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Aus: Ausgabe vom 20.05.2023, Seite 2 / Inland
Linke Gegenöffentlichkeit

»Das Urteil ist eine Klatsche für die Behörden«

Landgericht Karlsruhe lehnt Anklage gegen Redakteur des freien Senders Radio Dreyeckland ab. Ein Gespräch mit David Werdermann
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Für verfolgungswütige Behörden kein Hindernis: Eingangstür zum Studio des Senders in Freiburg am Breisgau (17.1.2023)

Das Landgericht Karlsruhe entschied am Dienstag, die Anklage gegen einen Redakteur des unabhängigen Senders Radio Dreyeckland, RDL, nicht zuzulassen. Was war die Vorgeschichte der Entscheidung?

Im Juli 2022 hatte RDL darüber berichtet, dass die Ermittlungen gegen die Betreiberinnen und Betreiber von »linksunten.indymedia« eingestellt wurden. »Linksunten.indymedia« war ein linkes Nachrichtenportal, das 2017 durch das Bundesinnenministerium verboten wurde. Als Hintergrundinformation für die Leser verlinkte RDL auf die Archivseite des verbotenen Portals. Daraufhin ordnete das Amtsgericht Karlsruhe die Durchsuchung der Redaktionsräume sowie der Wohnungen zweier Redakteure an. Dabei beschlagnahmte die Polizei mehrere Laptops mit umfangreicher redaktioneller Kommunikation. Der Vorwurf lautete, dass die Journalisten eine verbotene Vereinigung unterstützt hätten, indem sie auf die Archivseite verlinkten. Dem hat das Landgericht jetzt eine klare Absage erteilt.

Seit der Razzia kritisieren Gegner der Maßnahme das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft als tiefen Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit. Wie wird der nun gefällte Beschluss des Landgerichtes in Karlsruhe begründet?

Das Gericht stellt klar, dass Verlinkungen zum geschützten Bereich der freien Berichterstattung gehören und Medien für die verlinkten Inhalte nicht ohne weiteres strafrechtlich belangt werden können. Zudem weist das Gericht zutreffend darauf hin, dass die Pressefreiheit aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und daher vor allem die Kritik an staatlichen Maßnahmen – hier das Verbot von »linksunten.indymedia« – schützt.

Das Landgericht kommt daher zu dem einzig vertretbaren Ergebnis, dass die Verlinkung im konkreten Fall keine strafbare Unterstützungshandlung ist. Das Landgericht zieht in Zweifel, ob der verbotene Verein »linksunten.indymedia« überhaupt noch existiert. Ein nicht mehr existenter Verein könne auch nicht unterstützt werden.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. sprach in einer Mitteilung vom Mittwoch zum Urteil von einem Erfolg für Radio Dreyeckland und für die Pressefreiheit. Sie bezeichnen den Beschluss als wegweisend. Können Sie das weiter ausführen?

Das Gericht begründet ausführlich, dass vage Strafnormen wie die Verstöße gegen Vereinsverbote mit Blick auf die Presse- und Rundfunkfreiheit einschränkend ausgelegt werden müssen. Insbesondere für den Sonderfall der Verlinkung stellt das Gericht Maßstäbe auf, die auch für andere Konstellationen relevant sein können, in denen auf möglicherweise rechtswidrige Inhalte verlinkt wird.

Das heißt im Umkehrschluss, dass die Razzia rechtswidrig war. Welche möglichen oder wahrscheinlichen Konsequenzen gibt es für die Verantwortlichen?

Das Urteil ist nicht nur ein Erfolg für die Pressefreiheit, sondern auch eine Klatsche für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und das Amtsgericht, die mit den Durchsuchungen die Presse- und Rundfunkfreiheit verletzt haben. Radio Dreyeckland fordert, dass die Staatsschutzabteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft aufgelöst und der Fall politisch aufgearbeitet wird.

Die Betroffenen des Verbots der linksradikalen Onlineplattform wollten sich rechtlich zur Wehr setzen, sind aber am Bundesverwaltungsgericht gescheitert. Dieses erklärte sie schlicht für nicht klagebefugt, weil nur der nicht existierende Verein selbst hätte rechtlich gegen das Vereinsverbot vorgehen können. Inwieweit war dieses Verbot von »linksunten.indymedia« aus Ihrer Sicht eine Verletzung der Pressefreiheit?

Wir haben uns als Gesellschaft für Freiheitsrechte schon damals in dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht kritisch zu dem Verbot der Plattform geäußert. Statt gegen einzelne rechtswidrige Beiträge vorzugehen, wurde ein missliebiges Medium vollständig abgeschaltet. Das ist nicht nur ein Missbrauch des Vereinsrechts, sondern auch ein krasser Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Europäische Menschenrechtskonvention.

David Werdermann ist Rechtsanwalt und Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für ­Freiheitsrechte e. V.

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  • Leserbrief von B. Schroeder aus APEN (20. Mai 2023 um 11:52 Uhr)
    Die »Rechten und Gestylten Nazis« haben mal wieder Schaum vorm Mund … ausgerechnet ein Gericht verkündet die Unrechtmäßigkeit des Urteils des Amtsgerichts Karlsruhe. Ein weiterer Beweis, dass noch etwas in der BRD funktioniert. Was nicht heißen soll, dass das Amtsgericht Karlsruhe nicht versuchen wird, gegen das Urteil vorzugehen. Schließlich sind Polizei und Justiz angegangen worden, das verzeiht man nicht so einfach! Und Pressefreiheit in der BRD ist reine Auslegungssache, schon in der Vergangenheit.

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