Geschenk an Großindustrie
Von Gerhard Feldbauer
Die Kundgebung der drei großen italienischen Gewerkschaften CGIL, CSIL und UIL am Sonnabend in Mailand war auch eine Reaktion auf den jüngst beschlossenen Angriff gegen Lohnabhängige. Am 1. Mai hatte der Ministerrat ein Maßnahmenpaket von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der Ministerin für Arbeit und Sozialpolitik, Marina Calderone, »zur Förderung der Beschäftigung« beschlossen. Es ermöglicht Unternehmen, die Befristung von Arbeitsverträgen von zwölf auf 24 Monate zu verlängern. Das Bürgergeld wird weitgehend abgeschafft. An dessen Stelle soll eine »Eingliederungsbeihilfe« treten, die an eine Arbeitspflicht gekoppelt wird. So ist der Verfall der Leistungen vorgesehen, wenn erwerbsfähige Arbeitsuchende im Alter von 18 bis 59 Jahren Angebote für Vollzeit- oder Teilzeitstellen (mindestens 60 Prozent der Vollzeitstunden) ablehnen. Mindestlohn, Befristung und eine Entfernung von 80 Kilometern gelten dabei als zumutbar.
Das Mindesteinkommen für arme Personen, die in Haushalten ohne »Eingliederungshilfe« leben, wurde von 550 auf 350 Euro reduziert. Zudem wird die Zahlung von der Teilnahme an Berufsbildungsmaßnahmen abhängig gemacht. Dazu gehört auch der allgemeine Zivildienst, für dessen Zugang es Ausnahmen von Altersgrenzen und Reservekontingenten bei bestimmten Ausschreibungen gibt.
Bereits der Name des Maßnahmenpakets – »Unterstützung für Ausbildung und Arbeit« – bezeuge, »dass die Chancen, in diesem System eine Beschäftigung zu finden, gering bis nicht vorhanden sind«, kommentierte die linke Zeitung Il Manifesto das Dekret am 5. Mai. Gerade für junge Leute sei die Gegenwart zunehmend von Prekarität geprägt.
Wie aus einem Bericht des staatlichen Amtes für Statistik, Istat, hervorgeht, ist der private Konsum in Italien im vierten Quartal 2022 erneut um 3,7 Prozent zurückgegangen, der von Lebensmitteln sogar um 5,3 Prozent. Die italienische Wirtschaft entwickelt sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA hingegen positiv. Dienstleistungen und Tourismus boomen, und die italienischen Exporte wuchsen im ersten Quartal 2023 um 0,6 Prozent.
Unternehmen, die die »Begünstigten« einstellen möchten, werden Anreize geboten. So können sie unter bestimmten Bedingungen von den Sozialversicherungsbeiträgen befreit werden. Stellen sie Erwerbslose bis zum Alter von 30 Jahren ein, die nicht an Ausbildungsprogrammen teilnehmen, können sie sich zusätzlich darauf freuen, 60 Prozent des Gehalts für zwölf Monate erstattet zu bekommen.
Italienische Medien berichteten von 40.000 Teilnehmern auf der Mailänder Kundgebung – mehr als auf der vorhergegangenen Kundgebung am 6. Mai in Bologna. Eine dritte von CGIL, CSIL und UIL organisierte Kundgebung wird am 20. Mai in Neapel folgen. In einer gemeinsamen Erklärung, mit der die drei Organisationen zu den Demonstrationen aufgerufen haben, fordern sie, die Prekarität zu überwinden, Sicherheit zu garantieren, angemessene Löhne zu zahlen und auf junge Menschen einzugehen.
Die Basisgewerkschaft USB hat ihrerseits zu einem Generalstreik am 26. Mai aufgerufen. In Italien »sind wir im Käfig eines Systems gefangen«, in dem CGIL, CISL, UIL und der Verband der Großindustriellen, Confindustria, »den sozialen Konflikt unter Kontrolle halten«, erklärte Guido Lutrario vom nationalen Vorstand der Basisgewerkschaft am 12. Mai im Interview mit dem Magazin Contropiano. Die ebenfalls mit dem Arbeitsdekret auf den Weg gebrachte Lohnsteuersenkung für Beschäftigte ist für die USB »nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein«, sondern »hat als Gegenstück eine Lohnzurückhaltung bei Vertragsverlängerungen«. Ohne einen gesetzlichen Eingriff in den Mindestlohn und ohne einen neuen Mechanismus zur Anpassung der Löhne (und Renten) an die reale Preisentwicklung »werden wir weiter unter dem Lohnverfall leiden«, so Lutrario. Allerdings sei genau das die Agenda der Regierung: Löhne drücken, um die Arbeitskosten gering zu halten und auf der internationalen Bühne wettbewerbsfähig zu sein. Die Folgen seien die Abwanderung der Arbeitskräfte ins Ausland und die »Schrumpfung unserer Wirtschaft auf Sektoren, in denen sich unterbezahlte Arbeit konzentriert, vom Tourismus bis zum Handel, von der Gastronomie bis zu den Pflegediensten.«
Das Maßnahmenpaket wurde am 4. Mai im Amtsblatt veröffentlicht. Innerhalb der nächsten zwei Monate wird es dem Parlament zur Umwandlung in ein Gesetz vorgelegt.
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Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (16. Mai 2023 um 15:17 Uhr)Einige naive Anhänger der Abschaffung verschiedener Sozialleistungen zugunsten eines ominösen BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen, hier hieß es »Bürgergeld«) erkennen hoffentlich, dass dieses nach einem Regierungswechsel umso leichter abgeschafft werden kann.
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