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Aus: Ausgabe vom 22.05.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Ukraine-Krieg

Russland meldet Erfolg

Bachmut nach monatelanger Schlacht angeblich erobert. Selenskij äußert sich unklar. Ukrainische Angriffe auf Donezk, Mariupol und Berdjansk
Von Reinhard Lauterbach
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Russische Position nahe der Frontlinie in Bachmut (11.5.2023)

Russland hat am Sonnabend die vollständige Einnahme der Trümmerstadt Bachmut gemeldet. Videos zeigten Soldaten der »Wagner«-Truppe, wie sie auf einem zentralen Platz die Fahne ihrer Truppe und die russische Trikolore hissten. Präsident Wladimir Putin dankte den Kämpfern, die zur Eroberung beigetragen hatten und versprach denen, die die verlustreichen Kämpfe überlebt haben, Orden. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij äußerte sich auf seiner Pressekonferenz beim G7-Treffen in Hiroshima ausweichend zu einer Frage nach der Kontrolle über Bachmut: Er »glaube nicht«, dass die Russen die Stadt erobert hätten. Im nächsten Satz sagte er dann aber, Bachmut sei vollständig zerstört und »existiert nur noch in unseren Herzen«, was als Versuch gelten muss, den Misserfolg herunterzuspielen. In Kiew wurde Selenskijs Aussage später dementiert: ukrainische Truppen stünden nach wie vor am Stadtrand von Bachmut.

Die Kämpfe um Bachmut hatten im vergangenen Spätsommer begonnen und haben auf beiden Seiten vermutlich Zehntausende von Toten gekostet. Die Hauptlast trug auf russischer Seite die Söldnertruppe »Wagner«, deren Chef Jewgeni Prigoschin jetzt erneut ankündigte, die Truppen nach der Eroberung von Bachmut zur Erholung von der Frontlinie zurückzuziehen. Frühere Drohungen dieses Inhalts hatte Prigoschin nicht wahrgemacht, weil ihm das Verteidigungsministerium, mit dessen Führung der Söldneranführer rivalisiert, mit einem Kriegsgerichtsverfahren wegen Desertion gedroht hatte. Ein Abzug der »Wagner«-Truppe würde die russische Armee vor das Problem stellen, wo sie kurzfristig die Reserven herbekommen will, um die entstehende Frontlücke zu besetzen. Ukrainische Truppen hatten in den vergangenen Tagen teilweise erfolgreiche Gegenangriffe nördlich und südlich von Bachmut geführt. Ein Militärsprecher in Kiew sagte, man bereite sich darauf vor, Bachmut nun zu umgehen und die dort stehenden russischen Truppen einzukesseln.

Die mutmaßliche Eroberung von Bachmut dürfte militärisch kaum Konsequenzen haben. Die Schlacht war von beiden Seiten zuletzt vorwiegend auf der politischen und symbolischen Ebene geführt worden. Auf russischer Seite diente die mit hohen Verlusten auf seiten der »Wagner«-Truppe erkaufte Schritt-für-Schritt-Eroberung der Stadt der Profilierung von Söldnerchef Prigoschin in der Szene der russischen Kriegsbefürworter; die ukrainische Seite stilisierte das Halten der Stadt so lange wie möglich zum Symbol des eigenen Widerstandswillens und als Schauplatz, um eine neue Generation von »Helden« zu kreieren. An die Verteidiger des Stahlwerks von Mariupol, die in diesen Tagen vor einem Jahr den Widerstand gegen überlegene russische Kräfte einstellen mussten, erinnerte am Sonnabend in Kiew ein von etwa 1.000 Personen besuchter Gedenkmarsch, den das faschistische Regiment »Asow« organisiert hatte. Nach Angaben eines Redners auf der Veranstaltung sind von den 2.534 Asow-Kämpfern, die im Mai 2022 in russische Gefangenschaft gingen, bisher etwa 500 durch verschiedene Austausche in die Ukraine zurückgekommen; zum Verbleib der übrigen 2.000 gebe es keine Informationen.

Unterdessen setzte die ukrainische Armee ihren Beschuss von Zielen im russischen Hinterland mit Hilfe der unlängst gelieferten Raketen des britischen Typs »Storm Shadow« fort. Nach ersten Angriffen auf Lugansk wurden am Sonntag morgen Angriffe auf den alten Flughafen von Mariupol sowie auf den Sitz eines russischen Stabes in der Küstenstadt Berdjansk gemeldet. Die dortigen russischen Behörden sprachen von einem Treffer in eine leerstehende Kantine. Auch aus der Umgebung des Hauptbahnhofs von Donezk wurde Beschuss durch ukrainische Artillerie gemeldet.

Beim G7-Gipfel im japanischen Hiroshima zeichnete sich ab, dass etliche westliche Staaten die Ukraine wohl mit Kampfflugzeugen des US-amerikanischen Typs F-16 ausstatten werden. US-Sicherheitsberater Jacob Sullivan sagte in Japan, die USA würden keinen Einspruch erheben, wenn Alliierte diese Flugzeuge an die Ukraine weitergäben. Er verband dies allerdings mit der Erwartung, dass eine Lieferung der US-Flugzeuge an die Ukraine erst in mindestens einem halben Jahr stattfinden könne. Wenigstens so lange dauert die Ausbildung der Piloten an dem Flugzeug und seiner Elektronik. Ein deutscher Militärexperte wurde von ukrainischen Agenturen mit der Aussage zitiert, sechs Monate brauchten die Piloten, um die F-16 fliegen zu können; die Ausbildung an den Waffen brauche noch einige Monate länger. Ob dies im wörtlichen Sinne stimmt oder nicht, zeichnet sich damit aber jedenfalls ab, dass die US-Kampfflugzeuge der Ukraine für ihre angekündigte Offensive wohl noch nicht zur Verfügung stehen dürften.

Hintergrund: Kosten geheim

Nach der Eroberung von Teilen der Südukraine sind die russischen Behörden zügig an den Wiederaufbau des zerstörten Mariupols gegangen. Wie die Regierung mitteilte, sind in allen ehemals ukrainischen Gebieten insgesamt 60.000 Bauarbeiter und Ingenieure im Einsatz, davon allein 28.000 in Mariupol. Von dort verbreitet die Regierung im Monatsabstand Erfolgsmeldungen und kühne Pläne: So erklärte der zuständige Vizeregierungschef Marat Chusnullin im März bei einem »Arbeitsbesuch« von Wladimir Putin, bis zum Sommer sollten die ersten drei Straßenbahnlinien wieder verkehren. Einstweilen ruht der Nahverkehr in der Stadt auf alten Sammeltaxis und 110 neuen Bussen in leuchtend grüner Farbe, die durch die Werbevideos der Stadtverwaltung kreuzen. Es seien bereits 1.700 Mehrfamilienhäuser wieder bezugsfertig gemacht worden, weitere 800 seien derzeit in der »aktiven Bauphase«, so Chusnullin einen Monat später. Zum 1. September solle der Lehrbetrieb an den Hochschulen der Stadt wiederaufgenommen werden. Den Zerstörungsgrad der Stadt gibt die Verwaltung mit erstaunlich niedrigen 30 Prozent an; die Bevölkerung der Stadt war nach dem Ende der aktiven Kampfhandlungen auf 215.000 – die Hälfte – zurückgegangen.

Die Kosten für den Wiederaufbau werden von Russland geheimgehalten. Es gibt einen nichtveröffentlichten Teil des Zentralbudgets mit dem Titel »Zentrale Infrastrukturprojekte«. Außerdem werden russische Regionen verpflichtet, auf eigene Kosten Mittel für den Wiederaufbau freizuschaufeln. So wurde Sankt Petersburg zur Partnerstadt von Mariupol erkoren und meldete im März stolz die vollendete Rekonstruktion einer Sporthalle. Da die Regionen die Mittel für den Wiederaufbau aus den vorhandenen Haushalten finanzieren müssen, geht er auf Kosten der Entwicklung der Infrastruktur dort. (rl)

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