlich darüber berichtet, dass Spaniens wichtigstes Feuchtgebiet, die Doñana, nicht zuletzt wegen der Wasserentnahme für den Erdbeeranbau in der Provinz Huelva austrocknet. Keine Notiz aber darüber, dass dort etwa 6.000 Tagelöhner seit rund 20 Jahren auf der Straße leben. Wie kommt es zu solchen Zuständen und was unternehmen Unidas Podemos bzw. die spanische Regierung, um dieses Problem zu lösen?

Das Problem liegt im Wirtschaftsmodell, in dem die Rechte dieser Arbeiter nicht berücksichtigt werden. Einige glauben, diese Tagelöhner tauchen plötzlich auf, verrichten ihre Arbeit und verschwinden dann wieder. Sie machen sich keine Gedanken darüber, dass diese Menschen irgendwo leben, irgend etwas essen müssen. Dieses Wirtschaftsmodell berücksichtigt diesen elementaren Umstand schlicht nicht. Dabei handelt es sich auch um eine Verdrängung unserer eigenen Geschichte. Abertausende Spanierinnen und Spanier waren gezwungen, unter oft sehr widrigen Bedingungen in viele Teile der Welt zu emigrieren. Unsere Migrationspolitik muss auf den unteilbaren Menschenrechten basieren.

In Deutschland fragen sich viele Linke, warum Unidas Podemos (UP) weiterhin in der Koalitionsregierung bleibt, obwohl das Wahlbündnis sein Programm kaum umsetzen kann. In Melilla sind viele Flüchtlinge gestorben. Spaniens Premier Pedro Sánchez besucht seine italienische Amtskollegin, die Postfaschistin Giorgia Meloni, und sagt, es gebe zwischen beiden Ländern viele Ähnlichkeiten in der Migrationspolitik. Warum ist es für UP wichtig, Teil der Regierung zu bleiben?

Weil wir nicht nur im Parlament, sondern auch im Ministerrat um Verbesserungen ringen. Es ist für uns wichtig, auf allen Ebenen zu kämpfen, und in der Sozialpolitik haben wir bereits vieles erreicht, auch wenn da mindestens ebenso viel noch aussteht. Eine Demokratisierung des Staates ist notwendig, die Strukturen des Innenministeriums müssen geändert werden. Wir selbst sind ins Visier des Ministeriums geraten. Unsere Beziehung zum Innenminister Fernando Grande-Marlaska war von Anfang an schlecht, schon bevor wir in die Regierung eintraten, als er bereits Minister des sozialdemokratischen PSOE war. Es gibt große Unterschiede zwischen uns und dem PSOE, insbesondere mit Blick auf die Frage von Krieg und Frieden. Ein Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung sind notwendig im laufenden Ukraine-Krieg. Unsere Positionen zu diesem Thema sind klar.

Gibt es Unstimmigkeiten in der Haltung zum Krieg zwischen Podemos und der Vereinigten Linken, die ja zusammen das Wahlbündnis Unidas Podemos bilden?

Bisher haben sich alle für eine friedliche Lösung ausgesprochen. Bei Podemos haben wir eine sehr klare Position vertreten, mit der sich die Ministerin für Soziale Rechte und Podemos-Generalsekretärin, Ione Belarra, einige Schmähungen eingehandelt hat. So wurde sie in den Medien als »Ghandi-ähnliche Ministerin« bezeichnet. Das sollte eine Beleidigung sein, ist aber in Wahrheit keine. Wir werden weiterhin für eine Verhandlungslösung eintreten, für einen Waffenstillstand. Je schneller die Kriegshandlungen gestoppt werden, um so besser für alle. Ohne Frieden gibt es keine erweiterten Rechte.

Mit der Inflation infolge des Krieges hat auch in Spanien die Armut zugenommen. Was tut die spanische Regierung dagegen?

Die Armut ist nicht nur in Spanien, sondern weltweit gestiegen. Eine der großen Kornkammern der Welt ist zu einem Schlachtfeld geworden. Wir setzen uns für den Schutz der Mehrheit der Gesellschaft ein. Nötig ist eine erhöhte soziale Absicherung, außerdem müssen die Lebensmittelpreise kontrolliert werden. Wir fordern öffentliche Supermärkte, um eine gerechte Versorgung zu garantieren. Auch die Kontrolle der Wohnungspreise ist uns ein Anliegen. Wir sehen uns in der Tradition der Arbeiterbewegung, die im Laufe ihrer Geschichte erkannt hat, dass bürgerliche und politische Rechte nur dann gewährleistet werden können, wenn soziale und kulturelle Rechte der Bevölkerung sowie das Recht auf ein würdevolles Leben gesichert sind. Vorrang hat aber aktuell ein Ende des Krieges.

Die Anhänger einer grünen Transformation sowohl hier in Deutschland wie auch in Spanien versprechen Wohlstand durch die Produktion von Millionen elek­trisch betriebener Autos. Kritiker setzen dagegen auf das Konzept des »Degrowth«. Wie steht Unidas Podemos dazu?

Wir sind der Auffassung, dass eine Änderung des Wirtschaftsmodells zwingend erforderlich ist, da das aktuelle Modell nicht nachhaltig ist und auf einer räuberischen Produktionslogik basiert. Im Prozess der ökologischen Transformation gibt es indessen viele grüne Unternehmen, die versuchen, Dinge anders zu machen. Es ist nicht dasselbe, ob der Zugang zur Energie demokratisiert und eine dezentrale Produktion gefördert wird oder ob große »grüne« Energieanlagen entstehen, die von großen multinationalen Unternehmen kon­trolliert werden. Wir müssen klarstellen, dass die derzeitige Unternehmensstruktur es uns nicht erlaubt, die Dinge anders zu machen. Viel wurde über nötige Arbeitsreformen gesprochen, aber irgendwann muss auch über die Notwendigkeit einer Reform des Unternehmensmodells gesprochen werden. Es braucht dabei einen starken öffentlichen Sektor. Wir haben in dieser Hinsicht eine andere Position als der PSOE.

Wie groß sind die Chancen, dass die Linke in Spanien eine absolute Mehrheit erreicht? Inwieweit steht dem die Kontrolle der Medien und der schmutzige Informationskrieg gegen Podemos entgegen?

Sicher wünschen wir uns, bei den Wahlen Mehrheiten zu gewinnen, aber wir wissen auch um die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse im Land. Wir plädieren für eine Demokratisierung der Medien. In Spanien gibt es zwei große Unternehmen, die de facto die audiovisuellen Medien kontrollieren: Mediaset im Besitz von Silvio Berlusconi und Atresmedia, das dem Medienkonzern Grupo Planeta gehört. Etliche Millionen Menschen werden in den Medien nicht repräsentiert. Das ist ein Mangel, der sich auf die politischen Ergebnisse auswirkt. Außerdem gab es in den letzten Jahren ein konzertiertes Vorgehen, unseren politischen Spielraum einzuengen. Dabei wurden staatliche Geheimdienste aktiv, um gefälschte Berichte zu konstruieren und Justizverfahren einzuleiten, die inzwischen zwar eingestellt wurden, aber zu einer juristischen Verfolgung unserer Amtsträger geführt haben.

Wie sah dieses Vorgehen aus?

Der markanteste Fall ist der von Victoria Rosell, einer Richterin, die auf unserer Wahlliste kandidiert hatte und bei den Wahlen am 20. Dezember 2015 ein sehr gutes Ergebnis erzielte. Ein Jahr später durfte sie nicht erneut antreten, da man gegen sie intrigiert hatte, woran ein anderer Richter beteiligt war. Der Fall konnte wegen eines Zerwürfnisses innerhalb dieser »Mafia« aufgedeckt werden und der Richter sitzt heute im Gefängnis. Das Ziel war nicht nur, Rosells Wahlantritt zu verhindern, sondern auch, sie ins Gefängnis zu bringen. Die Geheimdienste, die so etwas orchestrieren, haben Verbindungen zu den Medien, die erst für den Erfolg solcher Operationen sorgen. Fette Schlagzeilen in allen großen Zeitungen, Diskussionen in allen Medien, um uns zu diskreditieren – und das ist nur ein Beispiel von vielen. Isabel Serrano, eine weitere Kandidatin aus unseren Reihen, konnte nicht zu den vorherigen Regionalwahlen in Madrid antreten und auch nicht zu den bevorstehenden, weil sie trotz hieb- und stichfester Beweise, die die Vorwürfe gegen sie vollständig entkräfteten, verurteilt worden ist. Verurteilt und mit Mandatsverbot bestraft wurde sie letztlich, weil sie sich an der Blockade einer Zwangsräumung einer behinderten Person beteiligt hatte.

Eine Frage zum Schluss: Werden Podemos und Izquierda Unida im Dezember erneut gemeinsam zu den Parlamentswahlen antreten?

Schon an diesem Sonntag treten wir gemeinsam in fast allen Regionen und Kommunen an. Es gibt einige Orte, in denen das nicht der Fall ist. Aber für die Wahlen im Dezember schlagen wir eine Vereinbarung mit Sumar vor. Sumar ist eine neue politische Initiative verschiedener Parteien, deren maßgeblicher Teil Izquierda Unida ist. Wir streben ein Bündnis an, dessen Gestalt durch offene Vorwahlen konkretisiert werden kann, indem die Menschen über die Kandidaten entscheiden, die zur Wahl antreten werden. Wir glauben, dass das möglich ist und arbeiten daran.

Rafael Mayoral ist Rechtsanwalt und Abgeordneter im spanischen Parlament. Als Sekretär von Podemos ist er zuständig für das programmatische Ziel der Errichtung einer spanischen Republik und einer Ausweitung der Demokratie.

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